Forschende im Büro: Im Bildvordergrund arbeitet eine Frau, im Hintergrund zwei Männer.
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Internationaler Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft
Wie steht es um die Frauen in der Wissenschaft?

Der 11. Februar ist Unesco-Tag für Frauen in der Wissenschaft. Er verweist auch darauf, dass sie in Leitungspositionen weiter unterrepräsentiert sind.

11.02.2023

"Lieber gleichberechtigt" als später: Der wortspielerische Spruch der Frauenbewegung gilt auch für die Wissenschaft. Frauen leisten hier seit Jahrzehnten Großartiges, landen aber noch immer viel zu selten in Spitzenpositionen oder können nicht im gleichen Maße wie Männer Meriten einstreichen. Ein Blick auf die Statistik der Nobelpreise belegt es. Nur 6,4 Prozent aller seit 1901 vergebenen Auszeichnungen gingen bisher an Frauen, in der Physik waren es lediglich 1,8 Prozent. Die Unesco hat das Problem seit langem erkannt und widmet Frauen und Mädchen in der Wissenschaft einen eigenen Tag. An diesem Samstag ist es wieder soweit.

Fach Chemie immer noch männerdominiert

Janine Richter ist im vierten Jahr Doktorandin an der Fakultät für Chemie und Lebensmittelchemie der TU Dresden. Lange sei sie davon ausgegangen, dass bei ihr alles glatt laufe und in ihrem Fach Geschlechtergerechtigkeit schon gelte, sagt die 29-Jährige. Doch im Laufe der Zeit und durch die öffentliche Diskussion feministischer Themen habe sie das Gegenteil erkannt. "Gerade wenn man in der Karriere weiterkommt, stellt man fest, dass die gesamte Chemie noch männerdominiert ist." Bis heute höre sie mitunter noch Sprüche und Kommentare, die ein Mann so wohl nicht zu Ohren bekomme.

Richter räumt ein, dass sie stets gut gefördert wurde und keine schlimmen Erfahrungen machen musste. Aber auch alltägliche Kleinigkeiten würden den Unterschied verdeutlichen. "Ich als Frau werde nach einem Meeting gebeten, die Kaffeesahne wegzuräumen. Frauen werden viel häufiger gefragt, Dinge zu organisieren, weil sie das angeblich nun mal besser könnten. Das ist meist sicher keine böse Absicht, das bindet aber Zeit und vermittelt mir den Eindruck, meine Forschung wäre weniger wichtig als die meiner männlichen Kollegen."

Im Rückblick kann Janine Richter Veränderungen zum Positiven spüren. "Das ist auch eine Generationsfrage." Die "alte Schule" verliere an Gewicht, die neue Generation sei sich der Missstände bewusst und strebe nach Veränderungen. Vor allem bei Frauen sei dieser Willen ausgeprägt und spürbar. Doch auch bei Männern halte ein anderer Führungsstil Einzug. An der Technischen Universität Dresden werde mit Blick auf Geschlechtergerechtigkeit bereits eine ganze Menge getan, betont die Doktorandin und verweist auf diverse Fördermöglichkeiten.

"Dennoch wünsche ich mir vonseiten der Politik noch viel mehr Bewegung", sagt Janine. Gerade in der Chemie erweise sich eine Schwangerschaft als großer Nachteil, weil man dann in der Regel für etwa zwei Jahre nicht im Labor arbeiten dürfe. "Bei sehr vielen Förderprogrammen ist Schwangerschaft ein Problem. Dann hat man Pech, weil sich die Förderzeit nicht automatisch verlängert." An junge Wissenschaftlerinnen hat Richter vor allem einen Rat: "Vernetzt euch. Das hilft euch genauso wie den anderen."

Leaky Pipeline nach der Promotion

Für die Neurobiologin Professorin Catherina Becker ist Geschlechtergerechtigkeit in ihrem Fach auch eine Frage der Definition: "Wenn es bedeutet, dass es genauso viele Professorinnen wie Studienanfängerinnen gibt, sind wir weit davon entfernt." Bei Promotionen liege das Verhältnis Frauen und Männer inzwischen bei 50 Prozent. "Der große Abbruch kommt danach. Das hat auch damit zu tun, was einem abverlangt wird", ein Effekt, der auch "Leaky Pipeline" genannt wird: mit jeder weiteren Karrierestufe nach der Promotion nimmt der Frauenanteil ab. Die Forscherin, die im vergangenen Jahr mit einer Humboldt-Professur geehrt wurde und damit den am höchsten dotierten Wissenschaftspreis in Deutschland erhielt, verweist auf das Problem befristeter Stellen und Forderungen etwa nach Auslandsaufenthalten.

Catherina Becker hat das Pensum bewältigt, ist nach ihrer Promotion 1993 in Bremen in die Schweiz, in die USA, nach Hamburg und Edinburgh gegangen. Die vielen Umzüge und die Geburt zweier Kinder sei ihr nur möglich gewesen, weil ihr Mann auch als Wissenschaftler arbeite und man gemeinsam an neue Orte gehen konnte. Ohnehin sei sie durch ihre Familiengeschichte als "arbeitende Frau" vorgeprägt. Ihre Mutter und beide Großmütter seien gleichfalls keine Hausfrauen gewesen. "Deshalb war es selbstverständlich, dass auch ich studiere und arbeite." Selbst beim zweiten Kind sei ihr nie der Gedanke gekommen, die Wissenschaft aufzugeben – auch wenn ihr das manche nahegelegt hätten.

Die Professorin hat eine berufliche Bilderbuchkarriere hingelegt. Dennoch sieht sie im Rückblick auch die "kleinen Spitzen", die den Werdegang nicht ganz glatt verlaufen ließen. "Ich hatte das zweitbeste Abitur der Schule, aber zur Studienstiftung wurden zwei Jungen empfohlen. Der Schuldirektor war der Meinung, Mädchen heiraten sowieso und bekommen Kinder." Später habe sie diverse Stipendien erhalten. "Dass Frauen Stipendien bekamen und Männer die Stellen, hing auch damit zusammen, dass es zumindest früher bei Stipendien keinen Mutterschutz gab." Ihr persönliches Durchhaltevermögen begründet sie nicht zuletzt mit Selbstbewusstsein und Optimismus.

Maßnahmen für mehr Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft

Bei der TU Dresden sieht Becker viele positive Ansätze zur Umsetzung von mehr Chancengerechtigkeit. Häufig würden Frauen in den Genuss von Überbrückungsstellen kommen oder mit Stipendien ausgestattet, damit etwa Postdoktorandinnen weiter Fuß fassen oder selbst Geld einwerben können. "Wenn jemand eine Konferenz ausrichtet, stellt die TU eine Kinderbetreuung." Es gebe Kita-Belegplätze, ein Leadership-Programm für Professorinnen mit Medientraining und Kompetenz stärkenden Workshops. "Da werden nicht nur salbungsvolle Worte gesprochen, da wird wirklich investiert und Geld in die Hand genommen." Becker empfiehlt jungen Kolleginnen, selbstbewusst aufzutreten und mit ihrem Können nicht hinterm Berg zu halten.

Inzwischen gibt es Bewegung im ehrwürdigen Wissenschaftsbetrieb. "Noch fehlen in vielen Bereichen weibliche Rollenmodelle, an denen sich junge Wissenschaftlerinnen orientieren können. Aber das ändert sich langsam", meint die TU Dresden. Man sei bestrebt, die "extreme Unterrepräsentanz" von Frauen in Leitungsfunktionen und bestimmten Studiengängen zu vermeiden. Bei abgeschlossenen Promotionen habe es zuletzt eine Steigerung des Frauenanteils von 31,4 Prozent im Jahr 2007 auf 41,9 im Jahr 2021 gegeben. Auch bei den Professuren – hier stieg Frauenanteil im gleichen Zeitraum von 6,9 auf 21,7 Prozent – sieht man in Dresden aber noch viel Luft nach oben.

dpa/cpy