Karriere an Hochschulen
"Mehr Beweglichkeit und weniger Struktur-Konservativismus"
Forschung & Lehre: Herr Professor Wick, die Beschäftigungsbedingungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden seit Jahren diskutiert. Bereits 2014 kam der Wissenschaftsrat zu dem Schluss, dass die Karrierewege im deutschen Wissenschaftssystem reformbedürftig seien. Was hat sich seitdem verändert?
Wolfgang Wick: Die demografische Entwicklung und der auch an den Hochschulen stärker spürbare Fachkräftemangel haben dazu geführt, dass die Diskussion zunehmend produktiv geführt wird. Der Druck nimmt zu, nicht nur über gute Perspektiven in der Wissenschaft zu diskutieren, sondern diese auch zu bieten, um den Wissenschaftsstandort Deutschland zu sichern.
F&L: Was halten Sie bereits für erreicht und was ist noch zu tun?
Wolfgang Wick: Die Politik hat erkannt, dass die Befristungspraxis während und nach der Promotion unattraktiv ist, und geht dies mit der aktuellen Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes an. Aber eine gute arbeitsrechtliche Lösung, die alle Beteiligten zufriedenstellt, ist nicht leicht zu finden, das zeigt sich an den Verzögerungen im Gesetzgebungsprozess. Der Gesetzentwurf hat das Ziel, dass die Qualifizierungsphasen nur so lange wie nötig sind und kurze Kettenverträge verhindert werden.
Programme wie das Tenure-Track-Programm haben wichtige Anstöße gegeben, um Karrierewege planbarer zu gestalten, doch die Juniorprofessur mit Tenure Track ist nur ein Karriereziel und führt nur zur Professur. Wir brauchen mehrere Ziele und Wege für eine berufliche Laufbahn an den Hochschulen. Die starke Fokussierung auf die Professur beeinträchtigt die Attraktivität einer Tätigkeit in der Wissenschaft.
"Wir brauchen mehrere Ziele und Wege für eine berufliche Laufbahn an den Hochschulen."
Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats
F&L: Inzwischen wollen mit Abstand die meisten Postdocs eine entfristete Stelle neben der Professur. Wie könnten solche Stellen aussehen?
Wolfgang Wick: Ich sehe zwei Hauptkategorien von Stellen, die man in englischsprachigen Ländern zum einen als Lecturer und zum anderen als Senior Scientists und im Deutschen etwa als Dozenten oder als Forschungsgruppenleiter bezeichnen würde. Vielleicht fallen uns da noch bessere Begriffe ein. Die Lecturer sollten nicht nur Lehraufgaben erfüllen, sondern es sollte sich um wissenschaftlich qualifiziertes Personal handeln mit oder ohne Promotion, das auf Dauer in den Kernaufgaben der Hochschulen eingesetzt wird, allerdings weisungsgebunden.
Senior Scientists sollten promoviert sein und weitere Forschungsleistungen erbracht haben. Sie würden möglichst eigenständig in Forschung und Lehre agieren, sich aber in der Ausstattung von einer Professur unterscheiden. Für wichtig halte ich bei beiden Stellenkategorien eine öffentliche Ausschreibung und kompetitive Besetzung. Auch sollten sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf diesen Stellen weiterentwickeln und mit Erfolgsaussichten auf eine Professur bewerben können. Es ist wichtig, hier eine gewisse Durchlässigkeit zu haben.
F&L: Wer würde die Leitung eines Lehrstuhls oder Fachbereichs übernehmen?
Wolfgang Wick: Angenommen, eine große Arbeitsgruppe oder eine Abteilung widmet sich einem bestimmten Thema sehr ausführlich und differenziert, möglicherweise mit verschiedenen Schwerpunkten: In diesem betrachteten Fall könnten einzelne Senior Scientists gemeinsam mit Doktoranden und Lecturern in der Arbeitsgruppe jeweils ein oder zwei Aspekte in der Tiefe bearbeiten.
Die Aufgabe der Professorin oder des Professors wäre es, den Gesamtüberblick zu wahren und die Arbeitsgruppe insgesamt zu koordinieren, ihr themenübergreifende Impulse zu geben und Drittmittel einzuwerben. Sie wären außerdem Vorgesetzte der gesamten Gruppe und hätten wichtige Funktionen in der akademischen Selbstverwaltung inne. Das Lehrdeputat könnte auf die gesamte Arbeitsgruppe bezogen und von deren Mitgliedern arbeitsteilig erfüllt werden.
F&L: Der Wissenschaftsrat hat empfohlen, Dauerstellen, die für unbefristete Beschäftigungsverhältnisse genutzt werden, vermehrt auf der Ebene der jeweils übergeordneten Organisationseinheit anzusiedeln und nicht einzelnen Professuren zuzuordnen. Was ist mit "übergeordnet" gemeint und wie könnte das etwa in den Geisteswissenschaften aussehen?
Wolfgang Wick: Wir müssen hier unterscheiden zwischen wissenschaftsnahen Aufgaben und wissenschaftlichen Aufgaben. Im ersten Fall braucht man zwar eine wissenschaftliche Ausbildung, ist dann aber fachübergreifend tätig, beispielsweise im Wissenschaftsmanagement oder in der Wissenschaftskommunikation. Dieses Personal sollte sinnvollerweise bei einer entsprechenden Organisationseinheit angesiedelt sein. Dann gibt es Personen, die etwa Methoden weiterentwickeln oder wissenschaftliche Geräte und Technologien betreuen. Das tun sie oft nicht nur für eine Professur oder Arbeitsgruppe. Auch sie sollten einer übergeordneten Organisationseinheit angehören.
Außerdem gibt es Personen in der Qualifikationsphase, die sinnvollerweise zu einer Arbeitsgruppe gehören. Wer diese Phase hinter sich hat und unbefristet Daueraufgaben in Forschung und Lehre übernimmt, muss nicht zwangsläufig einer Professur zugeordnet sein. Hier sollte über eine Pool-Lösung nachgedacht werden, die diesen promovierten und erfahrenen Personen mehr Eigenständigkeit verschaffen würde. Das gilt grundsätzlich für alle Fächer. In den Geisteswissenschaften, in denen es oft keine Arbeitsgruppen gibt, könnten solche Poollösungen beispielsweise auf Institutsebene sinnvoll sein.
F&L: Wie würde sich die Qualifikation für Professuren und Stellen neben der Professur unterscheiden?
Wolfgang Wick: Formal muss das kein großer Unterschied sein, es könnten auch beide Stelleninhaber habilitiert sein, schließlich könnte sich ein Senior Scientist auch noch um eine Professur bewerben, für die er eine Habilitation bräuchte. Ich könnte mir vorstellen, dass innerhalb desselben Instituts die Anforderungen unterschiedlich gewichtet werden könnten, je nachdem, ob es sich um eine Position mit einer bestimmten Spezialisierung handelt oder um ein breiteres Aufgabenspektrum, das auch Führungsaufgaben beinhaltet. Jedenfalls wäre es sehr wichtig, die fachliche Expertise der hochqualifizierten Personen nicht zu verlieren und diese im Wissenschaftssystem zu halten, denn wir brauchen sie.
"Jedenfalls wäre es sehr wichtig, die fachliche Expertise der hochqualifizierten Personen nicht zu verlieren und diese im Wissenschaftssystem zu halten, denn wir brauchen sie."
F&L: Die Wissenschaft lebt vom Wechsel an Personal und neuen Impulsen. Sehen Sie eine Gefahr darin, dass diese bei mehr Entfristungen zu kurz kommen?
Wolfgang Wick: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler streben nach herausfordernden und spannenden Aufgaben, solange sie die Möglichkeit haben, ihre Arbeit fortzusetzen und gut ausgestattete Stellen zu erhalten. Das bedeutet aber nicht, dass sie dann für immer auf diesen Stellen bleiben. Engagierte und qualifizierte Personen suchen nach neuen Herausforderungen und dazu gehört auch der Wechsel zwischen Hochschulen. Dazu sind öffentlich ausgeschriebene Stellen mit Bestenauswahl wichtig. Dann kann man sich weiterhin im System bewegen und entwickeln.
F&L: Eine Professur ist mit viel Verantwortung über den eigenen Forschungsbereich hinaus verbunden. Wie kann im Sinne des Wissenschaftssystems sichergestellt werden, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Verantwortung noch wahrnehmen?
Wolfgang Wick: Vielleicht muss man Ihre Frage umdrehen: Sollte man jemandem Personalverantwortung übertragen, der dafür nicht geeignet ist, nur weil sie oder er ein hervorragender Fachwissenschaftler ist? Für solche Personen wäre es doch ideal, wenn wir Stellenkategorien mit einem anderen Aufgabenprofil als dem der Professur hätten. Außerdem bin ich zuversichtlich, dass sich für die Führungsaufgaben und damit für die Professur auch in Zukunft genügend viele Bewerberinnen und Bewerber finden werden.
F&L: Was bedeutet es für die Außenwahrnehmung von bestimmten Fachbereichen, wenn der Lehrstuhlinhaber oder die Lehrstuhlinhaberin nicht mehr im Fokus steht?
Wolfgang Wick: Wenn wir Expertise auf mehrere Köpfe verteilen, wird jedes spezifische Thema besser und profilierter besetzt sein. Ich sehe nicht weniger Experten, sondern eher mehr, besonders im Vergleich zu anderen Ländern wie den USA. Die Profilierung und Sichtbarkeit bestimmter Themen würde sich durch eine solche Struktur verbessern.
"Wenn wir Expertise auf mehrere Köpfe verteilen, wird jedes spezifische Thema besser und profilierter besetzt sein."
F&L: Für welches Verhältnis zwischen Professuren und entfristeten Stellen neben der Professur plädieren Sie?
Wolfgang Wick: Der Wissenschaftsrat hat schon 2014 gesagt, dass das Verhältnis zwischen Professuren und unbefristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möglichst ausgeglichen sein sollte. Mehr Personal für wissenschaftsnahe Unterstützungsleistungen und wissenschaftliche Dienstleistungen könnte Professorinnen und Professoren enorm entlasten, diese könnten sich wieder intensiver ihren Kernaufgaben widmen und müssten nicht mehr für alles zuständig sein. Dazu müssten die Fakultäten ihren Personalbedarf allerdings besser und übergreifender planen als bisher üblich.
F&L: Worauf kommt es bei nicht-wissenschaftlichen Stellen an?
Wolfgang Wick: Wir brauchen auf allen Ebenen exzellente Qualifikation. Das Wissenschaftsmanagement beispielsweise, das Lehre und Qualitätssicherung koordiniert oder bei Drittmittelanträgen berät und unterstützt, hat eine sehr spezifische Aufgabe, für deren Erfüllung auch Zusatzqualifikationen erforderlich sind. Wir müssen in den Instituten Arbeitsteilung mehr wertschätzen und uns von der Fokussierung auf die Professur lösen. Es gibt historische Beispiele von Fachleuten, die keinen Professorentitel hatten, aber tiefes Verständnis und Verantwortung in technischen Bereichen, wovon die Wissenschaft sehr profitierte. Wissenschaftsunterstützend heißt nicht automatisch „nicht-wissenschaftlich“.
"Wir müssen in den Instituten Arbeitsteilung mehr wertschätzen und uns von der Fokussierung auf die Professur lösen."
F&L: Wo müssen Politik und Wissenschaft jetzt ansetzen?
Wolfgang Wick: Hochschulen müssen im ersten Schritt entschlossener Gebrauch machen von den Spielräumen, die schon bestehen. Sie haben mehr Möglichkeiten, als sie aktuell nutzen, sei es für Dauerstellen oder für neue Personalstrukturen. Über die beste Ausgestaltung sollten sie stärker diskutieren. Sie könnten sich dann mit viel mehr Empirie und Plausibilität in die Diskussion um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz einbringen.
F&L: Sie haben sich für Ihre Amtszeit vorgenommen, die Positionen des Wissenschaftsrats besser als bisher bekanntzumachen und damit voranzubringen – wann würden Sie mit Blick auf die Forderung nach zukunftsfähigen Karrierewegen in der Wissenschaft von einem Erfolg sprechen?
Wolfgang Wick: Wenn nicht nur die Länder, unseren Empfehlungen folgend, die Hochschulgesetze ändern, sondern die Hochschulen von den Möglichkeiten auch Gebrauch machen. Etwas mehr Beweglichkeit und weniger Strukturkonservativismus würde ich mir schon wünschen. Das Ziel sind Verbesserungen, die die Wettbewerbsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems stärken und die Arbeit in der Wissenschaft attraktiver machen.
Hochschulentwicklung – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"
Die Maiausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der "Hochschulentwicklung".
Die Beiträge:
- Lambert T. Koch: Einheit in Vielfalt. Wie organisiert sich die Wissenschaft heute?
- Im Gespräch mit Manfred Bayer: Auf Allianzen setzen. Der Rektor des Jahres 2024 im Gespräch
- Stefan Süß | René Schmoll: Daueraufgabe "Arbeitgebermarketing". Implikationen zum Aufbau einer Arbeitgebermarke an Hochschulen
- Im Gespräch mit Wolfgang Wick: Mehr Beweglichkeit. Ziele und Wege einer beruflichen Laufbahn an der Hochschule
Auch haben wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie die Wissenschaft als Arbeitgeber attraktiv bleibt. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!