Zwei Wissenschaftlerinnen sitzen sich im Labor gegenüber und arbeiten an Mikroskopen.
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Frauen in der Wissenschaft
"Wissenschaft muss sich breiter für alle klugen Köpfe öffnen"

Der 11. Februar ist der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft. Fünf von ihnen teilen Eindrücke zu Hochschule und Karriere.

Von Charlotte Pardey 11.02.2022
Foto von Dr. Pauline Fleischmann bei Feldexperimenten.
Dr. Pauline Fleischmann ist Neuroethologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie der Universität Würzburg. Robin Grob

"Schon lange war mir klar, dass ich forschen wollte, und seit ich erste Forschungseindrücke im Rahmen meines Studiums gesammelt habe, dass ich langfristig als Wissenschaftlerin tätig sein möchte. Mein Frau-Sein habe ich nie als Hindernis gesehen, aber je weiter man die Karriereleiter nach oben steigt, desto deutlicher wird, dass es in der Realität einen Unterschied macht, welches Geschlecht man hat. Ein Blick auf die Zahlen verdeutlicht, dass sich das Geschlechter-Verhältnis über die Karrierestufen hinweg zu Ungunsten der Wissenschaftlerinnen verschiebt. Dennoch: Als viel größere Herausforderung als das Frau-Sein habe ich das Eltern-Sein in der Wissenschaft erlebt. Plötzlich gab es konträre Anforderungen, nämlich die Vereinbarkeit von Forschung und Familie. Das Bestreben vollumfänglich am Wissenschaftssystem teilzuhaben, auch wenn Veranstaltungen zu familienunfreundlichen Zeiten am Abend oder Wochenende stattfinden, oder Reisen an weit entfernte Orte nötig sind, sei es zu Konferenzen oder Forschungsaufenthalten versus den Wunsch für das eigene Kind da zu sein und alle Entwicklungsschritte zu begleiten. Diese herausfordernde Inkompatibilität trifft natürlich sowohl Mütter als auch Väter. Aber Frauen müssen sich oft zum selben Zeitpunkt darum kümmern, in der Wissenschaft Fuß zu fassen und eine Familie zu gründen. Ich selbst habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, ungewöhnliche Wege auszuprobieren. Beispielweise waren mein Mann und mein Sohn nun schon zweimal bei meinen mehrmonatigen Feldexperimenten dabei. Aber dafür braucht es Kreativität, um unkonventionelle Lösungen zu finden, Mut diese durchzusetzen, und die Unterstützung (organisatorisch sowie finanziell) aller Beteiligten. Programme wie die Chancengleichheitsmaßnahmen der DFG oder auch das 'For Women in Science'-Programm von L’Oréal und UNESCO Deutschland haben mich als Feld-Biologin und Mutter schon sehr unterstützt. Meine Hoffnung ist, dass immer mehr Frauen erleben, dass sie erfolgreiche Wissenschaftlerinnen sein können, ohne andere Lebensbereiche vernachlässigen zu müssen."


Portraitfoto von Dr. Alena Sander
Dr. Alena Sander hat im Jahr 2021 ihre Promotion in Politikwissenschaften an der Université de Louvain in Belgien abgeschlossen. Sie ist Mutter von zwei kleinen Kindern und bewirbt sich um Post-Doc-Stellen. A. Delsoir Photo

"In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder selbst erfahren müssen, wie insbesondere jungen Wissenschaftlerinnen* mit Kindern, die eine Karriere an der Universität anstreben, auf ihrem Weg Steine in den Weg gelegt werden. Das beginnt schon nach Ende der Promotion, wo es für viele heißt sich gegen die harte Konkurrenz um Post-Doc-Positionen durchzusetzen. Die Kriterien, die hierbei angesetzt werden – möglichst viele Publikationen in hochgerankten Wissenschaftsjournalen, internationale Mobilität, Teilnahme an Konferenzen und viele mehr – sind dabei insbesondere für uns Mütter mit kleinen Kindern, die weiterhin das Gros der körperlichen und kognitiven Sorgearbeit im Familienkontext leisten, kaum zu erfüllen, denn: sie setzen vor allem Zeit und mentale Verfügbarkeit voraus. Dies sind Ressourcen, von denen wir Mütter tendenziell weniger besitzen als unsere kinderlosen Konkurrentinnen – und promovierte Väter. Hinzu kommen im Bewerbungsprozess außerdem sexistisch geprägte Vorurteile gegenüber Müttern, die selbst kinderlosen Wissenschaftlerinnen den Weg zum Post-Doc verbauen können. All das trägt maßgeblich zu einem bekannten Phänomen bei: der 'leaky pipeline'. Sie beschreibt den absinkenden Frauenanteil auf den verschiedenen Qualifizierungsebenen, der in vielen Fachbereichen trotz zunehmender Frauenförderung weiterhin zu verzeichnen ist. Was sich ändern muss, damit die Universität der Zukunft nicht weiterhin einen großen Teil ihrer klügsten Köpfe verliert? Die Universität selbst, mit ihren unerfüllbaren Anforderungen – und der Blick auf Mütter in der Gesellschaft."

Anmerk. A. Sander: Die Verwendung des Asterisks (Genderstern) weist darauf hin, dass die Kategorie der Wissenschaftlerinnen eine sozial konstruierte ist. Sie beinhaltet ebenso nichtbinäre und transgeschlechtliche Personen, die weiblich gelesen werden oder sich selbst als Mütter identifizieren.


Portraitfoto von Professorin Ute Klammer
Professorin Ute Klammer ist geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation und Professorin für Sozialpolitik, beides an der Universität Duisburg-Essen. Außerdem ist sie Direktorin des Deutschen Instituts für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung der Universitäten Duisburg-Essen und Bremen. Universität Duisburg-Essen

"Bereits 2015 hat die UN den 11. Februar zum 'International Day of Women and Girls in Science' erklärt. Seitdem werden wir jährlich darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen in der Wissenschaft – insbesondere auf der Ebene der gut ausgestatteten und besoldeten W3-Professuren – nach wie vor quantitativ unterrepräsentiert sind. Aber auch dort, wo es um Forschungsgelder, Gehaltszulagen, machtvolle Positionen oder auch öffentliche Sichtbarkeit geht, bleiben sie weiter deutlich hinter ihren männlichen Kollegen zurück. Die schwierige Balance von Arbeit und Familie gerade in der entscheidenden Post-Doc-Phase kann dies nur zum Teil erklären. Sie kann als Argument relevante Strukturen und Diskurse im Wissenschaftssystem sogar verschleiern – auch wenn hochschulische Gleichstellungspolitik sich diesem Feld sicher weiter widmen muss und insbesondere auch männliche Wissenschaftler stärker in ihrer Vaterrolle adressieren sollte. In einem von uns durchgeführten Forschungsprojekt wurde uns deutlich, dass unhinterfragte, oft an männlichen Wissenschaftsbiographien orientierte Vorstellungen von 'Exzellenz' – die zudem oft als Widerspruch zu hochschulischen Gleichstellungsmaßnahmen wahrgenommen werden – ein Feld sind, dem wir uns in Zukunft kritisch(er) widmen müssen. Es bedarf eines erweiterten Blicks und einer neuen Diskussion dazu, was wirklich eine hervorragende Wissenschaftlerin beziehungsweise einen hervorragenden Wissenschaftler ausmacht – und wie die Leistungen von Wissenschaftlerinnen besser wahrgenommen und sichtbar gemacht werden können!"


Portraitfoto von Dr. Lena Weber.
Dr. Lena Weber ist Soziologin (Universität Paderborn) und ab März Teamleiterin am Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS-Institut in Köln. privat

"Warum ist es noch immer nicht gleichermaßen selbstverständlich, wenn 'Hanna' eine wissenschaftliche Karriere anstrebt? Der Wissenschaft geht immer noch viel Forschungspotential verloren, da hochqualifizierte und gut ausgebildete Frauen überproportional nach einem erfolgreichen Studium oder Promotion die Wissenschaft verlassen. Dies wird als das sogenannte 'leaky pipeline' Phänomen beschrieben. Der Frauenanteil an Professuren steigt zwar kontinuierlich in den letzten Dekaden an, liegt aber aktuell im Durchschnitt bei lediglich einem Viertel. Wissenschaft muss sich breiter für alle klugen Köpfe unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder sozialer Herkunft öffnen, damit Forschung und Fragestellungen aus vielfältigen Lebenssituationen heraus bearbeitet werden und neue innovative Lösungen entstehen können. Am CEWS haben wir es uns – nunmehr seit 20 Jahren – zur Aufgabe gemacht, zu erfassen und darüber zu informieren, wie es um die Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft bestellt ist, welche Benachteiligungen Frauen in der Wissenschaft erfahren, aber auch wie Geschlechterungleichheiten festgestellt werden können und wie diesen Mechanismen mit geeigneten gleichstellungspolitischen Instrumenten und Maßnahmen entgegengewirkt werden kann. An den zunehmenden Frauenanteilen am Arbeitsplatz Wissenschaft sehen wir, dass sich dieses Engagement auszahlt. Damit es in Zukunft keinen Unterschied mehr macht, ob 'Hanna' oder 'Hannes' eine Professur erhält."


Portraitfoto von Daniela Schob
Daniela Schob ist Doktorandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Technische Mechanik und Maschinendynamik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. BTU, Ralf Schuster

"Schon seit meiner Kindheit fasziniert mich Technik. Ich glaube, es gibt nichts, was eine Frau hindert, einen MINT-Studiengang zu wählen, außer den eigenen Ängsten und Zweifeln. Deshalb engagiere ich mich für die Nachwuchsförderung im MINT-Bereich, etwa im Verein Deutscher Ingenieure, wo ich Vorstandmitglied der Studenten und Jungingenieure war oder im Rahmen von Kinderuni-Vorlesungen. Ich rate jungen Frauen: Einfach anfangen und zu sich selbst Vertrauen haben. Für Frauen, die bereits in Wissenschaft und Forschung zu Hause sind, wünsche ich mir mehr Chancengleichheit, sowohl während des (Promotions-)Studiums als auch danach, und ein Umfeld auf Augenhöhe mit inspirierenden Mentoren und Mentorinnen. Als Frau ist das Netzwerken mit anderen Frauen in ähnlichen Situationen sehr hilfreich und mittlerweile gibt es viele Mentoring-Programme, die junge Frauen unterstützen. Mir selbst haben einerseits die Kolleginnen und Kollegen vom Fachgebiet Technische Mechanik und Maschinendynamik an der BTU Cottbus-Senftenberg, aber auch aber die engen internationalen Kooperationen zur TU Poznań und zur TU Breslau bei der Suche nach Diskussionspartnerinnen und Diskussionspartnern in Bezug auf mein Promotionsthema geholfen. Die größten Herausforderungen meiner nun fast abgeschlossenen Promotionszeit lagen in der Finanzierung meiner Promotionsstelle und in den zeitlichen Befristungen von Arbeitsverträgen."

Frauen in der Wissenschaft

Seit 2015 wird der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft jährlich am 11. Februar begangen. An diesem Tag macht die UNESCO darauf aufmerksam, welch eine entscheidende Rolle Mädchen und Frauen in Wissenschaft und Technologie spielen und wie viel Forschungspotenzial verloren geht, da zu wenige hoch qualifizierte und gut ausgebildete Frauen in der Forschung bleiben.

Laut UNESCO haben Frauen im Jahr 2018 nur ein Drittel der Forschenden weltweit ausgemacht und weniger Führungspositionen an Spitzenuniversitäten als Männer besetzt (UNESCO Science Report 2021). In Deutschland lag der Frauenanteil in der Wissenschaft 2019 bei 28 Prozent (Destatis).

Mehr zu Gleichstellung an der Hochschule finden Sie in unserem Themenschwerpunkt "Gleichstellung".