Blick auf ein Bibliotheksregal mit Journaltiteln
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Covid-relevante Forschung
"Gender Publication Gap" 2020 größer geworden

Vor Corona waren beide Geschlechter fast gleich häufig Erstautoren von Studien in Covid-relevanten Bereichen. Dann weitete sich die Schere.

Die Publikationsaktivität von Wissenschaftlerinnen in Covid-relevanten Forschungsbereichen ist während der Pandemie weltweit zurückgegangen. Um langfristige, benachteiligende Auswirkungen für Frauen in der Wissenschaft, und damit einen elementaren Wissensabfluss, zu vermeiden, müssen kurz- und langfristige Maßnahmen ergriffen werden.

Die zentrale Rolle von Frauen in Covid-relevanten Forschungsgebieten

Frauen sind ein wesentlicher Bestandteil von wissenschaftlichen Gemeinschaften. Mit Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 gab es erste Indizien, die einen überproportional starken Rückgang der Forschungsaktivität von Frauen befürchten ließen. So wurden beispielsweise weniger Manuskripte von Frauen zur Begutachtung in Fachzeitschriften eingereicht. Frauen veröffentlichten auch signifikant weniger "Preprints", also noch nicht begutachtete Manuskripte, die umgehend wissenschaftliche Erkenntnisse in Bezug auf die Covid-Pandemie liefern können. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass in Forschungsbereichen, die in direktem Bezug zu Covid-19 stehen, wie etwa Virologie, öffentliches Gesundheitswesen oder Infektiologie, eigentlich besonders viele Nachwuchswissenschaftlerinnen aktiv sind. So werden wissenschaftliche Arbeiten in diesen Bereichen fast genauso häufig von Frauen wie von Männern veröffentlicht (Erstautorenschaften). Erstautorenschaften sind in diesem Zusammenhang besonders relevant, da diese prestigeträchtige Position der Autorenreihenfolge in den Lebenswissenschaften regelmäßig der für die Projektausführung verantwortlichen Person vorbehalten ist. Darüber hinaus sind Erstautorinnen und Erstautoren nicht nur die treibende Kraft hinter dem Forschungsprojekt, sondern häufig auch in einer frühen Phase ihrer akademischen Laufbahn. In diesem Stadium der Karriere sind vor allem Wissenschaftlerinnen oft dem Balanceakt zwischen Familie und Beruf ausgesetzt. Genau für diese Gruppe Wissenschaftlerinnen wurden daher große Auswirkungen durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie befürchtet.

Der Einfluss der Coronapandemie auf die Produktivität von Wissenschaftlerinnen

Mit einer systematischen Analyse von mehr als 42.000 Publikationen, die zwischen Februar 2020 und Januar 2021 zum Thema Covid veröffentlicht wurden, konnten die zuvor beschriebenen Befürchtungen empirisch untersucht werden. Tatsächlich sind Frauen als Erstautorinnen vor allem zu Beginn der Pandemie in der Covid-19-bezogenen Forschung deutlich unterrepräsentiert. Wichtig ist hier der Vergleich zum selben Zeitraum ein Jahr vor der Pandemie und innerhalb derselben für Covid-19 relevanten Fachbereiche. Dieser direkte Vergleich belegt, dass vor Ausbruch der Pandemie die Erstautorenschaften in vielen Fächern zwischen Männern und Frauen nahezu paritätisch verteilt waren, sich die Schere aber innerhalb des ersten Jahres der Pandemie im Durchschnitt um etwa 14 Prozentpunkte zum Nachteil von Frauen geöffnet hat. In einigen Covid-relevanten Fächern war die Öffnung der Schere sogar noch ausgeprägter: beispielsweise in Biochemie und Molekularbiologie mit 34 Prozentpunkten, im Öffentlichen Gesundheitswesen mit 30 Prozentpunkten und in Virologie mit 26 Prozentpunkten. Diese Vergrößerung des "Gender Publication Gap" während der Pandemie, definiert als die Differenz des prozentualen Anteils von Erstautorenschaften zwischen Männern und Frauen, ist ein globales Phänomen, das sich nur in seiner Ausprägung regional unterscheidet. Deutschland liegt zum Beispiel mit einer Ausweitung der Geschlechterschere um 18 Prozentpunkte über dem internationalen Durchschnitt. Während der "Gender Publication Gap" hier vor der Pandemie noch bei 20 Prozent lag (60 Prozent der Erstautoren waren Männer, 40 Prozent waren Frauen), stieg die Lücke in dem ersten Jahr der Pandemie auf 38 Prozent (69 Prozent Männer, 31 Prozent Frauen). Einen noch stärkeren Rückgang an Erstautorinnen weisen zum Beispiel Frankreich mit 30 Prozentpunkten, Italien mit 27 Prozentpunkten oder Spanien mit 20 Prozentpunkten auf. Geringer fällt der Rückgang hingegen in den USA und Israel mit jeweils 6 Prozentpunkten oder Kanada mit 13 Prozentpunkten aus.

Insgesamt ist das Bild eindeutig: durch die Pandemie ist der Anteil von Frauen unter den Erstautorenschaften stark zurückgegangen. Aufgrund dieser Tatsache muss davon ausgegangen werden, dass weltweit wichtige Expertenstimmen und Forschungsbeiträge von Frauen zur Antwort auf die Pandemie gefehlt haben. Erfreulich ist lediglich, dass die Zahl der Erstautorinnen in Covid-relevanten Feldern über den Verlauf der Pandemie wieder leicht zugenommen hat, auch wenn das Niveau von vor der Pandemie zumindest bis Januar 2021 nicht wieder erreicht werden konnte. Der durch die Publikationslücke entstandene langfristige Effekt auf wissenschaftliche Karrieren kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden. Auch wie sich veränderte Bedingungen während der Pandemie auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in anderen, nicht unmittelbar Covid-relevanten Forschungsbereichen auswirken und die damit verbundenen geschlechterspezifischen Unterschiede, lassen sich jetzt noch nicht systematisch untersuchen. Hier fallen beispielsweise lang andauernde Laborschließungen oder fehlende Möglichkeiten zur Patientenrekrutierung ebenso ins Gewicht wie die Verzögerung bei der Fertigstellung von Manuskripten und Drittmittelanträgen.

Längerfristige Auswirkungen der Pandemie auf die Geschlechterschere in der Forschung

Laut des aktuellen Global Gender Gap Report des World Economic Forum hat sich die Zeit bis zu einer relevanten Schließung der Geschlechterschere durch die Pandemie um eine ganze Generation verlängert (von zuvor 99,5 Jahren auf 135,6 Jahre). Der Global Gender Gap Index wird auf Basis von ökonomischer Anteilnahme und Möglichkeiten, dem Bildungsniveau, Gesundheit und Überleben, sowie politischer Mündigkeit von Frauen berechnet. Es wird vermutet, dass die Pandemie auch die Anstrengungen zur Erhöhung des Anteils von Frauen in der Wissenschaft um Jahre verzögern, wenn nicht gar zurückwerfen, könnte. Hierdurch würden sich hohe Kosten auf sozialer und ökonomischer Ebene ergeben. Es wurde in verschiedenen Studien gezeigt, dass die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten von Frauen mindestens der von Männern gleicht. Dasselbe gilt für Patente, sowie für die Patientenversorgung. Darüber hinaus führt Diversität am Arbeitsplatz zu Innovation, Produktivität und Profitabilität. Die Forschung stellt hier keine Ausnahme dar. Es gilt einen Wissensabfluss zu verhindern um Innovation, Produktivität und Profitabilität zu erhalten beziehungsweise zu verbessern.

Da der dokumentierte Rückgang an Forschungsaktivität vor allem Wissenschaftlerinnen betrifft, von denen sich viele noch in einer früheren Phase ihrer akademischen Laufbahn befinden, ist eine zentrale Sorge die Potenzierung von Nachteilen über die nächsten Jahre. Wir wissen unter anderem durch Forschung in der Wissenschaftssoziologie, dass sich selbst initial kleinste Beeinträchtigungen, beispielsweise in Publikationsleistung oder Drittmittelförderung, rapide zu relevanten Karrierenachteilen entwickeln können – "Wer hat dem wird gegeben" – der sogenannte Matthäus Effekt. Es sollte einen offenen Diskurs darüber geben, wie die Pandemie systemische Hindernisse speziell für Frauen in der Wissenschaft aufdeckt beziehungsweise revitalisiert. So werden Schulschließungen und die daraus resultierende Kinderbetreuung zu Hause häufiger von Frauen aufgefangen. Hierbei geht Arbeitszeit verloren und der Parallelbetrieb des Homeoffice und Homeschooling führt zu gesteigerter Belastung. Dass Kinderbetreuung und Haushalt auch unter gleich gut ausgebildeten Paaren weiterhin überproportional von Frauen übernommen wird, wurde schon vor der Pandemie in zahlreichen Studien gezeigt.

Mögliche Maßnahmen gegen die Effekte der Pandemie

Jetzt kommt es zum einen darauf an, bestehende Ungleichheiten neu zu bewerten, und zum anderen, die aktuellen Entwicklungen in langfristige Strategien zu gerechter Behandlung und Förderung von Frauen in der Wissenschaft einzuarbeiten. Um unmittelbare, pandemiebedingte Nachteile zu adressieren, müssten auf politischer sowie institutioneller Ebene direkte Maßnahmen eingeleitet werden. Diese könnten die Etablierung von (Überbrückungs-)Finanzierungsprogrammen, aber auch Verlängerungen von Fristen für die Beantragung von Zuschüssen oder Fördermitteln bedeuten. Ebenso sollten die Einschränkungen während der Pandemie bei der Beurteilung und Definition von Kriterien für Beförderungen oder unbefristete Anstellungen (Tenure Track) berücksichtigt werden. Auch Berufungs- und Bewerbungsverfahren sollten den Einschränkungen Rechnung tragen, die Covid-19 insbesondere für Wissenschaftlerinnen mit sich bringt.