Das Bild zeigt ein Glas mit sprudelndem Wasser und dem Schriftzug Antibiotika
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Forschungszentrum
Weltweit 700.000 Tote im Jahr durch Antibiotika-Resistenz

Forscher warnen vor einem drastischen Anstieg von Antibiotika-Resistenzen. Die Zahl der Todesfälle könnte sich mehr als verzehnfachen.

03.09.2018

Krebstherapien, Kniegelenkersatz, eine neue Niere – was für Millionen Patienten weltweit selbstverständlich scheint, wäre ohne die Entdeckung von Antibiotika vor 90 Jahren weitaus riskanter. Mit solchen Substanzen werden lebensgefährliche Bakterien, die sich bei Eingriffen verbreiten können, in Schach gehalten. Seit einigen Jahren aber schlagen Gesundheitsexperten Alarm, weil die Waffe gegen tödliche Infektionen stumpf zu werden droht. Die Zahl der Resistenzen gegen Antibiotika wächst rasant, viele Bakterien lassen sich nicht mehr kleinkriegen

Rund 700.000 Menschen sterben nach Schätzungen jedes Jahr weltweit an Infektionen, gegen die keine Antibiotika mehr helfen. Die Zahl können auf zehn Millionen Menschen im Jahr steigen, wenn Forscher das wachsende Problem der Resistenzen von Bakterien gegen Antibiotika nicht in den Griff bekämen, heißt es in einer aktuellen Studie des Mahidol Oxford Research Centre (MORU) in Bangkok und des Infectious Diseases Data Observatory (IDDO) in Oxford.

In vielen Ländern breiten sich Bakterien aus, die gegen Antibiotika immun sind. In den schlimmsten Fällen haben Ärzte dann keine Mittel mehr, um lebensgefährliche Infektionen zu stoppen.

Das Forscherteam errechnete, dass die zunehmenden Resistenzen für die Gesellschaft schon jetzt auch eine immense finanzielle Bürde sind. Sie haben die Kosten von Antibiotikaresistenzen – etwa höhere Todesraten, Einkommensausfälle und Mehraufwand für Diagnosen – zum Vergleich auf jeweils eine einzelne Behandlung mit Antibiotika heruntergerechnet.

In Thailand kostet demnach eine mehrtägige Behandlung mit dem Breitband-Antibiotikum Amoxicillin weniger als zwei Dollar, die Kosten durch Resistenzen beliefen sich aber auf mehr als das Fünffache. In den USA koste eine Behandlung mit demselben Mittel weniger als zehn Dollar, die Resistenzkosten lägen bei 18,60 Dollar. Hochgerechnet auf ein ganzes Land kommen so Millionenbeträge zusammen.

Verhältnismäßig wenige Resistenzen in Deutschland

Der Anteil der Resistenzen gegen Antibiotika unterscheidet sich schon innerhalb der EU stark: In Süd- und Mitteleuropa – etwa Spanien, Italien, Griechenland, Ungarn, Rumänien, Polen – seien teils weit über 50 Prozent bestimmter Bakteriengruppen gegen einzelne Antibiotika resistent. In Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien sind es meist deutlich unter zehn Prozent. In Griechenland und Zypern liegt der Verbrauch von Antibiotika pro 1.000 Einwohnern etwa doppelt so hoch wie in Deutschland.

In manchen Ländern sind Antibiotika gar an der Straßenecke oder auf den Markt erhältlich. In anderen werden die Wirkstoffe von skrupellosen Geschäftemachern verdünnt. Ein falsches oder unwirksames Mittel oder eine falsche Dosierung sorgen aber dafür, dass Bakterien sich an die Medikamente anpassen, dass sie überleben.

Nötig wären neuartige Wirkstoffe mit neuen Wirkmechanismen, sagt Marc Sprenger von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf. Die Wissenschaft habe aber seit 30 Jahren praktisch keine neuen Angriffsflächen mehr gefunden. "Es sind neue Medikamente in der Forschungspipeline, aber wahrscheinlich haben wir in fünf bis sieben Jahren nur noch ein oder zwei potenzielle neue Präparate", sagt er. Die Grundlagenforschung ist teuer und der Aufwand, ein Präparat zu entwickeln, das später möglichst wenig eingesetzt wird, lohnt sich für Pharmafirmen eher nicht.

"Wir brauchen starke Gesundheitssysteme, damit Antibiotika nur über Ärzte nach Abklärung der Notwendigkeit ausgegeben werden", sagt Sprenger. Dabei müssten reiche Länder die ärmeren unterstützen. "Die G20 haben sich unter deutscher Präsidentschaft dazu verpflichtet, die Erforschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe kraftvoll voranzutreiben", sagte Gesundheitsminister Hermann Gröhe 2017.

Die WHO verstärke Aufklärungskampagnen für Ärzte und Patienten. In Indien und China, wo viele der Antibiotika hergestellt werden, seien Rückstände aus Fabriken teils in die Umwelt gelangt. Inzwischen seien sich die Länder des Problems bewusst und kümmerten sich.

dpa