Eine Wissenschaftlerin hält neben einem Mikroskop eine Petrischale mit einer Probe ins Licht.
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Corona-Pandemie
Frauen in der Wissenschaft brauchen mehr Unterstützung

Die Corona-Pandemie hat Spuren in der Wissenschaft hinterlassen. Ein EU-Bericht zeigt ihre Konsequenzen für die Gleichberechtigung auf.

09.05.2023

Junge Wissenschaftlerinnen mit Kindern leiden besonders unter den Folgen der Pandemie und brauchen auch in Zukunft mehr Unterstützung. Dies geht aus einem am Freitag veröffentlichten Bericht der Europäischen Kommission hervor, der sich mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Geschlechtergleichheit in Forschung und Entwicklung beschäftigt. An dem Bericht hat eine im Dezember 2021 gegründete Expertengruppe von 14 internationalen Forschenden gearbeitet.

Die Datengrundlage dieser Metastudie beinhaltet publizierte Forschungsergebnisse, Veröffentlichungen von Behörden und Organisationen und die persönliche Expertise der Forschenden. Vier Kapitel beleuchten aus unterschiedlichen Perspektiven, wie die Corona-Pandemie bestehende Ungleichheiten im Wissenschaftssystem verstärkt hat. Diskutiert werden die akademische Produktivität und institutionelle Unterstützungsmaßnahmen, die besondere Situation von Nachwuchsforschenden, Versorgungspflichten und neue Arbeitsbedingungen sowie weitere, bisher unbeachtete Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Pandemie. Durch die unterschiedlichen Themen und Datengrundlagen enthalten die einzelnen Themenschwerpunkte sowohl europäische und internationale Perspektiven als auch nationale oder regionale Schlaglichter. Die Inhalte sind nicht gänzlich neu, aber die Tatsache, dass die EU-Kommission ihnen mit diesem Bericht mehr Tragweite gibt, ist bemerkenswert.

Nachwuchswissenschaftlerinnen wurden besonders durch die Pandemie benachteiligt

Die schon vor Beginn der Pandemie prekäre Lage junger Forschender mit nur wenig Aussicht auf Dauerstellen habe sich durch diese verschlechtert, indem die Unsicherheit über eine Zukunft in der Wissenschaft zugenommen habe. Auch hätte die pandemiebedingt eingeschränkte internationale Mobilität und der durch Lockdowns eingeschränkte Zugang zu Arbeitsstätten mitunter verhindert, dass Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler nötige Erfahrungen machen und Kontakte knüpfen können, die  ihre Karrieren befördert hätten. Viele junge Forschende seien gezwungen gewesen, die Wissenschaft zu verlassen.

Im Vergleich zu den Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern hätten etablierte Forschende, vor allem jene, die ihre Arbeit thematisch auf die Pandemie ausrichten konnten, von dieser sogar profitieren können. Sie hätten ihre Sichtbarkeit erhöhen und mehr Forschungsgelder einwerben können.

Die frühe Karrierephase falle oft mit der Familiengründung zusammen. Menschen mit Versorgungspflichten und besonders Frauen haben laut dem Bericht in besonderem Maße die zusätzlichen Arbeitsbelastungen durch Onlinelehre, Studierendenunterstützung und Versorgung von Angehörigen getragen. Frauen mit Kindern im Haushalt seien dabei öfter in früheren Karrierephasen und in befristeten Arbeitsverhältnissen gewesen als Männer mit Kindern. Verschiedene Studien hätten gezeigt, dass Frauen zu einem besonderen Maße von erhöhten Versorgungspflichten durch Schulschließungen betroffen gewesen seien. Die Anwesenheit von Kindern im Haushalt sei dabei der wichtigste Faktor für den Verlust von wissenschaftlicher Produktivität und Arbeitszeit gewesen.

Nachwuchsforscherinnen waren daher laut dem Bericht wohl die am meisten von der Corona-Pandemie betroffene und benachteiligte Gruppe in der Wissenschaft. Die Pandemie habe aber auch weitere Ungleichheiten wie Behinderungen, ethnische Herkunft, sozio-ökonomische Hintergründe sowie sexuelle Orientierung und auf diesen fußende Diskriminierungen verstärkt.

Haben Förderprogramme in der Pandemie auf benachteiligte Forschende abgezielt?

Die Institutionen haben laut Bericht mit geschlechtsneutralen Maßnahmen reagiert, die nicht darauf abzielten, besonders benachteiligte Gruppen zu fördern. Die Digitalisierung vieler Bereiche der wissenschaftlichen Arbeit hätte zwar beispielsweise mehr Flexibilität geschaffen, aber zugleich seien Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben aufgeweicht worden. Dies sei besonders für Menschen mit Versorgungspflichten ein Nachteil gewesen sei, da es eine Trennung der unterschiedlichen Verpflichtungen erschwert.

Bei den Publikationsleistungen schlagen sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen nieder, wie Professor Marc Lerchenmüller von der Universität Mannheim erläutert, der mit seiner Arbeitsgruppe für den Teil des Berichts zu Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern verantwortlich ist. Vor der Pandemie waren beide Geschlechter fast gleich häufig Erstautorinnen und -autoren von Studien in Corona-relevanten Fächern wie Immunologie und Virologie gewesen, wie die Universität Mannheim am vergangenen Freitag mitteilte. Dann sei die Schere auseinandergegangen und Männer hätten mehr publiziert. Durch die Bedeutung von Publikationen für wissenschaftliche Karrieren, steige in der Folge der Anteil der männlichen Wissenschaftler in Führungspositionen an Universitäten und Forschungsinstituten.

Lerchenmüller und seine Kolleginnen empfehlen, die wegen der Corona-Pandemie gesunkene wissenschaftliche Produktivität von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern bei der Forschungsbewertung zu berücksichtigen, besonders bei jungen Forscherinnen und solchen mit Versorgungspflichten.

cpy