Karriere
Der Gender-Pay-Gap bei Professuren muss auf den Prüfstand
Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) hat für Aufruhr gesorgt. Im Kern der Sache geht es darum, dass der Klägerin ein Entgelt-Ausgleichsanspruch zugebilligt wurde, der darauf beruht, dass ihr Kollege bei gleicher Arbeit eine höhere Vergütung erhielt, die der Arbeitgeber damit begründete, der männliche Mitarbeiter habe besser verhandelt. Auch das Verwaltungsgericht Freiburg (AZ: 5 K 664/21) hat der Schadensersatzklage einer früheren Bürgermeisterin stattgegeben (auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes), der zugrundelag, dass sowohl ihrem Vorgänger als auch ihrem Nachfolger im Amt eine Besoldung nach einer höheren Besoldungsgruppe (B4) als ihr selbst (B3) gewährt wurde. In diesem Fall sei es zu den "Ungleichbesoldungen" gekommen, weil der zuständige Gemeinderat die besondere Schwierigkeit des Amts in der Kommune unberücksichtigt gelassen habe und so die Stelle im Fall der Klägerin zu niedrig eingestuft habe.
Diese Entscheidungen verdeutlichen, so unterschiedlich sie sein mögen, dass reale oder auch vermeintliche Gender-Pay-Gaps bei der Professorinnen- und Professorenbesoldung auf den Prüfstand gehören. Betrachtet man die nackten Zahlen aus dem Jahr 2021, so gibt es in der Besoldungsgruppe W1 einen relativ geringen Gender-Pay-Gap (150 Euro brutto monatlich), in der Besoldungsgruppe W2 liegt er demgegenüber bei 320 Euro. Offensichtlicher wird der Gender-Pay-Gap aber in der Besoldungsgruppe W3, in der die männlichen Stelleninhaber im Monatsdurchschnitt brutto 9.600 Euro erhalten, während Professorinnen nur auf 8.940 Euro kommen (siehe zu alledem: Detmer, Forschung & Lehre 12/2022, S. 956f.). Lassen sich diese unterschiedlichen Durchschnittswerte nun damit erklären, dass männliche Kandidaten "besser" im Sinne von "hartnäckiger" und auch "erfolgreicher" verhandeln als ihre Kolleginnen?
Die rechtlichen Grundzüge der W-Besoldung sind relativ klar. Neben dem als Mindestbezug gewährten Grundgehalt können variable Leistungsbezüge vergeben werden. Aus Anlass von Berufungs- und Bleibeverhandlungen können Berufungs- und Bleibeleistungsbezüge verhandelt werden. Darüber hinaus kann es für besondere Leistungen in Forschung, Lehre, Kunst, Weiterbildung und Nachwuchsförderung sogenannte besondere Leistungsbezüge geben, die in aller Regel nach einer bestimmten Wartezeit bei Vorliegen besonderer Leistung beantragt werden können. Ferner gibt es für die Wahrnehmung von Funktionen oder besonderen Aufgaben in der Hochschulselbstverwaltung sogenannte Funktions-Leistungsbezüge, für die ein mehr oder minder engmaschig gestrickter normativer Rahmen besteht. Komplettiert werden die variablen Besoldungselemente noch durch eine sogenannte Forschungs- und Lehrzulage, die unter bestimmten Voraussetzungen für Forschungsprojekte aus den Drittmitteln als Besoldungselement gezahlt wird.
Verhandlungsgeschick in Berufungsverfahren
Von zentralem Interesse sind im Hinblick auf die Fragestellung, ob in der W-Besoldung auch nach "Verhandlungsgeschick" oder gar mit Blick auf das Geschlecht besoldet wird, speziell die Situationen, in denen eine Professorin oder ein Professor gewonnen oder an der Heimathochschule gehalten werden soll (Berufungs- beziehungsweise Bleibe-Leistungsbezüge). Hier steht das "Verhandlungsmoment" im Vordergrund, während jedenfalls im Hinblick auf die anderen Spielarten der Leistungsbezüge Verhandlungen eher eine marginale Rolle spielen.
"Die Antwort auf die Frage, ob Besoldung von Geschlecht, Glück oder Geschick abhängig sein kann, ist schwerlich zu finden."
Welche Bedeutung kommt also dem Verhandlungsgeschick oder gar dem Geschlecht zu? Ein Blick in die Praxis veranschaulicht, dass die Antwort auf die Frage, ob Besoldung von Geschlecht, Glück oder Geschick abhängig sein kann, schwerlich oder vielleicht auch gar nicht zu finden ist. Festzuhalten ist zunächst, dass der statistische Gender-Pay-Gap in der W-Besoldung seit 2017 mehr oder minder unverändert geblieben ist. Er hat weder markant zugenommen noch markant abgenommen. Eine ungleiche Geschlechterverteilung auf die Fächer gehört sicherlich zu den unstreitigen Bedingungen. Eine Statistik über eine gegebenenfalls zu verzeichnende ungleiche Verteilung des besoldungserhöhenden Familienzuschlags auf die Geschlechter liegt dem DHV nicht vor. Hierzu muss man wissen, dass die eingangs genannten statistischen Durchschnittswerte alle Gehaltsbestandteile mit umfassen, also auch den Familienzuschlag.
Die relativ geringen Besoldungsunterschiede in der Besoldungsgruppe W1 hängen am ehesten damit zusammen, dass es junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind, die auf eine Juniorprofessur berufen werden. In aller Regel gibt es darüber hinaus bei W1-Ruferteilungen schon normativ keine Möglichkeit, die Grundbesoldung mit Berufungsleistungsbezügen zu verbessern, also überhaupt etwas mit Erfolg zu verhandeln. Ferner ist zu konstatieren, dass die meisten Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren bei der Berufung auf eine W1-Position auch keine "ökonomische Trumpfkarte" – also beispielsweise ein aktuell höheres Gehalt – in den Händen halten.
Ein Blick in die Besoldung der Bundesländer
Gleichwohl bleibt es bei dem geschlechterspezifischen Unterschied von 150 Euro brutto im Monat. Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass dies auch mit der Verteilung von Juniorprofessorinnen und Juniorprofessoren auf die unterschiedlichen Bundesländer zu tun haben könnte. Während in Baden-Württemberg das Grundgehalt in W1 knapp 5.450 Euro beträgt, liegt das Grundgehalt in vielen – insbesondere kleineren Bundesländern – weit unter 5.000 Euro, dies senkt dort den Schnitt. Wenn in diesen Ländern die eher teureren naturwissenschaftlichen oder ingenieurwissenschaftlichen Fächer geringer vertreten wären als beispielsweise in Baden-Württemberg, erklärte dies den Differenzbetrag zumindest teilweise.
Im Vergleich hierzu ist die Bestandsaufnahme im Bereich W2 schon aussagekräftiger: Bei der Durchschnittsbesoldung ist – ein wenig überraschend – Rheinland-Pfalz Spitzenreiter. Ausweislich des relativ geringen Grundgehalts (6.224 Euro) kommen pro Kopf an sonstigen Besoldungsbestandteilen ca. 1.250 Euro brutto im Mittel hinzu. Dieses Ergebnis ist in anderen Ländern nicht zu verzeichnen. In Brandenburg treten neben das Grundgehalt und den garantierten "Grundleistungsbezug" beispielsweise nur noch ca. 550 Euro (Leistungsbezüge und Familienzuschläge) hinzu. Und auch in den anderen Bundesländern bewegt sich der Betrag dessen, was mehr oder minder leistungsorientiert jenseits der garantierten Besoldungselemente gezahlt wird, häufig bei unter 1.000 Euro brutto monatlich. Ein gutes Beispiel ist Thüringen, wo 6.334 Euro Grundbesoldung (garantiert) bezahlt wird, insgesamt aber die W2-Stellen im Schnitt "nur" auf 7.050 Euro im Monat brutto kommen (= 716 Euro Differenz).
Ausschlaggebende Alleinstellungsmerkmale bei Gehaltsverhandlungen
Nach den Beobachtungen des DHV kann keiner Hochschulleitung unterstellt werden, Rufinhaberinnen vorsätzlich niedriger zu vergüten als männliche Kollegen in einer einmal angenommenen vergleichbaren Position. Dies führt zu der eigentlichen Schwierigkeit. Bei aller Standardisierung von Besoldung (und Besoldungsverhandlungen) gibt es selbstredend auch Verhandlungsausreißer. Diese mögen auf den ersten Blick an dem einmal mehr und einmal weniger ausgeprägten "Verhandlungsgeschick" festgemacht werden. Doch dabei wird übersehen, dass es regelmäßig erst die belastbaren und unterschiedlich gewichteten Alleinstellungsmerkmale sind, die in einer Verhandlung den Ausschlag geben. Hierzu gehören Drittmittelpotenziale und -erfolge, ein synergetisches Stellenprofil, ein hervorragender Output in der Forschung, sehr gute Lehrevaluationen, internationale Vernetzung, Anschlussfähigkeit und – auf ganz anderer Ebene – auch das aktuelle Gehalt.
Betrachtet man diese Aspekte, wird die Rufinhaberin A vielleicht gerade im Bereich W2 in der einen Verhandlungssituation etwas mehr von einem als entscheidungserheblich eingestuften "Alleinstellungsmerkmal" vorweisen können als in einem anderen Fall der Rufinhaber B. So wird das, was landläufig unter "Verhandlungsgeschick" "verbucht" wird (Beispiel: 200 Euro mehr Berufungs-Leistungsbezüge), besser als die optimale Aufbereitung bestimmter Faktoren, die für die Besetzung der Professur von messbarer Bedeutung sind, angesehen werden müssen als als bloßes "Glück" oder "Geschick".
Fächerwahl erklärt Besoldungsunterschiede
Die im Kontext von W2 nicht allzu hohen Besoldungsunterschiede mögen eher mit einer unterschiedlichen Verteilung der Geschlechter auf die Fächer als mit dem Geschlecht desjenigen, der seine Besoldung verhandelt, zusammenhängen. Gleichwohl bleibt am Ende des Tages der hochschulpolitisch wichtige Weckruf, gerade als Rufinhaberin mit einem einen "Tick" ambitionierteren „Besoldungsanker“ in die Verhandlungen zu gehen.
Auffällig deutlich hingegen ist der Gender-Pay-Gap in W3. Dort liegt er immerhin im Monat bei durchschnittlich 660 Euro brutto. Auch wenn man hier die unterschiedliche Verteilung von Familienzuschlägen auf die Geschlechter und Fachspezifika ins Kalkül einbezieht, spricht immer noch einiges dafür, dass ein Teil dieser Differenz am Geschlecht der Professorin bzw. des Professors festzumachen ist.
Dual-Career-Fälle zeigen: Häufig folgte die Frau dem Mann, umgekehrt ist das bis heute seltener der Fall. Auch wenn sich dieser Sachverhalt abschwächt, ist davon auszugehen, dass ein Teil der genannten Besoldungsdifferenz auf diesen Aspekt zurückzuführen ist. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass gerade W3 die "Spielwiese" für sogenannte "Zweit"- oder "Drittberufungen" darstellt. Das heißt unter anderem, häufig wird W3 nicht zu Beginn einer wissenschaftlichen Karriere in einem Schritt erreicht, sondern setzt vielmehr mehrere iterativ getätigte Karriereschritte voraus. Hinzu kommt, dass auch die Besoldungsgruppen immer noch nicht linear und proportional gleichmäßig auf die immense Vielzahl universitärer Fächer verteilt sind. Die Fächer, die mit einem außeruniversitären Markt konkurrieren, agieren in dubio mit einer offensiven Recruiting-Choreographie (W3) und stoßen dabei auf solche Fächer, die (vermeintlich) keine nennenswerten außeruniversitären Arbeitgeber-Konkurrenten fürchten müssen (Recruiting-Choreographie: W2).
"Der reale oder auch vermeintliche Gender-Pay-Gap bei der Professorinnen- und Professorenbesoldung gehört auf den Prüfstand."
Die konkret-funktionalen Stellen, auf die Professorinnen und Professoren berufen werden, zeichnen sich nur im seltensten Fall durch eine absolute Qualifikations- und Stellenidentität aus. Diese könnte dann tatsächlich bei einer schlechter besoldeten Professorin auf eine konkrete Diskriminierung wegen ihres Geschlechtes schließen lassen. Im Regelfall aber ist zu verzeichnen, dass vieles, was landläufig als "Verhandlungsgeschick" im Rahmen der W-Besoldungsverhandlungen bezeichnet wird, dem Grunde nach nichts anderes ist als eine perfekte Aufbereitung unterschiedlicher "Alleinstellungsmerkmale", die die einzelne Bewerberin oder den einzelnen Bewerber für eine Professur aus Sicht des Arbeitgebers attraktiver erscheinen lassen als die Konkurrenten.
Insofern erscheint es zielführender, die Ursachen rein numerischer Gender-Pay-Gaps allgemein in Erziehung und Bildung (Stichwort Geschlechterverteilung in den Fächern, Ingenieurinnenmangel) oder im soziokulturellen und gesellschaftspolitischen Umfeld (im weiteren Sinne: geschlechtsspezifische Vorbedingungen für Doppelkarrieren, Freistellungen und Familie, Erziehungszeiten) zu suchen als innerhalb der W-Besoldung.
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