Digitale Prüfungen
Corona und die Flucht nach vorn beim Prüfen
Die Autorinnen – Claudia Albrecht, Sylvia Frin, Henriette Greulich und Ulrike Schirwitz – beraten Lehrkräfte zu digitaler Lehre am Zentrum für interdisziplinäres Lernen und Lehren (ZiLL) der Technischen Universität Dresden.
Wie alle Hochschulen in Deutschland stand auch die Technische Universität Dresden (TUD) aufgrund der Corona-Pandemie im Sommersemester 2020 bei der Durchführung von Prüfungen vor großen Herausforderungen. Um für Studierende und Lehrende größtmögliche Planungssicherheit zu schaffen, hat der Senat bereits Ende April die rechtlichen und studienorganisatorischen Rahmenbedingungen festgelegt. Das Sommersemester sollte unter keinen Umständen zu einem verlorenen Semester werden. Insofern war schnell deutlich, dass möglichst alle Prüfungsleistungen des aktuellen Semesters angeboten werden sollen.
Den Lehrenden wurde außerdem die Möglichkeit gegeben, von der jeweiligen Prüfungsordnung abweichende Prüfungsformate einzusetzen. Durch diese Flexibilisierung konnten an einigen Fakultäten erstmalig digitale, schriftliche (Multiple-Choice-)Klausuren realisiert werden. Zudem wurde festgelegt, dass die Studierenden selbst entscheiden können, ob sie ihre Prüfungsergebnisse annehmen möchten oder die Prüfungsleistung zu einem späteren Zeitpunkt erneut ablegen, wobei dann die spätere Bewertung zählt. Durch diese Entscheidungs- und Wahlfreiheit wurden Studierende und Lehrende in dieser außergewöhnlichen Krisensituation entlastet.
Etwa 18 Prozent der schriftlichen Klausuren wurden an der TUD digital durchgeführt. Dadurch konnte die durch die Hygienemaßnahmen verstärkte Raumknappheit für Präsenzprüfungen entschärft werden. Da der Lockdown zur Prüfungszeit bereits beendet war, konnten vor allem schriftliche Prüfungen in kleinen Seminar- oder Übungsgruppen vor Ort stattfinden. Bei mündlichen Prüfungen oder Klausuren für große Studierendenzahlen konnten digitale Formate in vielen Fällen einen Ausfall oder ein Verschieben vermeiden.
Beratung und Weiterbildung der Lehrkräfte
Für die Umsetzung der digitalen Prüfungen waren strukturelle und organisatorische Überlegungen und eine entsprechende Weiterbildung und Unterstützung der Lehrenden notwendig. Diese Aufgaben lagen im Verantwortungsbereich der Abteilung Digitales Lernen und Lehren (DLL) des Zentrums für interdisziplinären Lernen und Lehren (ZiLL), in Zusammenarbeit mit anderen Struktureinheiten der TUD wie dem Zentrum für Informationsdienste und Hochleistungsrechnen (ZIH).
Sobald die entsprechenden Informationen aus den Hochschulgremien zur Verfügung standen, haben die Mitarbeitenden des ZiLL diese aufbereitet und veröffentlicht. Die Informationen wurden über die Webseite, per E-Mail und über einen eigens dafür eingerichteten Chat-Raum verteilt. Vor allem Letzterer hat sich als sehr wirkungsvoll erwiesen. Zum Anfang der Corona-Zeit waren täglich zwei Zeiträume à zwei Stunden reserviert, zu denen Mitarbeitende des ZiLL sowie des Zentrums für Weiterbildung (ZfW) Rückfragen persönlich beantworteten. Schnell hat sich der Chat-Raum (mit teilweise bis zu 850 Nutzenden) zu einer Art "Selbsthilfestätte" für die Lehrenden entwickelt, die sich in vorbildlicher Weise bei Problemen gegenseitig unterstützt und beraten haben. Auch und gerade in der Prüfungszeit war der Chat-Raum eine gute Anlaufstelle für Ratsuchende und Ratgebende.
"Schnell hat sich der Chat-Raum zu einer Art 'Selbsthilfestätte' für die Lehrenden entwickelt, die sich gegenseitig unterstützt und beraten haben."
Um die Prüfungen – soweit nötig und möglich – in den digitalen Raum zu verlagern, wurden den Lehrenden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie ihr bisheriges Prüfungsformat digital umsetzen können. Sie konnten dabei das an der TUD genutzte Lernmanagementsystem (OPAL), eine eigens aufgesetzte TUD-Prüfungsplattform sowie das Videokonferenztool BigBlueButton nutzen, um die Prüfungen datenschutzkonform und ohne Ansteckungsgefahr durchzuführen. Einige der Vorschläge sind in nachstehender Tabelle abgebildet, wobei auch Kombinationen der genannten Varianten möglich waren.
Transfer von Prüfungen ins Digitale an der TUD
bisheriges Prüfungsformat | Umsetzungsvarianten |
---|---|
schriftliche Klausur | bei geringer Personenzahl: bei geringer bis mittlerer Personenzahl: bei geringer bis hoher Personenzahl: |
Hausarbeit / Seminararbeit / Beleg | Online-Vergabe und Online-Abgabe (Upload) |
mündliche Prüfung, Verteidigung oder Referat | per Videokonferenz |
Portfolioprüfung | Anlegen von E-Portfolios in OPAL/per Webseite, Ordnern o.ä. |
praktische Prüfung | Einzelfallentscheidung je nach Themengebiet und benötigten Materialien, evtl. mündliche Prüfung oder verschieben |
Im Laufe des Semesters erhielten die Lehrenden weitere Handlungsempfehlungen und Tutorials sowie verschiedene Online-Weiterbildungsangebote. Insbesondere diejenigen zur Umsetzung von digitalen Klausuren stießen auf ein überdurchschnittlich hohes Interesse. So nahmen zum Beispiel an einem Online-Workshop 117 und an einem 14-stündigen Digital Workspace 52 Lehrende der TUD teil. Zusätzlich hat das ZiLL die komplette technische Umsetzung einiger digitaler Klausuren angeboten, um Lehrenden Einarbeitungs- und Arbeitszeit abzunehmen.
Technischer und organisatorischer Rahmen
Um eine stabile Durchführung von digitalen Prüfungen zu gewährleisten, mussten zum Teil technische und organisatorische Infrastrukturen etabliert werden: Parallel zur bestehenden Lernplattform OPAL – die ein integriertes Prüfungstool besitzt – wurde aus Stabilitäts- und datenschutzrechtlichen Gründen eine angepasste OPAL-Instanz für Online-Prüfungen eingerichtet.
Zur effektiven Steuerung der maximalen Last auf der Prüfungsplattform (geplant für maximal 500 Teilnehmende parallel) übernahm die zentrale Raumvergabe die Verteilung der Online-Prüfungstermine äquivalent zu Präsenzprüfungen. Die Lehrenden mussten daher geplante digitale Prüfungen unter Angabe der erwarteten Studierendenzahl und des Wunschtermins angeben. Insgesamt wurden über 150 Online-Klausuren mit mehreren Tausend Studierenden angemeldet. Eine aus rechtlichen Gründen empfohlene Selbständigkeitserklärung wurde den Lehrenden dafür als Vorlage zur Verfügung gestellt.
Für alle digitalen Klausuren wurde im Vorfeld die Durchführung einer Probeklausur angeraten, damit die Studierenden und Lehrenden den Ablauf und die digitale Umgebung kennen lernen. In der Praxis hat sich dieses Vorgehen sehr gut bewährt, da dadurch verschiedene Anfangsschwierigkeiten – wie zum Beispiel falsche Zugriffseinstellungen, falsche Bedienung der Prüfungssteuerung oder ungeeignete Konfiguration – in der eigentlichen Klausur nicht mehr auftraten. Das E-Learning-Team hat zudem alle digitalen Prüfungen kurz vor dem Klausurtermin auf fehlerhafte Konfigurationen kontrolliert. Dieser zwar sehr hohe Arbeitsaufwand trug jedoch wesentlich zum reibungslosen Ablauf der Prüfungen bei.
"Dieser sehr hohe Arbeitsaufwand trug wesentlich zum reibungslosen Ablauf der Prüfungen bei."
Während der Prüfung wurde empfohlen, einen unabhängigen Kommunikationskanal zu nutzen, über den Studierende Fragen oder technische Probleme an die Prüfungsaufsicht melden können. Bei Internetausfällen (zum Beispiel im ländlichen Raum mit schlechterer Netzabdeckung) oder Browserabstürzen ermöglichten die Aufsichtspersonen eine reibungslose Fortsetzung der Klausur. Diese Kommunikation lief unter anderem über Chaträume, Video-Konferenz-Tools oder per E-Mail. Hier ergab sich aber auch eine Grundproblematik, welche ebenso bei den eingeschränkten Präsenzmöglickeiten eine Rolle spielte: Nicht bei jeder Prüfung konnten die theoretisch empfohlenen personellen Ressourcen (circa 50 Studierende pro Aufsichtsperson) gestellt werden. Hier wurde auf allen Seiten viel Verständnis, Geduld und Offenheit vorausgesetzt. Die Bereitschaft vieler Lehrender, in solchen Fällen auf Einzelsituationen einzugehen und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, bestätigte auch im Nachhinein die Mehrheit der Studierenden.
Während des gesamten Kernprüfungszeitraumes (von Anfang Juli bis Mitte August, an manchen Tagen von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr) war mindestens eine Ansprechperson des E-Learning-Supports für Lehrende erreichbar, um bei auftretenden Problemen zu unterstützen. Begleitend wurde eine Liste möglicher Fehler und Lösungsansätze erstellt, um das Problemmanagement während der Prüfungen zu optimieren. Das Angebot wurde von den Lehrenden dankbar angenommen, an manchen Prüfungstagen riefen bis zu zehn Lehrende mit vielfältigen, aber häufig schnell behebbaren Problemen an.
Schwierigkeitsgrad der Prüfungen und Betrugsversuche
Durch die genannten Punkte konnten technische und organisatorische Probleme weitgehend vermieden werden. Im Vorhinein äußerten Lehrende jedoch Bedenken, dass durch die Recherchemöglichkeit im Internet oder das Kommunizieren von Lösungen zwischen den Studierenden zu leichte Prüfungsbedingungen bestünden. Selbst mit den durchdachtesten Maßnahmen kann keine Online-Prüfung absolut betrugsimmun ablaufen. Allerdings ist dies auch im Hörsaal der Fall. Die Wahrscheinlichkeit lässt sich jedoch unter anderem durch folgende Maßnahmen reduzieren:
- Erstellung von Prüfungsfragen die kein reines deklaratives Wissen abfragen, sondern auf höhere Lernzielstufen wie Verstehen, Anwenden oder Analysieren zielen
- Gezieltes Erlauben von Hilfsmitteln (Open-Book-Klausuren), Fragen zum Verständnis, Anwendungs- und Sachzusammenhängen sowie Transfer oder Kritik des Gelernten
- Zufallsauswahl von Fragen aus einem Fragenpool
- Zufällige Anordnung der Fragenreihenfolge und Ersetzen der Fragentitel durch eine Nummerierung
- Variieren der Antwortoptionen/Aufgabenreihenfolge bei Multiple-/Single-Choice-Fragen
- Integrieren von Variablen in die Aufgabenstellungen und damit Generieren von unterschiedlichen Aufgabenstellungen und Lösungen
- Nur lineares Bearbeiten der Prüfungsfragen (kein Rücksprung auf vorherige Fragen)
- Erhöhen der Fragendichte
Es hat sich gezeigt, dass bei Nichteinhalten solcher Hinweise manche Prüfungsergebnisse um einiges besser als in Vergleichsjahren ausgefallen sind und daher bei zukünftigen Prüfungen noch mehr darauf geachtet werden muss. Auch der Umgang mit Täuschungsversuchen blieb mitunter unzufriedenstellend (unter anderem weil es schwierig ist, die Nutzung unerlaubter Materialien oder das Teilen von Lösungen nachzuweisen) und muss in Zukunft adressiert werden. Grundsätzlich wurde – und dies in den meisten Fällen zurecht – ein hohes Maß an Vertrauen in die Prüflinge gesetzt. Wichtig war dennoch die Botschaft, dass Betrug wie in Präsenzprüfungen geahndet wird und im Betrugsfall der Versuch nicht, wie oben erwähnt, zurückgegeben werden kann.
Nicht elegant, aber zweckdienlich
Insgesamt waren die rein digitalen Prüfungen für die TU Dresden Neuland. Die kurzfristige Umstellung hat von allen Beteiligten einerseits große Anstrengungen, Einsatzbereitschaft und eine gewisse Fehlertoleranz gefordert. Andererseits waren die Erfahrungen ermutigend und für die gegebenen Umstände äußerst beachtlich. Nicht alle Ansätze waren elegant, aber unvermeidbar und zweckdienlich. Insbesondere bei großen Lehrveranstaltungen konnten automatisch ausgewertete Klausuren den Korrekturaufwand erheblich reduzieren.
Optimierungspotenzial besteht noch beim formellen Ablauf von Anmeldung, Einreichung und Kontrolle der Prüfungen. Hier müssen im kommenden Semester strukturierte Abläufe entwickelt werden, um die Begleitung der Lehrenden engmaschig zu gewährleisten und die Koordination mit voraussichtlich mehr E-Learning-Mitarbeitenden zu optimieren. Außerdem hat sich gezeigt, dass eine intensive didaktische Begleitung notwendig ist, um die Lehrenden bei der Formulierung von geeigneten Prüfungsfragen zu unterstützen. Zu diesem Zweck soll im nächsten Semester ein Beratungs- und Weiterbildungskonzept erprobt werden, das auf eine dauerhafte, tiefgründige Betreuung und einen professionellen Support der Lehrveranstaltungen inklusive ihrer Prüfungen abzielt.
Ob sich die neuen Prüfungsformate nach der Corona-Pandemie etablieren, ist noch nicht absehbar. Wahrscheinlicher ist, dass gerade bei großen Prüfungsgruppen die Vorteile von digitalen Prüfungen (wie die automatische Auswertbarkeit) erhalten, aber die Nachteile (zum Beispiel die Betrugsanfälligkeit) vermindert werden können, indem E-Assessment-Szenarien in Räumen der Hochschule durchgeführt werden. Darüber hinaus wirkt eine verstärkte Hinwendung zu kompetenzorientierten Prüfungen positiv auf die gesamte Lehrqualität. Davon würden dann alle Seiten auch nach der Krise profitieren.