Blick vom knapp 30 Meter hohen Spremberger Turm über Wohn- und Geschäftshäuser im Zentrum der Stadt Cottbus.
picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Hochschulpolitik
Wissenschaftsrat präsentiert Ergebnisse aus Frühjahrs-Sitzungen

Der WR äußert sich zum Hochschulpakt und zu Exzellenzclustern. Er gibt grünes Licht für die erste staatliche Universitätsmedizin in Brandenburg.

24.04.2024

Nach den Frühlingssitzungen des Wissenschaftsrats (WR) vom 17.-19. April wurden einige Beschlüsse und Stellungnahmen bekanntgegeben. Unter anderem äußerte sich das Gremium zur Evaluation des Hochschulpakts 2020, zum zukünftigen Umgang mit langjährig erfolgreich geförderten Exzellenzclustern und zum Aufbau der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem. 

1. Hochschulpakt 2020 ermöglichte zusätzliche Studierende 

Auf Bitte der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) hat der Wissenschaftsrat den Hochschulpakt 2020 evaluiert, das mit 39 Milliarden Euro bis heute umfangreichste Förderprogramm für das deutsche Hochschulsystem. Der Pakt sei als gemeinsame Initiative von Bund und Ländern Mitte der 2000er Jahre ins Leben gerufen worden, um die deutschen Hochschulen für absehbar starke Kohorten von Studierenden offen zu halten. 

Für die zweite Förderphase sei in den Bund-Länder-Vereinbarungen die Pauschale von 22.000 Euro auf 26.000 Euro pro zusätzlicher Studienanfängerin beziehungsweise zusätzlichem Studienanfänger (zStA) erhöht worden. Mit dieser Ausweitung der Mittel sollte ein Beitrag zur Verbesserung der Qualität der Lehre geleistet werden. 

Zwischen 2007 und 2020 hätten dank des Hochschulpakts rund 1,6 Millionen zusätzliche Studienanfängerinnen und -anfänger aufgenommen werden können.  Laut WR-Evaluationsbericht habe sich an den Universitäten die Abbruchquote im Erststudium zwischen 2006 und 2020 um zehn Prozentpunkte auf 35 Prozent erhöht, während sich an den HAW/FH die Quote nahezu halbiert habe (von 39 auf 20 Prozent).

Betreuungsverhältnis stabil geblieben 

Die Anzahl an Professorinnen und Professoren sei laut Bericht zwischen 2005 und 2020 um insgesamt etwa 30 Prozent gestiegen. Bundesweit habe dabei der Frauenanteil 2020 bei rund 26 Prozent und damit im Vergleich zum Programmstart 2007 etwa 10 Prozentpunkte höher gelegen. 

Gemäß der WR-Evaluierung sei dabei das Verhältnis von Studierenden zum hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personal beziehungsweise zu Professorinnen und Professoren zwischen 2005 und 2019 an den Universitäten insgesamt damit stabil geblieben.

"Der Pakt trug zur Stabilisierung eines durch zahlreiche Reformen beanspruchten Hochschulsystems bei, betonte kooperatives Handeln statt Wettbewerb und stärkte die Veränderungsfähigkeit des Hochschulsystems insgesamt", sagt der Vorsitzende des WR, Wolfgang Wick. "Angesichts der aktuellen Herausforderungen der Hochschulen etwa durch Fachkräftemangel, demographischen Wandel, Digitalisierung oder Sanierungsstau sind gemeinsame Anstrengungen aller Akteure im deutschen Hochschulsystem nötig. Die Lehren aus dem Hochschulpakt sollten hierfür genutzt werden", so Wick. 

Hochschulpakt in weiten Teilen Erfolgsmodell 

Die zusätzlichen Mittel aus dem Hochschulpakt ermöglichten es, die Grundaufgaben der Hochschulen während des Kapazitätsausbaus zu finanzieren, wodurch der Bund langfristig in die Finanzierung der Hochschullehre einsteige. Der Pakt zeugte von Solidarität zwischen den Ländern, die nicht alle in gleichem Maß von einer wachsenden Studiennachfrage betroffen gewesen seien. 

Der WR bewertet den Hochschulpakt in weiten Teilen als ein Erfolgsmodell für eine gelungene Bund-Länder-Zusammenarbeit. Positiv wertet der Wissenschaftsrat eine bedarfsorientierte Förderung ohne komplizierte Antragsverfahren und wettbewerbliche Mittelvergabe, einen einfachen Finanzierungsmechanismus zwischen Bund und Ländern sowie die Setzung wichtiger Nebenziele zur Weiterentwicklung des gesamten Hochschulsystems. Durch eine weitgehend flexible Mittelverwendung in den Ländern und an den Hochschulen seien die verschiedenen Ausgangsbedingungen berücksichtigt worden. Die Steuerungssysteme der Länder und die Gestaltungshoheit über ihre Hochschulen seien dadurch nicht eingeschränkt worden. 

Der Wissenschaftsrat hebt in seinem Bericht bezüglich Zielerreichung als positives Beispiel hervor, dass die Anzahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger (StA) im MINT-Bereich von 2005 gegenüber 2020 an den Universitäten von rund 78.800 auf 98.700, an den HAW/FH sogar von rund 54.800 auf 81.300 StA gestiegen sei. Allerdings sei der MINT-Anteil an der Gesamtzahl der StA aller Fächergruppen mit zuletzt rund 37 Prozent im Vergleich zu 2005 damit weitgehend unverändert geblieben.

Präzise Zielvorgaben hätten gefehlt 

Allerdings seien zugunsten der Flexibilität auch Fehlentwicklungen in Kauf genommen worden. Präzisere und ambitioniertere Zielvorgaben hätten dem möglicherweise entgegenwirken können. Zu diesen Fehlentwicklungen zählten die Bildung von Rücklagen in erheblichem Umfang, wodurch die Mittel nicht vollständig und unmittelbar den Kohorten zusätzlicher Studienanfängerinnen und Studienanfänger zugutekamen, eine starke Zunahme befristeter Beschäftigungsverhältnisse für Lehrpersonal sowie eine zu geringe Aufmerksamkeit für die Qualitätsentwicklung des Studiums während des Ausbaus. 

Unter anderem durch die Erhöhung der Pauschalen sei während der Laufzeit des Programms allerdings gegengesteuert worden. Der gewünschte Aufwuchs in den MINT-Fächern sei dadurch erschwert worden, dass kostenintensive Infrastrukturen nicht durch die Pauschalen abgedeckt worden seien, sondern von den Hochschulen aus Grundmitteln hätten geleistet werden müssen. 

Zum 1. Januar 2021 wurde der Hochschulpakt 2020 vom "Zukunftsvertrag Studium und Lehre stärken" abgelöst, der auf manche dieser Beobachtungen bereits reagiert habe. Nur in Zusammenarbeit seien laut Evaluierung unbeabsichtigte Nebenwirkungen von gemeinsamen Förderprogrammen zu bearbeiten. Der WR werde auf Bitte der GWK dieses Anschlussprogramm evaluieren und 2026 einen Bericht vorlegen. 

2. Exzellenzcluster sollen beliebig oft gefördert werden können 

Auf Bitte der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz hat der Wissenschaftsrat Empfehlungen zum zukünftigen Umgang mit langjährig erfolgreich geförderten Exzellenzclustern erarbeitet. 

Der WR empfiehlt, dass Cluster, anders als bislang, künftig beliebig oft Fortsetzungsanträge stellen können. Vor einer dritten und jeder weiteren Förderung müssten sie sich aber, genau wie neu geplante Cluster, in einer Skizzenphase bewähren, bevor sie einen Antrag einreichen dürften. 

"Viele Exzellenzcluster haben sich als Innovationstreiber und internationale Aushängeschilder bewährt, und sollten deshalb auch über die bislang geltende Höchstdauer gefördert werden können", sagt der WR-Vorsitzende Wick. "Der WR empfiehlt, die Möglichkeit zu schaffen, um langjährig erfolgreiche Cluster weiter fördern zu können. Dies aber nicht als institutionelle Dauerfinanzierung, sondern unter der Voraussetzung, dass sie sich weiterentwickeln und sich im Wettbewerb mit neuen Clustern behaupten", betont Wick. 

Für das mögliche Ende einer Förderung vorausplanen 

Der WR halte es für wichtig, dass erfolgreiche und wichtige Strukturen nicht mit dem Auslaufen einer Förderung verloren gingen. Deshalb seien aus Sicht des WR Hochschulleitungen und Exzellenzcluster gefordert, auch für das mögliche Ende einer Förderung zu planen und frühzeitig Anschlussfinanzierungen zu suchen. 

Ziel dieser vorausschauenden Planung müsse es sein, wichtige Strukturen zu erhalten, etwa Forschungs-, Daten- und Transferinfrastrukturen, die im Rahmen eines Exzellenzclusters erprobt, genutzt oder zum Teil erst entwickelt worden seien. In begründeten Ausnahmefällen solle eine Zwischenfinanzierung von höchstens vier Jahren möglich sein. Die Empfehlungen des WR würden frühestens ab dem Ende der kommenden Förderperiode (2032) wirksam werden. 

3. WR gibt grünes Licht für staatliche Universitätsmedizin 

Der Wissenschaftsrat (WR) hat auf Bitte des Landes Brandenburg das Konzept für den Aufbau der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem in Cottbus als erste staatliche Universitätsmedizin des Landes begutachtet und Empfehlungen zur Weiterentwicklung des Konzepts erarbeitet. 

Der WR hält das Konzept zur Gründung einer Universitätsmedizin als eigenständige Medizinische Universität einschließlich der geplanten Überführung des Carl-Thiem-Klinikums (CTK) in Cottbus in ein Universitätsklinikum in Landesträgerschaft für grundsätzlich überzeugend. 

Der WR begrüßt, dass hierfür Bundesmittel im Rahmen des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen sowie Landesmittel in Wissenschaft und Gesundheit investiert würden. Er würdigt insbesondere die innovative Netzwerkidee, die eine enge Verschränkung der universitätsmedizinischen Forschung und Lehre mit Versorgung in der Region vorsehe. 

Umsetzung erfordere raschen Ausbau der Digitalisierung 

Für die Umsetzung müssten nun die Teilkonzepte (Forschungs- und Medizinkonzept, Digitalisierungskonzepte, Lehrkonzept) gut aufeinander abgestimmt weiterentwickelt und präzisiert werden. 

Dringend notwendig sei außerdem der rasche Ausbau der Digitalisierung in der Region, der zügiger erfolgen sollte, als dies bislang vom Land geplant worden sei. Damit wie geplant zum Wintersemester 2026/27 die ersten Studierenden aufgenommen werden könnten, sei es aus Sicht des WR unumgänglich, die vom Land aufgestellten Meilensteine unter Berücksichtigung seiner Empfehlungen einzuhalten. 

"Die Forschungsschwerpunkte 'Gesundheitssystemforschung' und 'Digitalisierung des Gesundheitswesens' sind gesellschaftlich sehr relevant und knüpfen klug an die Stärken und Bedürfnisse der Region an", sagt Wick. "Der Standort Cottbus könnte zu einem Modell dafür werden, wie Digitalisierung für eine optimale medizinische Versorgung der Bevölkerung insbesondere in dünn besiedelten Regionen genutzt werden kann", so Wick. 

Grundstein für die Bewältigung des Fachkräftemangels 

Die Sammlung und Auswertung von Versorgungsdaten sowie die Bereitstellung der Forschungsergebnisse für Versorgungsakteure in der Region könne dazu beitragen, die Herausforderungen des Strukturwandels und des Fachkräftemangels zu bewältigen. Der WR empfiehlt, eine gemeinsame Vision aller beteiligten Akteurinnen und Akteure zu entwickeln, um die digitale Anbindung der Region an die Medizinische Universität tragfähig zu machen. Außerdem sollte ein Gesundheitskonzept erarbeitet werden, das auf die Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern der Region sowie Prävention und Gesunderhaltung ziele und damit den Fokus des Gesamtkonzepts weite. 

Die ersten Professuren müssten aus Sicht des WR klug besetzt werden, um eine Sogwirkung zu entfalten. Die geplante Anzahl von insgesamt 80 Professuren sollte das Land überprüfen und gegebenenfalls erhöhen. Wichtig sei die Kooperation mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg, die für die Weiterentwicklung und Umsetzung des Lehrkonzepts und die interprofessionelle Lehre zentral sei. 

Klinikum mit wissenschaftlichem Profil auf Uni-Niveau 

Für die geplante Überführung des Carl-Thiem-Klinikums (CTK) in Landesträgerschaft sieht der WR das Klinikum derzeit in finanzieller wie personeller Hinsicht gut aufgestellt. Gleichwohl dürften die Risiken und Unwägbarkeiten im Zuge der Überführung nicht unterschätzt werden. Insbesondere müsse das CTK ein wissenschaftliches Profil auf universitärem Niveau ausbilden und eine entsprechende Krankenversorgung etablieren. Der WR betont, dass das Land die Weiterführung der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem nach Auslaufen der Förderung nach dem Strukturstärkungsgesetz im Jahr 2038 nachhaltig auskömmlich budgetieren und hierfür geeignete Finanzierungswege finden müsse, die nicht zulasten der Entwicklungschancen der übrigen Brandenburgischen Hochschulen gehen würden.

Politik zeigt sich zuversichtlich und zukunftsorientiert 

Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle kündigte laut "Research.Table" an, dass das entsprechende Universitätsmedizingesetz noch in dieser Woche zur ersten Lesung in das Parlament komme. Gleichzeitig betonte sie, dass Schnelligkeit nicht vor Qualität kommen dürfe. 

Finanziert werde die neue Universität über die Strukturentwicklungsmittel für den Kohleausstieg. Bis 2038 wolle der Bund 1,9 Milliarden Euro investieren, das Land Brandenburg 1,8 Milliarden. Beim "wichtigsten Termin meiner Amtszeit" bestätigte Manja Schüle, dass Brandenburg die Medizinuni auch danach finanzieren wolle, wenn möglich weiterhin mit einer Beteiligung des Bundes. 

Dazu erklärt Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger in einer Pressemeldung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF): "Durch den Ausstieg aus dem Braunkohleabbau stehen Regionen wie die Lausitz vor großen Herausforderungen. Deshalb stärken wir gezielt die Strukturentwicklung und fördern den forschungsbezogenen Aufbau der Medizinischen Universität Lausitz – Carl Thiem in Cottbus mit Mitteln aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bis 2038". 

Exzellente Forschung sei laut Stark-Watzinger ein wichtiges Standbein einer jeden Universitätsmedizin. Zugleich werde die Medizinische Universität die Gesundheitsversorgung in der Lausitz stärken. Darüber hinaus wirke sie als Motor für die Weiterentwicklung der gesamten Region, mache sie für Fachkräfte und Studierende attraktiver und trage dazu bei, neue Geschäftsmodelle und Arbeitsplätze direkt im Lausitzer Revier entstehen zu lassen.

Dieser Artikel wurde zuletzt am 24.4. um 10:45 Uhr im Themenbereich "Hochschulpakt" aktualisiert. Er wurde bereits am 23.4. im Themenbereich "staatliche Universitätsmedizin" ergänzt und am 22.4.2024 erstmals veröffentlicht.

cva