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Bürokratie an Universitäten
Probleme in der Uni-Verwaltung sind auch hausgemacht

Wann wird die wachsende Bürokratie zu einer Gefahr für die Hochschullandschaft und was kann dagegen getan werden? Ein Gespräch mit einer Kanzlerin.

Von Friederike Invernizzi 16.08.2022

Forschung & Lehre: Frau Dr. Kreutz-Gers, wie steht es um die Bürokratie an deutschen Universitäten?

Waltraud Kreutz-Gers: Die Bürokratie an deutschen Universitäten wächst und gedeiht. Sie ist zu einem großen Teil von außen verursacht, aber die Universitäten selbst sind nicht ganz unbeteiligt. Sie sind eben sehr komplexe Organisationen, deren verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrechte durch eine Vielzahl von Akteuren wahrgenommen werden. Das verursacht per se einen gewissen administrativen Aufwand. Auch sind sie bei der Erfindung von Gremien und der Ausgestaltung von Verfahren nicht gerade fantasielos. Bürokratisierungstendenzen haben aber auch mit Entwicklungen in der Wissenschafts- und Hochschulpolitik zu tun. Schließlich spielen Rahmenbedingungen wie beispielsweise das ausufernde Vergaberecht oder die mit großen Unsicherheiten behaftete Steuerthematik eine Rolle. Auch Anforderungen aus Daten- oder Arbeitsschutz sowie die Verfahren im Hochschulbau tragen ihren Teil dazu bei.

Portraitfoto von Dr. Waltraud Kreutz-Gers
Dr. Waltraud Kreutz-Gers ist Kanzlerin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Vorsitzende des Arbeitskreises Entbürokratisierung der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands. JANA Kay

F&L: Auf der Kanzlertagung im vergangenen Jahr äußerten Sie sich sehr kritisch zum Ausmaß der Bürokratie an deutschen Universitäten. Welchen Schaden befürchten Sie für die Hochschullandschaft in Deutschland?

Waltraud Kreutz-Gers: Ein großes Problem ist der Verwaltungsaufwand, der mit der steigenden Drittmittelfinanzierung der Forschung verbunden ist. Es fehlt in der Forschungsförderung an standardisierten Verfahren. Immer kom­plexer, unübersichtlicher und nicht widerspruchsfreier werdende Regelwerke verschiedener Förderinstitutionen verursachen sowohl für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch für die Hochschulverwaltungen erheblichen Aufwand. Ein paar Beispiele: Wenn ein Projektantrag auf Basis der wissenschaftlichen Qualität und einer soliden Finanzplanung bewilligt wurde, kann dann nicht auf detaillierte Kostennachweise oder Zustimmungsvorbehalte wie etwa bei Auslandsdienstreisen verzichtet werden? Wenn sich die Notwendigkeit ergibt, aus geplanten Personalmitteln Sachausgaben zu tätigen, ohne dass sich am gesamten Finanzvolumen etwas ändert, braucht das die Zustimmung eines Projektträgers? Wenn sich der zeitliche Ablauf eines Forschungsprojekts nicht so gestaltet wie geplant, sollte die Universität nicht über die erforderliche Flexibilität bei der Verausgabung der Mittel verfügen? In Zeiten der Pandemie mussten auch Regelungen des Vergaberechts bei der Bestellung von Masken oder Datenschutzaspekte bei der Nutzung von Konferenzsoftware zurückgestellt werden, weil ansonsten die vielfach gelungene Aufrechterhaltung des Lehr- und Forschungsbetriebs an den Hochschulen nicht möglich gewesen wäre. Diese Erfahrungen können genutzt werden, um Prozesse zu vereinfachen, ohne den Wettbewerb oder die berechtigten Anliegen des Schutzes individueller Daten zu gefährden – auch mit dem Ziel, den personellen Aufwand zu begrenzen. Das mag aus dem Mund einer Hochschulkanzlerin überraschend klingen, aber uns treibt die Sorge um, dass Regelungsdichte und Verwaltungsaufwand überhandnehmen, und dass das ohnehin nicht übertrieben ausgeprägte Verständnis für rechtliche Zwänge und notwendige Verwaltungsverfahren in den Universitäten sinkt.

F&L: Gilt es nicht auch die Vorteile einer bürokratisch organisierten Hochschule in den Blick zu nehmen?

Waltraud Kreutz-Gers: Bürokratie im Sinne Max Webers als hierarchische, arbeitsteilige, an klare Regeln und effiziente Verfahren gebundene Organisation ist meines Erachtens auch für eine Hochschule durchaus nützlich, denn Lehre und Forschung finden weder in einem rechtsfreien Raum statt, noch sind die erforderlichen Ressourcen unbegrenzt vorhanden. Anders als im Weber‘schen Kontext ist Bürokratie im Sprachgebrauch eindeutig negativ konnotiert. In Hochschulen wird vieles, was die Administration den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abverlangt, als bürokratische Zumutung empfunden. Und ich kann sehr gut nachempfinden, dass einer Arbeitsgruppenleitung die Notwendigkeit einer Gefährdungsbeurteilung im Rahmen des Arbeitsschutzes für ein Labor eher einleuchtet als für ein Sekretariat. Bei der Zulassung zum Studium wird aber niemand auf die Prüfung der Zulassungsvoraussetzungen verzichten wollen. Oftmals liegt die Krux in der Einschätzung, welche Fallgestaltungen welche Prüfungstiefe erfordern.

"In Hochschulen wird vieles, was die Administration den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abverlangt, als bürokratische Zumutung empfunden."

F&L: Steckt als treibende Kraft ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis dahinter?

Waltraud Kreutz-Gers: Die treibende Kraft ist sicherlich die Flut von Regelungen. Um es an der Drittmittelforschung zu verdeutlichen: Die Bedeutung der Drittmittelfinanzierung hat in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen, aber die Konditionen, unter denen die Förderung gewährt wird, sind kaum noch zu überblicken. Darüber hinaus sind zu den Prüfungen der Rechnungshöfe auch Prüfungen einzelner Förderungsgeber hinzugekommen oder es werden Prüfungspflichten auf die Innenrevisionen der Hochschulen verlagert. Mit dem Regelungswerk wächst natürlich die Sorge, dagegen zu verstoßen. Keiner der Beteiligten will Fehler machen. Gleichzeitig führen Prüfbemerkungen aber häufig zu weiteren Regelungen. Dadurch wird es nicht notwendig besser, auf jeden Fall aber noch unübersichtlicher. Vielleicht sind wir langsam an einem Punkt angelangt, an dem alle Beteiligten gemeinsam zur Reduktion von Komplexität beitragen müssen. Eine Rückkehr zu möglichst einheitlichen Regelungen und die Bereitschaft, über pauschale Kostenansätze zu finanzieren und den Universitäten Spielräume bei der Bewirtschaftung zu lassen, würde den Aufwand auf allen Seiten reduzieren.

F&L: Welche Pläne zur Verbesserung der Bürokratie gehen in der deutschen Hochschullandschaft nur schleppend voran oder sind nicht durchsetzbar?

Waltraud Kreutz-Gers: Wir haben uns in dem neu gegründeten Arbeitskreis "Entbürokratisierung" zunächst mit dem Thema Drittmitteladministration beschäftigt, weil uns das Thema dort besonders drängt, die Chance zur Veränderung aber auch gegeben scheint. Auf der Basis einer Umfrage haben wir eine Analyse erarbeitet und mit Vertretern der beiden großen Forschungsförderer – DFG und BMBF – diskutiert. Solche Gespräche verbessern das gegenseitige Verständnis für die Zwänge des jeweils anderen. Sie sind ein durchaus erfolgversprechender Schritt, da keine Seite ein Interesse daran hat, den administrativen Aufwand zu Lasten der insgesamt zu Verfügung stehenden Ressourcen zu erhöhen. Im Hochschulbau ist die Verschlankung von Prozessen mehr als überfällig. Über zehn Jahre vergehen zwischen der Planung eines Hochschulgebäudes und seiner Inbetriebnahme – das geht nicht nur an den sich sehr dynamisch entwickelnden wissenschaftlichen Bedarfen vorbei. Solche Zeiträume führen auch zu unnötig hohen Kosten in einem Bereich, in den ohnehin viel zu wenig investiert wird. Der Wissenschaftsrat hat in seinem jüngsten Positionspapier zum Hochschulbau völlig zu Recht auf die große Bedeutung beschleunigter Prozesse hingewiesen. Unmittelbar wirksam ist es natürlich, vor der eigenen Haustüre zu kehren. Wir werden uns deshalb im Arbeitskreis insbesondere auch mit den Chancen der Digitalisierung für die Verschlankung von internen Prozessen befassen. Dass sich Kanzlerinnen und Kanzler mit dem Abbau von Bürokratie befassen, steht uns – glaube ich – gut an und ist in unserem eigenen Interesse.

F&L: Was sollte sich bundes- und landespolitisch ändern, damit der Bürokratie an den Hochschulen mehr Einhalt geboten werden kann?

Waltraud Kreutz-Gers: Mit der Reflexion des Neuen Steuerungsmodells in der Hochschulpolitik kamen in den neunziger Jahren Instrumente der dezentralen Ressourcenverantwortung wie Finanzautonomie, Globalhaushalt und mehrjährige Finanzierungsvereinbarungen zum Tragen. Deregulierung und der Rückzug des Staates aus der Detailsteuerung waren zentrale Reformziele. In den letzten Jahren stelle ich eine Abkehr von dieser meines Erachtens sehr wissenschaftsadäquaten Politik fest. Die Tendenz geht dahin, temporäre Finanzierungen zulasten der Grundfinanzierung auszubauen, nicht nur in der Forschung, auch in der Lehre, nicht nur durch Dritte, sondern auch durch die Träger der Hochschulen selbst. Hochschulen sind vermehrt Antragsteller, tragen Ausfinanzierungsrisiken, sehen sich Forderungen nach Nachhaltigkeitszusagen und Berichtspflichten gegenüber. Ich habe erhebliche Zweifel, dass durch die Steuerung der Hochschulen über temporäre Programme die Qualität in Lehre, Forschung, Nachwuchsgewinnung oder Transfer tatsächlich gesteigert wird, sehe aber den damit verbundenen administrativen Aufwand, die fehlende Planungssicherheit und mangelnde Nachhaltigkeit als Probleme.  

F&L: Ihr eindrücklichstes Erlebnis in Sachen Bürokratie?

Waltraud Kreutz-Gers: Ein Highlight ist aus meiner Sicht die sogenannte A1-Bescheinigung. Zur Erläuterung: In der EU sind Arbeitnehmer grundsätzlich in dem Land sozialversicherungspflichtig, in dem sie eine Beschäftigung ausüben. Um nicht aus der deutschen Sozialversicherung herauszufallen, muss während eines dienstlichen Auslandsaufenthaltes eine extra zu beantragende Bescheinigung mitgeführt werden. Das verursacht einen riesigen Verwaltungsaufwand, weil es auch bei kurzen Auslandsaufenthalten gilt, die im Hochschulbereich vergleichsweise häufig sind. Mit Interesse habe ich gelesen, dass im benachbarten Österreich eine pauschale Ausstellung für maximal 24 Monate möglich ist, wenn die zu entsendende Person regelmäßig in mehreren EU-Ländern tätig ist. Das würde uns schon helfen.