Auf einer Grafik ist ein Strand zu sehen und eine Gruppe von Rentieren, die an einem Steinwall entlang läuft.
Michał Grabowski/Leibniz-Institut für Ostseeforschung

Geologischer Fund
Über 10.000 Jahre alter Steinwall vor der Ostseeküste entdeckt

Forschende haben Spuren der Eiszeitjäger in der Ostsee entdeckt. Es handelt sich um eine ungewöhnliche Steinreihe am Grund der Mecklenburger Bucht.

13.02.2024

In der Mecklenburger Bucht haben Forschende auf dem Grund der Ostsee einen fast einen Kilometer langen steinernen Wall entdeckt. Er wurde vermutlich vor mehr als 10.000 Jahren von Jägern und Sammlern angelegt. Damals war das Gelände noch nicht überflutet, wie die Gruppe um Jacob Geersen vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) und Marcel Bradtmöller von der Universität Rostock schreibt. 

Der sogenannte Blinkerwall könnte den Menschen geholfen haben, Rentiere zu erbeuten, vermutet das Forschungsteam im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS). Der Wall liegt rund zehn Kilometer nordwestlich der Stadt Rerik in etwa 21 Metern Tiefe. Er besteht aus fast 1.700 Steinen, ist 971 Meter lang, bis zu zwei Meter breit und meist unter einem Meter hoch. Die Struktur wurde vor etwa 8.500 Jahren von der Ostsee überflutet. 

Etwas Vergleichbares gebe es in Europa nicht, schreibt die Gruppe. Entdeckt wurde der Blinkerwall zufällig im September 2021 bei Kartierungen. Die 1.673 Steine des Walls haben ein Volumen von fast 53 Kubikmetern und wiegen zusammen mehr als 142 Tonnen. Die meisten sind deutlich unter 100 Kilogramm schwer. 

Eventuell Anlage zur Jagd nach Rentieren

Natürliche Ursachen für die Anlage – etwa einen Tsunami, sich zurückziehende Gletscher oder Strömungen unter Wasser – hält das Team für äußerst unwahrscheinlich. Auch andere menschliche Eingriffe als Ursache seien unplausibel. “Die Untersuchungen haben bestätigt, dass eine natürliche Entstehung ebenso unwahrscheinlich ist wie eine Errichtung in moderner Zeit, etwa durch Baumaßnahmen zur Verlegung von Seekabeln oder Steinfischerei. Dafür sind die Steine zu planvoll und regelmäßig angeordnet", erläutert Jacob Geersen, Erstautor der nun in der Zeitschrift PNAS veröffentlichten Studie.

Das Team glaubt, dass Wildbeuter-Gruppen die Anlage zur Jagd nach Rentieren nutzten. "Es wird angenommen, dass in dieser Zeit nicht mehr als 5.000 Menschen in ganz Nordeuropa lebten. Ein Hauptnahrungsmittel dieser Gruppen waren Rentiere, die im jahreszeitlichen
Rhythmus in Herden durch die vegetationsarme nacheiszeitliche Landschaft zogen. Wahrscheinlich diente der Wall dazu, die Rentiere am Rande eines Sees in die Enge zu treiben, so dass sie von den steinzeitlichen Jägern mit Jagdwaffen erlegt werden konnten", erläutert Marcel Bradtmöller von der Universität Rostock. Direkt datiert wurde die Struktur nicht, aber vor 9.800 Jahren war die Region bewaldet und Rentiere zogen seltener vorbei – da hätte eine solche Anlage keinen Sinn mehr ergeben.

Steinzeitliche Lebensweise, Organisation und Jagdmethoden verstehen

Da vor etwa 11.000 Jahren, als das Klima wärmer wurde und sich Wälder ausbreiteten, mit den letzten Rentieren auch die letzten wandernden Herdentiere aus unseren Breiten verschwanden, dürfte die Steinmauer nicht nach diesem Zeitpunkt errichtet worden sein. Die Steinmauer wäre damit das älteste jemals in der Ostsee entdeckte menschliche Bauwerk. "Zwar sind in der Wismarbucht und entlang der Küsten Mecklenburg-Vorpommerns zahlreiche gut erhaltene archäologische Fundstellen aus der Steinzeit bekannt, diese liegen aber in deutlich geringeren Wassertiefen und datieren meist in die Mittel- und Jungsteinzeit (ca. 7.000 - 2.500 v. Chr.)”, erklärt Jens Auer vom Landesamtes für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg- Vorpommern, der an der Erforschung und Beprobung vieler dieser Fundstellen beteiligt war.

Mithilfe des Lumineszenzverfahrens soll versucht werden, die Steinmauer zu datieren. Mit dieser Methode lässt sich feststellen, wann die Oberfläche eines Steins zuletzt dem Sonnenlicht ausgesetzt war. Außerdem ist eine detaillierte Rekonstruktion der umgebenden Landschaft vorgesehen. Insgesamt können die Untersuchungen einen bedeutenden Beitrag zum Verständnis der frühen steinzeitlichen Wildbeutergruppen leisten und helfen, deren Lebensweise, Organisation und Jagdmethoden zu verstehen. 

dpa/cva