Zeichnung vom Kopf eines Mannes hinter einem DNA-Strang
picture alliance / Westend61 | Gary Waters

Genetik
Wie das Y-Chromosom den Krebs bekämpft

Es ist das letzte Chromosom, das Forschenden noch Rätsel aufgibt. Seine Entschlüsselung kann bei der Bekämpfung von Krebs helfen.

24.08.2023

Selbst nach großen Erfolgen bei der vollständigen Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2022 blieb das Y-Chromosom das letzte Chromosom mit bedeutenden unbekannten Sequenzabschnitten. In zwei kürzlich veröffentlichten Artikeln im Fachjournal "Nature" werden nun der Aufbau und die Analyse des menschlichen Y-Chromosoms präsentiert. Diese Forschungsergebnisse schließen Lücken in der bisherigen Referenzsequenz des Y-Chromosoms und liefern Erkenntnisse über dessen Entwicklung und Variation in verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Das gab die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) in einer Pressemitteilung bekannt.

Anwendungen in der medizinischen Praxis

Dr. Peter Ebert und Professor Tobias Marschall waren auf Seiten der HHU an einer der Studien beteiligt. Sie betonen auf Anfrage gegenüber "Forschung & Lehre"dass die bessere Erforschung des Y-Chromosoms insbesondere in der Medizin dabei helfen kann, personalisierte Diagnosen und Therapien zu ermöglichen und so Krebserkrankungen effektiver zu bekämpfen. Als Beispiel nennen sie den Fall Blasenkrebs, bei dem 10 bis 40 Prozent der Patienten das Y-Chromosom verlieren.

"Erst kürzlich wurde ebenfalls in 'Nature' von Abdel-Hafiz et al. eine Studie präsentiert, in der der Verlust des Y-Chromosoms mit einer schlechten Prognose für Blasenkrebs in Zusammenhang gebracht wird", so Ebert und Marschall über die Studie, an der sie nicht beteiligt waren. Es stelle sich aber die Frage, ob tatsächlich der vollständige Verlust des Y-Chromosoms entscheidend gewesen sei, oder ob nicht auch kleinere genetische Veränderungen auf dem Y-Chromosom bereits prognostische Hinweise geben könnten.

Diese Frage zu klären, sei entscheidend. Denn die Autoren der Studie gingen auch davon aus, dass ein Verlust des Y-Chromosoms dazu führte, dass Patienten besser auf bestimmte Therapien gegen Blasenkrebs ansprangen. "Um solche Fragen zu beantworten, ist es essenziell, das Y-Chromosome komplett zu kennen und auch zu verstehen, was normale – im Sinne von nicht krankheitsbedingte – genetische Variation auf dem Y-Chromosom ist", so Ebert und Marschall. "Die Antworten, die man im Laufe der Zeit findet, können und werden in vielen Fällen von Mensch zu Mensch unterschiedlich sein, was eine personalisierte Therapie erst möglich macht."

Was haben die Forschenden in der Studie herausgefunden?

In ihrer Studie, an dem ein internationales Forschungsteam beteiligt war, sequenzierten und rekonstruierten die Forschenden die Y-Chromosomen von 43 männlichen Individuen aus 21 unterschiedlichen menschlichen Bevölkerungen. Die komplexe Zusammenstellung dieser 43 Y-Chromosomen gleiche einer riesigen Puzzlearbeit, hieß es in der Pressemitteilung der HHU.

Die zusammengesetzten Sequenzen sollen einen tieferen Einblick in die genetische Entwicklung der Y-Chromosomen über einen Zeitraum von 183.000 Jahren menschlicher Evolution ermöglichen. Sie offenbaren neue DNA-Sequenzen, markante Bereiche von konservierten Regionen und Einblicke in die molekularen Mechanismen, die zur komplexen Struktur des Y-Chromosoms beigetragen haben.

Das Y-Chromosom wird immer genauer entschlüsselt

Erst vor kurzem wurde die Bedeutung des Y-Chromosoms allgemein für die Anfälligkeit von Männern für bestimmte nicht geschlechtsspezifische Krebserkrankungen im Vergleich zu Frauen herausgestellt. Im Juni 2023 veröffentlichte "Nature" zwei Studien, die den Einfluss des Y-Chromosoms auf Krebserkrankungen bei Männern beleuchteten. Dies deutet darauf hin, dass genetische Faktoren neben den vorher angenommenen Unterschieden im Lebensstil von Männern und Frauen eine Rolle spielen könnten.

"Um diese Erkenntnisse nun tiefgehend zu erforschen, ist es notwendig, das Y-Chromosom komplett zu kennen", so Ebert in der Pressemitteilung der HHU. Er verweist darin auch auf die gleichzeitige Publikation von Adam Phillippy und des Telomere-to-Telomere-Konsortiums in "Nature".

In dieser Veröffentlichung wird erstmals die vollständige Sequenz eines menschlichen Y-Chromosoms mit 62.460.029 Basenpaaren präsentiert. Dies hat zur Schließung von Lücken und zur Korrektur von Fehlern in der aktuellen Referenzgenomsequenz des menschlichen Y-Chromosoms geführt. Diese Fortschritte unterstützen zudem vergleichende Studien, die eine umfassendere und präzisere Beschreibung der genetischen Variation durch möglichst vollständige Y-Chromosomen ermöglichen, wie sie in der aktuellen Studie des "Human Genome Structural Variation Consortium" (HGSVC) beschrieben werden, an der das Düsseldorfer Institut maßgeblich beteiligt war.

cle