Frau arbeitet im Home-Office
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Organisationspsychologie
Produktiv und zufrieden im Homeoffice

Viele Wissenschaftler arbeiten derzeit von zu Hause. Ein Arbeitspsychologe erklärt, wie sich das Homeoffice von seiner besten Seite zeigen kann.

Von Hannes Zacher 29.04.2020

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Homeoffice gehören zu den zehn bis 20 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland, die zumindest an einigen Tagen pro Woche ihre Arbeit von zu Hause aus erledigen. Während der Corona-Krise im März und April haben nun fast alle wissenschaftlich Tätigen Erfahrungen mit Telearbeit, wie die Arbeit im Homeoffice in der Fachsprache genannt wird, gesammelt. Allerdings geschah dies unter erschwerten Bedingungen: Aufgrund geschlossener Kitas und Schulen mussten viele gleichzeitig die Kinderbetreuung organisieren.

Fast alle Kolleginnen und Kollegen arbeiteten Vollzeit aus dem Homeoffice, dementsprechend nahm die Anzahl der E-Mails und virtuellen Meetings stark zu. Die Arbeits­anforderungen stiegen, da die Lehre im Sommersemester kurzfristig online angeboten werden musste. Und nicht zuletzt gab es eine starke Verunsicherung darüber, wie sich die Krise weiter entwickeln würde und wie sich die inhaltlichen und organisatorischen Aspekte der eigenen Arbeit deshalb verändern würden.

"Im Home­office kann der Organisationsaufwand steigen und die psychologische Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen."

Anekdotische Evidenz zeigt, dass die individuellen Erfahrungen mit dem Homeoffice sehr unterschiedlich ausgefallen sind: Während die einen sich bereits nach einer Woche nach dem Büro (beziehungsweise Labor) zurücksehnten, können sich andere durchaus vorstellen, zukünftig häufiger (und selbstbestimmter) aus dem Homeoffice zu arbeiten. Zu den Vorteilen des Home­office zählt, dass es mehr zeitliche und räumliche Flexibilität beim Arbeiten ermöglichen kann. Außerdem kann es dabei helfen, lange Pendelwege zu vermeiden und Beruf und Privatleben besser zu vereinbaren.

Andererseits kann im Home­office der Organisationsaufwand steigen und die psychologische Grenze zwischen Beruf und Privatleben verschwimmen, auf Kosten der Erholung und des Wohlbefindens. Die arbeits- und organisationspsychologische Forschung beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema Telearbeit. Basierend auf dieser Forschung lassen sich evidenzbasierte Empfehlungen für die Gestaltung von erfolgreicher Tele­arbeit in der Wissenschaft ableiten.

1. Ergonomische ­Arbeitsumgebung

Zu Beginn der Corona-Krise fanden sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, oftmals zu zweit, mit dem Laptop am Küchentisch wieder, umringt von Kindern und Haushalt. Dieser Ausnahmezustand entspricht natürlich nicht dem Ideal: Der Arbeitsplatz zu Hause sollte physisch genauso gut gestaltet sein wie der im Büro an der Universität. Die Errungenschaften jahrzehntelanger Bemühungen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit dürfen nicht durch das Homeoffice verloren gehen.

Neben einem ruhigen und hellen Arbeitszimmer sollte zu Hause ein ergonomisch günstiger Tisch und Arbeitsstuhl vorhanden sein, sowie ein Computer mit Drucker, Scanner, Webcam und stabiler Internetverbindung. Diese Grundausstattung sollte individuell erweitert werden, wie zum Beispiel durch Bilder und Grünpflanzen, um die eigene Arbeitsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Identifikation mit der Arbeit zu erhöhen.

2. Selbst­management

Das Homeoffice stellt generell höhere Anforderungen an die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Selbstmotivation als das Büro. Zu Hause gibt es mehr Ablenkungen: Die Wäsche muss noch erledigt werden, im Radio läuft eine interessante Sendung, der Nachbar klingelt…Deshalb sollten sich Telearbeiter spezifische, realistische, aber auch herausfordernde Ziele für jeden Arbeitstag setzen. Genauso wie im Büro sollten die Aufgaben im Home­office nicht überfordernd, gleichzeitig aber vielfältig in ihren Anforderungen und vollständig sein, also alle Schritte von der Zielsetzung und Planung über die Ausführung bis zur Feedbackverarbeitung beinhalten. Wichtig sind weiterhin regelmäßige Erholungspausen und die klare zeitliche Abgrenzung der Erwerbsarbeit von anderen wichtigen Lebensbereichen. Die besonderen Anforderungen der Telearbeit sollten auch mit der Familie besprochen und gemeinsam Regeln vereinbart werden, damit es nicht zu Konflikten kommt.

3. Soziale Eingebundenheit

Menschen, die im Homeoffice arbeiten, können Gefahr laufen, von ihren Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten ohne böse Absicht übersehen zu werden – sie geraten sprichwörtlich "aus den Augen, aus dem Sinn". Deshalb ist es nicht nur in Zeiten der Corona-Krise wichtig, die Initiative zu ergreifen und sich regelmäßig telefonisch oder online zu verabreden, um sich über Projekte und Aufgaben auszutauschen. Wenn die meisten Kolleginnen und Kollegen im Home­office arbeiten, können Teams auch einen "virtuellen Büroflur" oder eine "virtuelle After-Work-Party" einrichten, um sich per Videokonferenz informell zu unterhalten. Sozialer Austausch und Eingebundenheit tragen auch dazu bei, dass sich Erwerbstätige stärker mit ihrem Team und ihrer Organisation identifizieren, was wiederum positive Effekte auf Leistung und Wohlbefinden hat.  

4. Motivieren, nicht kontrollieren

Vorgesetzte sollten ihre wissenschaftlichen Mitarbeitenden im Homeoffice möglichst genauso behandeln wie die Mitarbeitenden vor Ort, sie also nicht vernachlässigen, aber sie auch nicht stärker kontrollieren. Im Vordergrund sollte das Ergebnis stehen, nicht der Weg dorthin. Dazu gehört auch, Mitarbeitende im Homeoffice gleichberechtigt zu allen Meetings und Feiern einzuladen und ihnen Weiterbildungen zu ermöglichen. Gerade Mitarbeitende, für die die Telearbeit eine neue Erfahrung ist, brauchen zu Beginn viel Unterstützung. Vorgesetzte können die Selbstwirksamkeit dieser Mitarbeitenden, also die Überzeugung, Arbeitsaufgaben im Homeoffice erfolgreich bewältigen zu können, erhöhen, indem sie ihnen mit passenden Aufgaben zu Erfolgserlebnissen verhelfen, ihnen gut zureden und Vertrauen schenken, sowie mit gutem Beispiel vorangehen.

5. Organisationskultur verändern

Universitäten sollten Telearbeit nicht ermöglichen, ohne auch ihre Organisationskultur entsprechend anzupassen. Dazu gehören Veränderungen in den sozialen Normen bezüglich An- und Abwesenheit, die Kommunikation klarer Erwartungen, faire Leistungsbewertungen, aber auch individuelle Vereinbarungen ("i-deals"), denn Erwerbstätige unterscheiden sich in ihren Fähigkeiten und Präferenzen bezüglich Telearbeit. Die wahrgenommene Fairness ist in Bezug auf Telearbeit sehr wichtig, damit Mitarbeitende Entscheidungen verstehen und akzeptieren. Dabei spielt es weniger eine Rolle, dass alle Mitarbeitenden genau gleich oft von zu Hause arbeiten dürfen ("distributive Gerechtigkeit"), sondern dass diesbezügliche Entscheidungen basierend auf transparenten Kriterien gut begründet ("prozedurale Fairness") und einfühlsam kommuniziert werden ("interaktionale Gerechtigkeit").

"Die meisten Erwerbstätigen sind am zufriedensten, motiviertesten und produktivsten, wenn sie ungefähr zwei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten."

Die arbeits- und organisationspsychologische Forschung zeigt, dass die meisten Erwerbstätigen am zufriedensten, motiviertesten und produktivsten sind, wenn sie ungefähr zwei Tage pro Woche im Homeoffice arbeiten und die restliche Zeit vor Ort im Büro. Außerdem wissen wir, dass der persönliche Austausch mit Kolleginnen und Kollegen generell effektiver und kreativitätsförderlicher ist als virtuelle Meetings. Die ganze Woche über im Homeoffice arbeiten zu müssen und gleichzeitig Kinder zu betreuen, wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler während der Corona-Krise, ist aus Sicht der Forschung eher ungünstig und deshalb hoffentlich von kurzer Dauer. Andererseits könnte durch die Krise die Akzeptanz der Telearbeit bei Erwerbstätigen und Organisationen langfristig steigen, wenn gute Erfahrungen damit gemacht werden konnten.