Eine Weltkugel zeigt die Universität Bochum im Kugelformat von oben.
picture alliance / ZB/euroluftbild.de | Hans Blossey

Lehre & Nachhaltigkeit
Durch wissenschaftlichen Wandel der Klimakrise entgegentreten

Hochschulen sollen ihre Studierenden befähigen, Zukunftsprobleme zu lösen. Eine Lehre mit integrierter Nachhaltigkeit wird gefordert.

Von Katharina Finke 31.01.2024

Nachhaltigkeit hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren in einem akademischen Diskurs richtungsweisend etabliert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat vergangenes Jahr die Nachhaltigkeitsstrategie veröffentlicht. Es macht “Nachhaltigkeit zu einem wichtigen Leitprinzip für die Förderung von Bildung, Forschung und Innovation", so eine Sprecherin des BMBF zu Forschung & Lehre. Außerdem koordiniert das BMBF den nationalen Prozess zur Verankerung von Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE). Aber "eine wichtige Herausforderung bleibt die Verankerung über alle Hochschulen, sowie über alle Disziplinen", so die BMBF-Sprecherin. 

Dass Nachhaltigkeit noch nicht überall angekommen ist, darüber sind sich auch Expertinnen und Experten einig. Sie fordern Transformation. "Trotz jahrelanger Bemühungen der Vereinten Nationen und der BNE-Programme ist Nachhaltigkeit leider noch nicht in allen Fächern in der Lehre angekommen", sagt Leonie Bellina, Associate Researcher vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) an der Universität Tübingen gegenüber Forschung & Lehre. Auch die Professorin für Social Business Management, Britta M. Gossel, von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), erläutert gegenüber Forschung & Lehre: "Vom Ziel der Nachhaltigkeit sind wir als Gesellschaft weit entfernt. Deswegen muss das deutsche Hochschulsystem einen vehementeren Beitrag zum Prozess Nachhaltiger Entwicklung leisten." 

Gossel ist Mitautorin der Erklärung Hochschultransformation Jetzt!. Darin "fordern wir, das Hochschulsystem im Sinne der Nachhaltigkeit zu transformieren. Jetzt und nicht irgendwann", so die Nachhaltigkeits-Expertin. Sie hat die Erklärung gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Disziplinen von Hochschulen aus dem gesamten Bundesgebiet vergangenes Jahr unterzeichnet. 

"Deswegen muss das deutsche Hochschulsystem einen vehementeren Beitrag zum Prozess Nachhaltiger Entwicklung leisten." 
Professorin für Social Business Management, Britta M. Gossel, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde

Die Forderung ist das Ergebnis des Jahresprogramms 2023 "Lehre im Kontext von Nachhaltigkeit" der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. "Damit wollen wir Hochschulangehörige dazu befähigen, als Multiplikator:innen für nachhaltiges Handeln in der Lehre zu wirken", so Antje Mansbrügge vom Vorstand der Stiftung Innovation gegenüber Forschung & Lehre. 

Besondere Stärke des Programms ist laut ihr die Heterogenität der Gruppe. "Weil Menschen mit ganz verschiedenen Hintergründen dabei waren, haben sie unterschiedliche Perspektiven von Fächern, Gruppen und Generationen kennengelernt, was so an einer Hochschule nicht möglich ist", sagt Mansbrügge. In diesem Jahr soll das Programm wieder umgesetzt werden. 

Mehr Inter- und Transdisziplinarität, um Nachhaltigkeit in die Lehre zu bringen 

Gossel findet das Programm wichtig, um "Hochschulen in Forschung, Lehre und Transfer die große Verantwortung, gesellschaftliche Transformation wissenschaftlich und daher kritisch, aber auch konstruktiv und progressiv zu unterstützen und zu gestalten". Denn die großen Herausforderungen unserer Zeit, wie der Klimawandel, lassen sich nicht aus der Perspektive einzelner Disziplinen oder allein durch technologische Innovationen lösen. "Damit Studiengebote der Komplexität des Themas angemessen begegnen können, ist viel zu tun", sagt Gossel. "Für die Lehre bedeutet das, Inter- und Transdisziplinarität müssen strukturell gefördert werden." Das sei aber schwer, da die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie Ländersache ist. 

Das findet auch Nora Große von der Stabstelle für Nachhaltigkeit & Energie an der Freien Universität Berlin. "Da Universitäten innerhalb eines Bundeslandes eher in Konkurrenz um Mittel zueinanderstehen, wird Kooperation und Lobbyarbeit für gemeinsame Anliegen wie transformative Hochschulbildung eher erschwert", sagt sie Forschung & Lehre. 

"Für die Lehre bedeutet das, Inter- und Transdisziplinarität müssen strukturell gefördert werden."
Professorin für Social Business Management, Britta M. Gossel, HNEE

Das ist aber nicht das einzige Problem, weswegen Nachhaltigkeit in der Lehre noch nicht überall präsent ist. "Sehr volle Lehrpläne und die starke disziplinäre Orientierung spielen dabei auch eine Rolle", so Bellina vom IZEW. "Nachhaltigkeit wird als eins von vielen Querschnittsthemen gesehen und der Mehrwert für das Fach hinterfragt. Es ist leider ist noch nicht wirklich angekommen, dass die sozial-ökologischen Herausforderungen bereits Realität sind, und den Studierenden über das fachliche hinausgehende Kompetenzen abverlangt werden." 

Zu viel Business as usual 

Bei den Fachbereichen gibt es auch Unterschiede. "In typischen Fachrichtungen mit Umweltbezug, aber auch in Stadtplanung oder (Human)-Geografie ist BNE präsenter", so Bellina. Auch im Lehramtsstudium gäbe es gezielte Bemühungen, BNE zu integrieren. Deutlich weniger fände sich BNE bisher in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, sowie im künstlerischen Bereich. 

"In typischen Fachrichtungen mit Umweltbezug, aber auch in Stadtplanung oder (Human)-Geografie ist BNE präsenter."
 Leonie Bellina, Associate Researcher vom Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften, Universität Tübingen

"Dabei könnten grade diese Fächer einen großen Beitrag leisten, da Nachhaltige Entwicklung und Transformation ja auch gesellschaftliche Diskurse sind", findet Bellina. An der FU Berlin sieht das laut Große ähnlich aus: "In 'nachhaltigkeitsaffinen' Fächern, wie beispielsweise Geografie und Biologie, gibt es bereits Schwerpunkte, auch andere Disziplinen wie Chemie, Physik, Psychologie, Bildungswissenschaften haben sich auf den Weg gemacht. Von den anderen Disziplinen erhoffe ich mir in Zukunft mehr." 

Sorge bereiten Große zudem neue Module oder Studiengänge: "Wo sustainable oder green draufsteht, aber nichts oder wenig am business as usual geändert wird – wenn beispielsweise ein 'Nachhaltigkeitsmanagement'-Modul entsteht, aber der bestehende BWL-Kanon unangetastet bleibt." Genau das ist laut einer Recherche des Magazin Science Notes auch die Realität des beliebtesten Studiengang Deutschlands. 

Rund eine Viertelmillion Studierende sind jedes Semester eingeschrieben, das sind rund acht Prozent aller Studierenden. "Damit könnte BWL der größte Hebel zu mehr Klimaschutz sein", heißt es in dem Science Note-Artikel, für den ein Journalistenteam die Inhalte der 100 meistbesuchten BWL-Studienhänge in Deutschland untersucht haben. Doch das Ergebnis: das passiert größtenteils nicht, denn statt Nachhaltigkeit prominent und verpflichtend in das Studium zu integrieren, wird es in die Wahlmodule abgeschoben. 

Positivbeispiele meist direkt bei Studierenden zu finden 

Es gibt aber auch Positivbeispiele. So haben sich beispielsweise in München einige Jura-Studierende zusammengetan und den Verein Recht und Nachhaltigkeit e.V. (RuN) gegründet. "In unserem Verein konzentrieren wir uns auf Nachhaltigkeit im ökologischen Kontext. Wir verstehen das Recht als ein wesentliches Transforma-tionsinstrument zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit", so Yvonne Lüftner vom RuN-Vorstand. Es ist ein repräsentatives Positivbeispiel, da sich meist Studierende selbst für mehr Nachhaltigkeit in der Hochschule einsetzen. 

So wurde auch das Zertifikat zu Nachhaltiger Entwicklung an der Universität Tübingen, das es seit über zehn Jahren gibt, von einer studentischen Initiative entwickelt. Am bekanntesten ist das studentische Netzwerk N, in dem sich Studierende zu BNE- Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weiterbilden und an ihren Hochschulen wirken. 

Manche Hochschulen nutzen Nachhaltigkeit eher, "um Ziel- und Strategievorgaben zu erfüllen", so Gossel. Oder so Große: "um Studierende zu werben und Sichtbarkeit und Reputation zu gewinnen." Laut ihr sei die Gefahr des Greenwashings dabei groß. Auch Gossel findet, dass dabei die Konsequenzen einer tiefgreifenden Nachhaltigkeitstransformation für die Themen des eigenen Fachs weniger bearbeitet werden: "Lehre bleibt da oft an zweiter Stelle. Und – ich denke an den befristeten Mittelbau – es mangelt schlicht an zeitlichen, finanziellen und personellen Mitteln". 

Welchen Stellenwert Lehre im deutschen Universitätssystem hat, spiele laut Bellina dabei auch eine wichtige Rolle. Wenn Forschung so viel mehr für die akademische Karriere zählt als Lehre, gibt es wenig systematische Anreize für Lehrende, Nachhaltigkeit mit innovativen Lehrformaten mehr in die Lehre zu integrieren. 

Antworten auf Nachhaltigkeitsprobleme sind stets kontextabhängig

Dabei ist Nachhaltigkeit laut der Wissenschaft ein sogenanntes "wicked problem", erklärt Große, "das heißt wir gehen von komplex verwobenen Problemkonstellationen in sich kontinuierlich verändernden Rahmenbedingungen aus. Antworten auf Nachhaltigkeitsprobleme sind daher meist kontextabhängig, vorübergehend und gesellschaftlich umstritten", sagt sie, "Wissenschaft spielt dabei eine zentrale Rolle." 

Studierende, die heute die Hochschulen besuchen, werden mit den Kompetenzen, die sie im Studium erwerben, die Gesellschaft der nächsten Jahre prägen. "Aus diesem Grund ist gerade die Lehre ein elementarer Hebel, um die sozial-ökologische Transformation wirksam voranzubringen. Das Hinterfragen von grundsätzlichen Paradigmen einzelner Fächer – eine letztlich urwissenschaftliche Tätigkeit – ist notwendig, um beurteilen zu können, wie Nachhaltigkeit tatsächlich wirksam sein kann", sagt Mansbrügge von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. 

“Aus diesem Grund ist gerade die Lehre ein elementarer Hebel, um die sozial-ökologische Transformation wirksam voranzubringen.”
Antje Mansbrügge vom Vorstand der Stiftung Innovation

Veränderungen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene notwendig 

Wie soll es also in Zukunft weitergehen? "Nachhaltige Entwicklung ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung", so Bellina von der Universität Tübingen, "das heißt das Thema muss in die Hochschulverträge und dann gezielt in die Hochschullehre integriert werden. Parallel dazu müssen gute Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrende zu BNE gezielt gefördert werden." Gossel von der HNEE findet: "Die Hochschulleitungen stehen mit den Landesregierungen in der Verantwortung, Bedingungen für Lehre im Kontext nachhaltiger Entwicklung zu schaffen." Auch Große fordert "eine deutlich stärkere inter- und transdisziplinäre Forschung und Lehre mit entsprechend förderlichen rechtlich-institutionellen Rahmenbedingungen und Anreizsystemen, ungewöhnlichen Kooperationen und Allianzen, inklusive hierarchiearmer, informeller Begegnungsräume." 

Laut Große von der FU Berlin braucht es Veränderungen auf der Mikro-, Meso- und Makroebene. Auf der Mikroebene passiere schon viel: engagierte Lehrende und Studierende, die gestärkt werden müssten. Dabei käme die Mesoebene ins Spiel: Personen für ihr Engagement zu entlasten. Der größte Hebel und zugleich der schwierigste sei, so Große, die Makroebene: Hochschulgesetze, Zielvereinbarungen, Berufungsstrategien und Kapazitätsberechnungen zwischen Hochschulen und Bundesländern, eventuell auch auf nationaler BMBF-Ebene. "Denn letztlich müssen Akteure aus verschiedenen Hochschulbereichen die Ideen mittragen, idealerweise unterstützen, damit institutioneller Wandel funktionieren kann", sagt Große. 

Bundesforschungsministerium fördert Wissenstransfer 

Das BMBF selbst sagt, "es wird in Zukunft verstärkt den Transfer der hier gewonnenen Erkenntnisse in die gesamte Hochschullandschaft unterstützen." Dazu werde aktuell die Zusammenarbeit mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ausgeweitet. Beispielsweise setze die HRK mit Förderung des BMBF Vernetzungsmaßnahmen um und entwickelt ein Nachhaltigkeitsaudit für Hochschulen, damit diese ihre Nachhaltigkeitsprozesse – einschließlich der Lehre – künftig möglichst zielgenau ausrichten können. Die HRK habe mit ihrer Empfehlung "Für eine Kultur der Nachhaltigkeit" das Engagement der deutschen Hochschulen für Nachhaltigkeit in der Wissenschaft und Umsetzung von BNE in der Hochschullehre unterstrichen.