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Buchtipps – Teil 1
Was andere gerne lesen

Das Jahresende lädt zum Lesen ein. Wir haben wieder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, welche Bücher sie empfehlen.

24.12.2021

Daniel Mark Eberhard empfiehlt: Wolfgang Welsch: Ich war Staatsfeind Nr. 1. Als Fluchthelfer auf der Todesliste der Stasi. Piper Verlag 2006.

Portraitfoto von Prof. Dr. Daniel Mark Eberhard
Daniel Mark Eberhard hat die Professur für Musikpädagogik und Musikdidaktik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt inne. Hubert Klotzeck

Das Thema "Freiheit" beschäftigt mich als Wissenschaftler, Künstler, Pädagoge, Familienvater und nicht zuletzt als Wildwasserkajaker in unterschiedlicher Weise. Entsprechend intensiv und nachhaltig haben mich die Erlebnisse des Autors im Zusammenhang mit seinem Fluchtversuch aus der DDR sowie als Kandidat auf der Todesliste der Stasi berührt. Die durch zahlreiche Zeitzeugen gestützten Schilderungen sind bei aller fragloser Authentizität so unglaublich und packend, dass das Buch kaum eine Lesepause zulässt. Ich empfehle es als Grundlagenlektüre in der weiterführenden Schule, damit nicht (wieder) Jahrzehnte vergehen, bis Verdrängung durch Aufarbeitung ersetzt wird.


Christine Langenfeld empfiehlt: Thomas Buergenthal: Ein Glückskind – Wie ich als kleiner Junge Auschwitz überlebte und ein neues Leben fand. Fischer Verlag 2007, 2. Aufl., 2015.

Portraitoto von Prof. Dr. Christine Langenfeld
Christine Langenfeld hat einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen inne und ist Richterin des Bundes­verfassungsgerichts. SVR, Sachverständigenrat für Migration und Integration

Glücklich begann die Kindheit von Thomas Buergenthal in Lubochna. Doch dann kam die Hölle. Als Juden verfolgt flieht die Familie nach Polen und wird verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Als eines von nur wenigen Kindern überlebt Thomas einen der berüchtigten Todesmärsche im Eiswinter von 1944. Nach dem Krieg studiert Thomas Buergenthal Recht in den USA und wird zu einem der international profiliertesten Völker- und Menschenrechtler. Von 2000 bis 2010 war er amerikanischer Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

Die Lektüre dieser so anrührend und ohne Bitterkeit geschriebenen Lebensgeschichte eines jüdischen Jungen, der den Schrecken des Holocaust auf wundersame Weise überstand, hat mich sehr bewegt. Immer wieder spricht Thomas Buergenthal von dem „Glück“, das ihm das Überleben gegen alle Wahrscheinlichkeit sicherte. Mit unerschütterlichem Optimismus und Glauben an das Recht und seine Institutionen widmet er sein berufliches Leben den Menschenrechten und dem Völkerrecht, um dabei zu helfen, dass sich die schreckliche Vergangenheit nicht wiederholt. Ich wünsche, dass viele Leser die Ermutigung und Kraft erfahren, die von diesem außergewöhnlichen Leben ausgehen.


Claus Leggewie empfiehlt: Barbara Beuys: Emilie Mayer. Europas größte Komponistin. Eine Spurensuche. Dittrich Verlag 2021.

Portraitfoto von Prof. Dr. Claus Leggewie
Claus Leggewie ist Inhaber der Ludwig-Börne-Professur an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Honorary Fellow im Thomas Mann House in Los Angeles. privat

Auf dem Berliner Dreifaltigkeitsfriedhof I (Grablage: II-W-C-34) befindet sich seit Kurzem ein Ehrengrab des Berliner Senats. Gewidmet ist es der zweihundert Jahre zuvor in Friedland geborenen Komponistin Emilie Mayer. Zu ihren Lebzeiten galt sie als "weiblicher Beethoven". Je acht Sinfonien und Streichquartette, ein gutes Dutzend Sonaten und viele kleinere Stücke begründeten dieses Urteil, das die männlichen Kritiker widerstrebend bis gönnerhaft über das angebliche „unicum in der musikalischen Weltgeschichte“ abgaben.

Barbara Beuys, eine erfahrene Biografin zahlreicher Künstlerinnen, ordnet die emanzipierte, in viele gesellschaftliche Netzwerke eingebundene Frau in den Kontext der Geschichte des 19. Jahrhunderts ein und beschreibt, wie "Europas größte Komponistin" in Vergessenheit geraten ist und viele Kompositionen verschollen sind.


Sabine Kunst empfiehlt: Iwan-Michelangelo D’Aprile: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 3. Aufl. 2019.

Portraitfoto von Prof. Dr. Sabine Kunst
Sabine Kunst ist Präsidentin der Humboldt-Universität zu Berlin und ehemalige Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Brandenburg. Matthias Heyde

In meiner Wahlheimat Brandenburg habe ich Theodor Fontane wiederentdeckt. Tradition, Landschaft und Kolorit der Region sind in wunderbarer Weise im Lebenswerk Fontanes nachzuvollziehen – auch und gerade im Zuge eigener Wanderungen durch das Grün. In dem 2018 erschienenen Epochenporträt "Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung" von Iwan-Michelangelo D’Aprile wird der 1819 in Neuruppin geborene Schriftsteller aber auch als Seismograph der Moderne geschildert, als Wanderer zwischen den Welten und Erfinder neuer Formen des Schreibens. Ein schönes Buch zum Schmökern in der Winterzeit.


Diese Buchempfehlungen sind zuerst in der Dezember-Ausgabe von Forschung & Lehre erschienen.