Wissenschaftlicher Alltag
Führen in Zeiten von Corona
Forschung & Lehre: Frau Thiele, die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten schon seit einigen Wochen aus dem Homeoffice. Bei vielen stehen parallel Kinderbetreuung und anderes auf dem Programm. Wie gehen Lehrstuhlinhaberinnen und Lehrstuhlinhaber damit am besten um?
Nicola Thiele: Teams müssen sich derzeit noch besser koordinieren als sonst. Eine regelmäßige, vertrauensvolle und offene Kommunikation ist entscheidend. Ich rate Professorinnen und Professoren, gemeinsam mit ihren Teams zu besprechen, in welchen Abständen Meetings stattfinden sollen. Das sollte immer zum selben Zeitpunkt sein und lieber kürzer und häufiger als länger und seltener. Aber das muss ausprobiert und nach einiger Zeit immer wieder überprüft werden. Sagen Mitarbeiter kurzfristig wegen ihrer Kinder ab oder taucht ein Kind im Zoom-Meeting auf, ist Verständnis angesagt. Je entspannter Führungskräfte und Kollegen damit umgehen, desto gelassener sind die Eltern.
F&L: Worauf kommt es bei den Meetings an?
Nicola Thiele: Gerade wenn man nicht zusammen in einem Raum sitzt, ist es wichtig, dass Gespräche klar strukturiert sind. Dafür empfiehlt sich, vorab eine Agenda zu erstellen, die allen vorliegt. Damit sich alle äußern können, müssen gemeinsam Regeln besprochen werden: Wie melden wir uns? Wie wollen wir Ergebnisse festhalten, wie diskutieren und abstimmen? Wie verhalte ich mich, wenn ich kurzfristig weg muss? Ist das einmal geklärt, beschleunigt das die Arbeitsprozesse enorm.
"Weiß ich, dass ein Meeting nur 15 Minuten dauert, kann ich das in den meisten Fällen einrichten."
F&L: Bleibt die Frage nach einer Zeit, die allen passt…
Nicola Thiele: Natürlich wird es immer wieder Besprechungen geben, an denen nicht alle Team-Mitglieder teilnehmen können. Als Gruppenleiter oder Lehrstuhlinhaberin kann ich aber organisieren, wie Personen im Nachhinein informiert werden. Eine Teilnahme scheitert aus meiner Erfahrung ohnehin nur selten am Zeitpunkt. Entscheidend ist vielmehr die erwartete Dauer eines Gesprächs: Weiß ich, dass ein Meeting nur 15 Minuten dauert, kann ich das in den meisten Fällen einrichten. Von kurzen Besprechungen profitieren dabei alle, weil Videokonferenzen anstrengender sind als ein Treffen vor Ort. Müssen einzelne Themen detaillierter besprochen werden, können dafür gesonderte Termine vereinbart werden.
F&L: Wie haben Sie die Absprachen in Ihrer Abteilung organisiert?
Nicola Thiele: Wir haben uns auf ein festes Zoom-Meeting pro Woche mit allen 17 Abteilungsmitgliedern geeinigt. Zusätzlich vereinbare ich mit Einzelnen je nach Bedarf Termine für Absprachen. Von einer anderen Abteilung weiß ich, dass sie sich jeden Morgen auf einen Kaffee vor der Kamera verabreden und gemeinsam in den Tag starten. Das muss jedes Team für sich entscheiden.
F&L: Was ist, wenn die Vorstellungen zu stark auseinandergehen?
Nicola Thiele: Wünschen sich zum Beispiel einige ein tägliches Meeting und anderen ist das zu viel, muss ich einen Kompromiss finden. Aber als Führungskraft habe ich ja auch die Möglichkeit, mich nur bei einzelnen häufiger zu melden. Die Chance sollte ich auch nutzen, weil es diejenigen abholt, denen die Arbeit von zu Hause im Vergleich zu anderen weniger liegt. In solchen Gesprächen sollte es natürlich nicht um Absprachen gehen, die alle betreffen. Die können für Meetings vorbehalten werden, an denen wieder alle teilnehmen. Viele Kolleginnen und Kollegen machen auch untereinander Meetings aus, um sich einfach so auszutauschen oder auch gemeinsam etwas zu spielen. So bleibt man auch in Corona-Zeiten in Kontakt.
F&L: Wie halten Teams den Überblick über alle erledigten und noch ausstehenden Aufgaben?
Nicola Thiele: Mein Tipp ist, eine gemeinsame Plattform zu nutzen, auf der Ideen und Aufgaben gesammelt werden. So ist jeder über alles informiert. Beispiele für solche Plattformen sind "Trello", "Confluence" oder "Reetro". Hierüber können auch gut Meetings organisiert und Besprechungsthemen gelistet werden. Darüber hinaus können Führungskräfte mit Einzelnen oder Teilgruppen Ziele festhalten und in regelmäßigen Abständen schauen, inwiefern diese eingehalten werden konnte oder neu aufgeteilt werden müssen. Das betrifft nicht nur die Menge. Vielleicht ist es für den einen leichter, kurze, zeitnah zu erledigende Aufgaben zu übernehmen, während der andere mehr Puffer braucht und sich stattdessen in komplexe Aufgaben hineindenkt, weil er tagsüber stark in andere Aufgaben eingebunden ist und nicht so schnell reagieren kann. Von Nachfragen, ob eine Aufgabe nicht doch noch schnell erledigt werden kann, oder Vergleichen, warum der eine Arbeit und Privates vermeintlich besser im Homeoffice unter einen Hut bekommt als jemand anderes, rate ich ab. Das ist kontraproduktiv.
F&L: Warum?
Nicola Thiele: Die Situation, in der sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler derzeit befinden, ist ohnehin hochbelastet – das hören wir in unseren Webinaren immer wieder: Neben ihren Forschungsvorhaben muss die Lehre eben mal schnell auf digital umgestellt werden und gleichzeitig sollen die Kinder zuhause beschäftigt oder je nach Alter beschult werden. Dazu kommen möglicherweise Zukunftssorgen bezogen auf sich selbst, Partnerin oder Partner. Menschen, die sich in solch einer Situation wiederfinden, werde ich nicht durch Druck anspornen. Aktuell gilt es loszulassen, darauf zu vertrauen, dass es die Leute so gut machen, wie es geht, und für einen positiven Team-Spirit zu sorgen. Dazu gehört auch, Fortschritte zu feiern – ob im Kleinen oder Großen. Haben Gruppenleiterinnen oder Institutsleiter Bedenken, dass Aufgaben nicht mit vollem Engagement erledigt werden, können sie dem durch häufigere Absprachen entgegenwirken. So bleiben sie über den Arbeitsfortschritt einer Person auf dem Laufenden und können unterstützen.
Korrektur: In einer früheren Fassung des Interviews wurde Nicola Thiele als Personalleiterin eingeführt. Sie ist jedoch Leiterin der Stabsstelle Personalentwicklung & Karriere an der Universität Bonn.