Portraitfoto von Nobelpreisträger Professor Dr. Harald zur Hausen
DKFZ J. Jung

Nobelpreisträger Harald zur Hausen
"Ich war überzeugt, dass ich Recht hatte..."

Wie finden Wissenschaftler den nötigen Raum und die Unterstützung, um un­gewöhnlichen Fragestellungen nachzugehen? Antworten ­eines Nobelpreisträgers.

Von Friederike Invernizzi Ausgabe 7/17

Forschung & Lehre: Herr Professor zur Hausen, sind es nach Ihrer Ansicht vor allem die Außenseiter, die der Menschheit neue Wege der wissenschaftlichen Erkenntnis ebnen?

Harald zur Hausen: Wie definiert man Außenseiter? Es sind oft die Querdenker, die nicht notwendigerweise Außenseiter sein müssen, die neue Wege für die wissenschaftlichen Erkenntnisse ebnen. Querdenker sind für mich Wissenschaftler, die sich über die engen Grenzen des eigenen Fachgebiets hinaus wagen. Außenseiter sind eigentlich die, die sich fernab von jedwedem bekannten Pfad bewegen.

F&L: Gab es Phasen in Ihrem Wissenschaftlerleben, in denen Sie sich als Außenseiter gefühlt haben?

Harald zur Hausen: Es gab Phasen in meinem Leben, in denen sich viele der Fachkollegen über mich gewundert haben. Als ich damals postulierte, dass Gebärmutterhalskrebs durch bestimmte Typen von Papillomviren ausgelöst würde, wofür wir zu dem Zeitpunkt noch keinen direkten Anhalt hatten, bin ich oft belächelt worden. Ich war aber davon überzeugt, dass ich Recht hatte und dass der Weg richtig war, den ich beschritten hatte. Ich hatte mich zuvor sehr intensiv mit der Literatur und den Arbeiten, die andere auf ähnlichen Sektoren durchgeführt hatten, beschäftigt. Außerdem bin ich in Westfalen geboren und damit vielleicht ein bisschen dickköpfiger und vielleicht sogar ein bisschen sturer als andere Menschen. Das hat mir auch geholfen, mich durchzusetzen. Heute bin ich als Nobelpreisträger in einer privilegierten Situation, denn mit Kritik ist man mir gegenüber schon etwas vorsichtiger.

F&L: Was zeichnet Querdenker in der Wissenschaft aus?

Harald zur Hausen: Ich würde sagen, es ist vor allem das Anzweifeln von bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten. Es war beispielsweise früher ein Dogma, dass Warzenviren harmlos sind, weil jeder wusste, dass Warzen harmlos sind. Das war nicht korrekt, wie sich später herausgestellt hat. Querdenken bedeutet, über Dinge nachzudenken, die etwas außerhalb der herkömmlichen Meinung liegen. Ein innerer Impuls zu einer gewissen Skepsis  und auch ein sorgfältiges Hinterfragen, auf welcher Basis wissenschaftliche Fakten zustande gekommen sind.

F&L: Wie kam es bei Ihnen zu dieser Skepsis?

Harald zur Hausen: Ich habe zunächst versucht, Medizin und Biologie gemeinsam zu studieren, musste dann aber die Biologie aus finanziellen und Zeitgründen aufgeben. Ich habe aber trotzdem mein relativ breites Interesse sowohl an naturwissenschaftlichen Dingen als auch auch an medizinischen Fragestellungen behalten. Darüber hinaus habe ich nach meiner Medizinalassistenzzeit drei Jahre in einem Institut für medizinische Mikrobiologie gearbeitet. Dort bekam ich wenig Anregungen und war im Grunde genommen auf mich selbst gestellt. Vieles musste ich selbst entwickeln. Das hat mich natürlich zu einigen Trugschlüssen geführt, mir aber auch ein relativ breites Spektrum an Möglichkeiten aufgezeigt, die ich später angehen könnte. Ich glaube, diese Phase war für mich sehr hilfreich. Ich bedaure oft, dass die jungen Leute nach ihrem Studienabschluss heute nicht mehr ähnliche Erfahrungen sammeln können. Außerdem ist es wichtig, wenn man ein interessantes Gebiet entdeckt, es dann auch mit einer gewissen Ausdauer langfristig zu verfolgen. Viele Wissenschaftler enwickeln heute nach ihrer Promotion nicht die notwendige Breite, um die Relevanz des eigenen Fachgebiets im Zusammenhang mit anderen Bereichen zu sehen. Ich habe das oft schon als eine Art von "wissenschaftlicher Inzucht" bezeichnet.