Eine Rose liegt zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auf einer der Stelen des Holocaust-Mahnmals im Berliner Tiergarten.
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Erinnerungskultur
Aktueller Stand der NS-Aufarbeitung

Was glauben die Deutschen über die NS-Zeit zu wissen? Und was wissen sie tatsächlich? Zu wenig, zeigt der "Multidimensionale Erinnerungsmonitor".

07.05.2021

Viele Deutsche halten sich zwar für gut über den Nationalsozialismus aufgeklärt, haben aber tatsächlich Wissenslücken bezüglich der Opfergruppen, dem Ausmaß der Täterschaft in der deutschen Gesellschaft der NS-Zeit und in ihrem Bewusstsein für die Kontinuitäten zu aktuellen menschenfeindlichen Taten und Einstellungen.

Der "Multidimensionale Erinnerungsmonitor" (MEMO) gibt in diesem Punkt an, dass 20 Prozent der Befragten rechtsextremen Terror wie die Anschläge des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) oder den Anschlag in Hanau im vergangenen Jahr mit der NS-Geschichte in Verbindung bringen. Daneben stünden aber 46 Prozent der Befragten, die sich enthielten oder keine Verbindung sehen würden zwischen aktuellen Ereignissen und dem Nationalsozialismus.

MEMO erforscht die deutsche Erinnerungskultur in Bezug auf die Zeit des Nationalsozialismus. Themen sind neben dem genauen Wissen über Opfer und Täter der NS-Zeit auch der Bezug zu heute. Der Monitor geht beispielsweise der Frage nach, ob der Glaube an Verschwörungserzählungen und die Relativierung historischer Fakten in einem Zusammenhang stehen.

Geschichtsrevision und Corona

Auf Vergleiche zwischen dem Leiden der deutschen Bevölkerung während der Corona-Pandemie und dem Leid von Menschen während der NS-Zeit reagierten laut der Studie 90 Prozent der Befragten mit Ablehnung. Derweil werde aber deutlich, dass diejenigen Befragten, die stärker an Verschwörungserzählungen glaubten, historisch weniger informiert seien und häufiger zu geschichtsrevisionistischen Perspektiven neigten.

Professor Andreas Zick, Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld, das die Studie herausgibt, kommentiert: "MEMO zeigt, dass Menschen, die Verschwörungserzählungen glauben, eher die Bevölkerung während der NS-Zeit von Verantwortung entlasten, das Leiden der NS-Opfer mit dem der Täter gleichsetzen und an der Verfolgung der Jüdinnen und Juden zweifeln".

Neue Formen der Auseinandersetzung

Das Wissen über NS-Unrecht sei kein Selbstzweck, es stärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt und helfe, Geschichtsrevisionismus zu bekämpfen. Neben etablierten Methoden der Vermittlung – etwa Sachbücher, Filme und Gedenkstätten – würden vermehrt neue, digitale Zugänge angeboten. Dies geschehe auch, um auf das Versterben von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu reagieren. In der Befragung zeigten sich jüngere Menschen aufgeschlossener für neue Formen der Auseinandersetzung: Offen seien die Befragten für ein Gespräch mit digitalen Zeitzeugen und Zeitzeuginnen (40 Prozent), der Auseinandersetzung über Podcast-Beiträge (27 Prozent) oder virtuelle Besichtigungen von KZ-Gedenkstätten (26 Prozent). Über alle erfragten Zugänge hinweg ergebe sich jedoch auch ein hoher Anteil derjenigen ohne Interesse an neuen Zugängen, vor allem unter den älteren Befragten. Es bleibe also wichtig zur Aufklärung eine Vielfalt von Angeboten bereitzustellen, um möglichst viele Menschen zu erreichen.

Die der Studie zugrunde liegenden Daten wurden im Auftrag des IKG durch das Umfrageinstitut Ipsos erhoben. Die diesjährige Befragung ist die vierte Ausgabe des "Multidimensionalen Erinnerungsmonitors". Befragt wurden 1.000 zufällig ausgewählte Personen telefonisch zwischen Dezember 2020 und Januar 2021. Die Befragten waren zwischen 16 bis 87 Jahren alt.

cpy