Illustration von Karrieremännern und Karrierefrauen
mauritius images / Giuseppe Ramos / Alamy

Führungskompetenz
Das Team erfolgreich durch die Krise führen

In Krisen stehen Hochschulen vor besonderen Herausforderungen. Welche Eigenschaften müssen Führungskräfte mitbringen: das richtige Maß an Empathie.

Wir leben in einer Zeit der Krise. "Grand Challenges" wie Klimawandel, Artensterben, Bevölkerungswachstum und Pandemien fordern uns heraus. Und konkrete Ereignisse wie Brexit, Finanzkrise, "Dieselgate" und die Wirecard-Insolvenz lassen Krisenmanagement zumindest gefühlt zu einer der wichtigsten Aufgaben für Führungskräfte werden. Auch an Universitäten ist Krisenmanagement eine zentrale Aufgabe. Wie Karl Eibl einmal mit Verweis auf den im vergangenen Jahr verstorbenen ehemaligen DFG-Präsidenten Wolfgang Frühwald sowie auf Karl Popper hervorhob, bedarf die Wissenschaft einerseits grundsätzlich der Krise, denn "sonst verkommt sie zur 'Normalwissenschaft', in der Laufbahnbeamte aufs Wochenende warten".

Andererseits durchleben auch Universitäten Organisationskrisen – hervorgerufen zum Beispiel durch Plagiatsanschuldigungen, Diskriminierungsvorwürfe, Hackerangriffe oder Hochwasser. Mehr noch: Universitäten stehen sowohl individuell als auch institutionell immer mehr im medialen Fokus und teilweise auch in der Kritik. Daher können sich bedeutende, aber doch lokal lösbare Probleme zunehmend leichter zu potenziell existenziellen Krisen für Universitäten entwickeln.

In Anbetracht der Bedeutung von Krisenmanagement in Universitäten scheint es nicht unwichtig zu fragen, welche persönlichen Eigenschaften ihre Führungskräfte mitbringen sollten, um Krisen erfolgreich managen zu können. Denkansätze und Erkenntnisse hierzu liefert insbesondere die 1984 von Donald Hambrick und Phyllis Mason ins Leben gerufene "Upper Echelons"-Forschung. Diese postuliert, dass die Persönlichkeit von Führungskräften mit darüber entscheidet, welche Stimuli sie wahrnehmen, wie sie diese interpretieren, welche Lösungsoptionen sie in Betracht ziehen und auswählen und wie sie diese implementieren.

"Je empathischer eine Führungskraft ist, umso schneller erkennt sie mögliche Warnsignale – wird aber vielleicht auch Krisen sehen, wo gar keine sind."

Im emotionsgeprägten Kontext einer Krise liegt es nahe, eine Persönlichkeitseigenschaft von Spitzenführungskräften besonders zu beleuchten: Empathie. Viele Psychologen definieren Empathie als ein relativ stabiles Persönlichkeitsmerkmal, insbesondere als die Fähigkeit und Neigung, die Perspektiven anderer Menschen einzunehmen, die Gefühle anderer Menschen selbst nachzuempfinden und Wärme und Sorge für Menschen in Not zu fühlen. Empathie wird auch von Spitzenführungskräften in Universitäten häufig gefordert – aber wie wirkt sie sich auf zentrale Aufgaben des Krisenmanagements aus? Spannend ist diese Frage vor allem, wenn man die klassische, positive Betrachtung von Empathie mit der jüngeren, unter anderem von dem Psychologen Paul Bloom postulierten, kritischen Perspektive verbindet. Es zeigt sich nämlich, dass auch bei Empathie Mäßigung das Maß aller Dinge ist.

Je empathischer eine Führungskraft ist, umso schneller erkennt sie mögliche Warnsignale – wird aber vielleicht auch Krisen sehen, wo gar keine sind. Eine Herausforderung beim Erkennen von Krisen liegt darin, dass Beteiligte häufig allein emotionale Signale geben, wenn sie eine bedrohliche Situation verspüren. Besitzt die Führungskraft keine "Fühler" für solche Signale, kann es sein, dass viel Zeit verstreicht, bevor sie handelt. Je empathischer allerdings eine Führungskraft ist, desto eher und häufiger schlägt sie auch falschen Alarm. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass die Organisation abstumpft und auch eine echte Krise für einen Fehlalarm hält.

Mit kühlem Kopf durch die Krise navigieren

Empathie erleichtert es Führungskräften, in der Krise an relevante Informationen zu gelangen, verzerrt aber auch die Verarbeitung dieser Informationen. Führungskräfte in Krisen leiden meist an Informationsmangel. Sie haben häufig zwar durchaus relevante, aber nur noch selten ausreichend tiefgehende Expertise, um die Ursachen der Krise alleine zu eruieren. Sie sind auf ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angewiesen. Letztere teilen Informationen jedoch eher mit Personen, von denen sie Wertschätzung erwarten können und keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben. Führungskräfte benötigen also Einfühlungsvermögen, damit sie überhaupt an Informationen kommen. Weniger hilfreich ist Empathie aber, wenn es heißt, Informationen unbefangen zu verarbeiten. Experimente zeigen, dass Empathie die Kognition von Entscheidungsträgern belasten kann – ihnen fehlt möglicherweise der kühle Kopf, um im Angesicht der Sorgen einiger die für die Organisation als Ganzes richtige Entscheidung zu treffen. Im Zweifel verleitet ihre hohe Empathie sie zu Entscheidungen, die die Stress­situation nur kurzfristig mildern oder Gruppen besserstellen, denen sie sich selbst nahe fühlen.

Je empathischer eine Führungskraft ist, desto eher wird sie Mitgefühl und Verständnis gegenüber Stakeholdern zeigen – allerdings auch, wenn dies substanzielle Risiken birgt. Die Kommunikation von Organisationskrisen ist eine der größten und verantwortungsvollsten Herausforderungen. Untersuchungen belegen, wie wichtig es ist, dass Führungskräfte aktiv in den Dialog mit den Stakeholdern treten und Mitgefühl, Sorge und Verständnis zeigen, um Vertrauen zu erhalten und wiederzugewinnen. Allerdings zeigen Studien auch, wie vorsichtig Führungskräfte sein müssen, um im Interesse der Organisation und der Beschäftigten nicht voreilig zu viel Verantwortung auf sich zu nehmen. Schließlich gilt es zu vermeiden, dass sich Stakeholder wie die Öffentlichkeit, politische Entscheidungsträger oder Investoren abwenden. Führungskräfte mit einem moderaten Grad an Empathie könnten daher am ehesten in der Lage sein, in der Krise adäquat zu kommunizieren.

Je empathischer eine Führungskraft ist, desto besser gelingt es ihr, das verletzte Beziehungssystem nach einer Krise zu heilen – aber umso schwerer fällt es ihr, operativen Schaden zu reparieren. Zum Ende einer Krise muss eine Führungskraft die Organisation in einen Normalzustand zurückführen. Hierzu gehört es, das durch die Krise verletzte oder gar zerstörte Beziehungssystem der Organisation zu heilen. Empathischere Führungskräfte spüren präziser, wann die Belegschaft bereit ist, die Krise hinter sich zu lassen, einen Neuanfang zu wagen und aus den Erfahrungen zu lernen.

Zudem hilft Empathie dabei, diesen Heilungsprozess erfolgreich zu begleiten, sodass die Organisation auch aus der Krise gestärkt hervorgehen kann. Jedoch besteht die Lösung von Krisen oft auch in technischer Detailarbeit und dem Meistern operativer Herausforderungen. Je mehr sich eine Führungskraft aufgrund ihrer Empathie auf das Beziehungsgeflecht des Unternehmens konzentriert, umso weniger Aufmerksamkeit bleibt für operative Aspekte. Die Empathie von Führungskräften kann ein Unternehmen also auch daran hindern, nach einer Krise zur Normalität zurückzufinden.

Es zeigt sich: Empathie ist unabdingbar für das Management organisationaler Krisen, sicher auch in Universitäten. Allerdings – und dies mag überraschen, manchmal auch frustrieren – hat Empathie auch Schattenseiten, und ihre Vor- sowie Nachteile sind bei Coaching und Auswahl von Führungskräften in Universitäten zu bedenken. Spitzenführungskräfte wie Kanzler und Präsidenten sollten sich ihres Persönlichkeitsprofils gewahr sein und bewusst Berater heranziehen, die sie entsprechend unterstützen und ergänzen können.

Mitglieder entsprechender Auswahlgremien sollten die Empathie der Kandidatinnen und Kandidaten mit in Betracht ziehen. Dabei müssen sie jedoch auch beachten, dass nicht jeder, der zunächst empathisch wirkt, es auch ist. Beispielsweise bauen insbesondere Narzissten oft gekonnt das Gefühl sozialer Nähe auf, ohne wirklich empathisch zu sein. Für diejenigen, die mit Führungskräften in Universitäten interagieren, kann es sinnvoll sein, deren Empathieprofil – beispielsweise das eines Präsidenten – bei der Kommunikation der eigenen Sorgen und Nöte mit einzubeziehen. Zu empfehlen ist freilich auch eine gesunde Empathie gegenüber den Führungskräften selbst.