Kunstmuseum Bern mit Fahnen der Ausstellung "Gurlitt: Eine Bilanz"
picture alliance/dpa | Christiane Oelrich

Provenienzforschung
Gurlitt-Bilanz nach Detektivarbeit im Museum

Spurensuche im Gurlitt-Erbe: Eine neue Ausstellung zeigt die Ergebnisse von acht Jahren Provenienzforschung.

16.09.2022

Man muss sich tief hinunterbeugen, um die Schatten einer ausradierten Unterschrift zu entdecken, oder die roten Farbreste eines abgerissenen Stempelaufdrucks. Bei solcher Arbeit stellt man sich eher einen Sherlock Holmes mit Vergrößerungsglas als eine Kunsthistorikerin vor. Aber genau diese Arbeit macht das Kunstmuseum Bern. Es zeigt jetzt die ersten Früchte seiner Arbeit mit dem schweren Gurlitt-Erbe. Die ungewöhnliche Ausstellung wirft einen faszinierenden Blick hinter die Kulissen und hinter die Kunstwerke.

In der Ausstellung "Gurlitt. Eine Bilanz" zeigt das Kunstmuseum nach acht Jahren Forschung, wie es die Geschichte von unzähligen Werken aus dem Gurlitt-Nachlass erforscht hat. Noch längst ist nicht alles klar und die Suche geht weiter, sagt Museumsdirektorin Dr. Nina Zimmer.

Absicht der Kunstausstellung

Das Museum erhielt 2014 überraschend den Nachlass von Cornelius Gurlitt, dem Sohn des während der NS-Zeit aktiven Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt. Der "Schwabinger Kunstfund" mit rund 1.600 Werken hatte zwei Jahre vorher weltweit Schlagzeilen gemacht. Hoffnungen keimten auf, nun Hunderte verschollene, jüdischen Besitzern geraubte Gemälde wiederzufinden. Am Ende war es nur rund ein Dutzend, was an Erben früherer Besitzer zurückgegeben wurde.

Darum geht es in der Ausstellung: Welche Spuren hat die Geschichte an den Kunstwerken hinterlassen? Findet man Hinweise auf Vorbesitzer? Manche Werke liegen mit der Hinterseite nach oben, um Markierungen zu sehen. "Die Ästhetik stand bei der Präsentation nicht im Vordergrund," sagt Kuratorin Dr. Nikola Doll. Einige Werke konnten anhand von Schatten vorheriger Passepartouts den Originalmuseen zugeordnet werden. Reste von Zahlen, die der Katalogisierung in einer bestimmten Sammlung entsprechen, sind auch ein Puzzlestein in der Zuordnung.

Wer war Hildebrand Gurlitt?

Das Museum beschäftigt sich auch mit Hildebrand Gurlitt, der die Sammlung zusammengetragen hat. Was war er für ein Mensch? Zu sehen sind alte Familienfotos, ebenso ein Abstammungsnachweis, den Hildebrand mit devotem Schreiben und "Heil Hitler" einreichte. Es wird auch ein Brief des emigrierten Malers Max Beckmann gezeigt. Dieser war demnach von Gurlitt darum gebeten worden zu bestätigen, dass Gurlitt sich "in abfälliger Weise über das (NS)-Regime geäußert" habe. Beckmann kam diesem Wunsch in dem Brief nach. Schließlich wurde Gurlitt als "Mitläufer" eingestuft und lebte bis zu seinem Tod 1956 als Kunstsammler und Museumsleiter.

Wie ist so eine Biografie in einer Diktatur zu bewerten? "Schwierig", sagt Kuratorin Doll. "Es sind keine Rückschlüsse möglich, was ihn wirklich bewegte und seine Entscheidungen beeinflusste." Sie überlässt das Urteil dem Publikum.

Umgang der Schweiz mit enteignetem jüdischen Eigentum

Die Provenienzforschung des Kunstmuseums Bern gilt als beispielhaft. Die Übernahme des Gurlitt-Erbes sei in der Schweiz ein Wendepunkt gewesen, sagt Dr. Marcel Brülhart vom Stiftungsrat. Heute sei klar, dass man sich um Aufklärung bemühe und "die Problematik nicht aussitzt". Das war nicht immer so. Vor 20 Jahren erntete die Schweiz weltweit Kritik für ihren Umgang mit jüdischen Vermögen auf Schweizer Banken. "Wir können uns nicht wieder blamieren", sagt Brülhart.

Deshalb ärgert er sich über das Kunsthaus in Zürich. Im Interview mit dem "Tages-Anzeiger" verurteilte er dessen Umgang mit der umstrittenen Bührle-Sammlung als "unprofessionell". In der Sammlung, die dort seit Herbst 2021 zu sehen ist, sind Werke zweifelhafter Herkunft, die die Stiftung selbst nach Meinung von Kritikern nur ungenügend untersucht hat. Dass das Kunsthaus die Aufklärung nicht resolut vorantreibe, werde "langsam belastend für den Kunstplatz Schweiz", sagte Brülhart. Das Kunsthaus weist die Kritik zurück.

Christiane Oelrich (dpa)