Wohnzimmer mit Arbeitssachen und Spielzeug
privat

Vereinbarkeit von Familie und Beruf
Zwischen Bauklötzen und Research Paper

Kitas und Schulen sind geschlossen. Im Homeoffice versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen.

Von Katrin Schmermund 06.04.2020

Freitag, 18.30 Uhr: Interviewtermin mit Professorin Nikol Rummel von der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Ans Telefon geht ihr achtjähriger Sohn. Seine Mutter sei noch an der Haustür, erklärt er. Der Techniker der Uni bringe irgendetwas vorbei. "Sie können ruhig dran bleiben." Die Zwischenzeit nutzt er, um zu erklären, was er im "Homeschooling" über die Nasa-Missionen Voyager 1 und 2 gelesen habe – "ziemlich cool". Außerdem ärgert er sich, so viel zu Hause sein müssen:  "Mir fällt hier schon fast die Decke auf den Kopf." Da ruft seine Mutter, wer eigentlich am Telefon sei.

Wie bei Nikol Rummel sieht es derzeit in vielen Haushalten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus. Kitas und Schulen sind wegen des Coronavirus für Wochen geschlossen, die Eltern mit Arbeit und Kindern zu Hause: Vereinbarkeit im Härtetest.

"Normalerweise kann ich tagsüber von 8 bis 16 Uhr konzentriert arbeiten und habe abends noch ein paar Stunden", sagt die Professorin für Pädagogische Psychologie kurz darauf. "Aktuell kann ich froh sein, wenn es mal zwei Stunden am Stück sind. Und abends bin ich total platt davon, den ganzen Tag zwischen Kind und Arbeit zu jonglieren." Bevor sie spricht, hat sie ihren Sohn noch mit seiner täglichen Fußballaufgabe ausgestattet. Dann hat sie Luft – für ein paar Minuten.

"Absprachen mit Kolleginnen und Kollegen über Videokonferenz funktionieren gut", erklärt sie. "Mails kann ich zwischen Gemüseschneiden und Kind bespaßen auch schreiben." Wenn es an die Forschung gehe, werde es schon problematischer. "Anträge schreiben und Publikationen überarbeiten – dazu braucht es konzentrierte Arbeitszeit. Das geht nicht zwischen Tür und Angel."

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kind

Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Kinder haben, wird statistisch nicht erfasst. Die umfassendsten Ergebnisse lieferte laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs eine Studie von 2014. Demnach sind 26 Prozent der Nachwuchswissenschaftlerinnen und 29 Prozent der Nachwuchswissenschaftler Eltern. In anderen Befragungen sagten befristet Beschäftigte, die Familienplanung aufgrund der Jobunsicherheit aufzuschieben. Der Elternanteil unter Professorinnen und Professoren dürfte also deutlich höher sein.

Abgabefristen rücken näher

"Druck machen mir derzeit vor allem die Abgabefristen für zwei große Projektanträge", sagt Rummel. Bei der Leibniz-Gemeinschaft schreibe sie gemeinsam mit Partnern aus drei Leibniz-Instituten derzeit einen Antrag im Leibniz-Wettbewerb. Die Frist zur Abgabe der Vollanträge ist Ende April. "Wir machen uns viele Gedanke, wie wir es zeitlich schaffen können", sagt Rummel. "Die meisten von uns sind Eltern, unser Projektleiter sitzt mit drei Kindern zu Hause, eines davon ist behindert - die Frist unter diesen Bedingungen einzuhalten, ist der helle Wahnsinn."

Ein Kollege von ihr habe bei der Leibniz-Gemeinschaft nachgefragt, dort habe man eine Verlängerung der Frist ausgeschlossen. Dies bestätigte der Förderer auf Anfrage von Forschung & Lehre, "da die Corona-Pandemie erst relativ spät im Verfahren akut geworden ist und die meisten Initiativen bereits vorbereitet waren. Zudem sind im Leibniz-Wettbewerb unsere Institute als Ganze die Antragssteller, was die Möglichkeit der Arbeitsteilung bei auftretenden Betreuungsproblemen natürlich gegenüber Individualanträgen deutlich erhöht." Für andere Fristen, wie die Evaluation einzelner Institute, stehe man im Austausch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.

"Ich fürchte, dass gerade Wissenschaftlerinnen unter der derzeitigen Situation leiden werden." Nikol Rummel, Ruhr-Universität Bochum

"Das empfinde ich angesichts der aktuellen Situation als einen Schlag ins Gesicht", ärgert sich Rummel. "Wir und alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern haben ein akutes Betreuungsproblem durch die Corona-Krise. Wie kann man da einfach drüber hinweggehen?" Zum ersten Mal fühle sie sich äußeren Einflüssen ausgeliefert, sagt sie. "Ich fürchte, dass gerade Wissenschaftlerinnen unter der derzeitigen Situation leiden werden. Viele haben nicht das Glück wie ich, eine Professur zu haben, und können sich jetzt nur mit halber Konzentration oder gar nicht auf Projekte bewerben, die sie vielleicht mehrere Jahre finanzieren und sie in ihrer Qualifikation weiter voranbringen würden. Das könnte die harte Arbeit der vergangenen Jahre für mehr Gleichstellung in der Wissenschaft wieder zunichtemachen."

Bei einem zweiten Antragsvorhaben für eine Förderlinie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) zur digitalen Hochschulbildung warte Rummel noch auf eine Rückmeldung. Auch hier liege die Bewerbungsfrist Ende April. Das BMBF bestätigte auf Nachfrage, dass eine Verlängerung geplant sei. Am 8. April soll die Bekanntgabe folgen. Hier kann Rummel also vorerst aufatmen.

Relativ sicher fühlen sich auf Nachfrage Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die derzeit Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) schreiben oder über diese finanziert sind. Die Förderorganisation hatte im März bekanntgegeben, ihre Förderrichtlinien an die Corona-Pandemie anzupassen. Fristen sollen verlängert und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch zu einem späteren Zeitpunkt als geplant noch gefördert werden – sofern das Geld von Bund und Ländern käme. Die zuständige Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) wolle dies unterstützen, teilte sie auf Nachfrage mit. Nicht geäußert hat sie sich zu möglichen zusätzlichen Kosten durch die Corona-Pandemie; diese seien "bisher nicht bekannt".

Nicht alle Förderer informieren von sich aus über eine Verlängerung von Fristen oder Änderungen in den Förderrichtlinien. Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lohnt es sich, nachzufragen. Einige haben daraufhin die Zusage für eine Verlängerung erhalten, wie sie gegenüber Forschung & Lehre mitteilten.

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (Efi) plädierte derweil an Bund und Länder, "geförderte Projekte kostendeckend zu verlängern, vertragliche Fristen und Projekt-Meilensteine zeitlich anzupassen und neue Ausschreibungen – sofern sie nicht zeitkritisch sind – mit einem verlängerten Vorlauf zu versehen".

Hoffen auf Vertragsverlängerung

Problematisch kann es zum Beispiel bei einer Förderung über kleinere Stiftungen werden, die nicht auf Steuergeld zurückgreifen können. Über so eine Stiftung wird auch Dr. Franziska Briest finanziert. Die Krebsforscherin ist an der Berliner Charité seit Jahren über Drittmittel beschäftigt. Der Vertrag sei bislang immer verlängert worden, jetzt hat sie Bedenken. "Treffen sich Gremien nicht wie gewohnt, bezweifle ich, dass ich bis Ende Juni einen neuen Vertrag unterzeichnen kann", sagt Briest. "Auch meine Tätigkeit für Gremien der Fakultät wären in Gefahr, da diese durch eine Wahl legitimiert sind und mit einem Ausscheiden aus der Fakultät enden." Sie hofft auf digitale Wege, um Entscheidungsverfahren aufrechterhalten zu können. "Erfahren habe ich leider noch nichts."

"Während in Dauerschleife Leo Lausemaus aus unseren Lautsprechern dröhnt, bin ich allerdings deutlich unkonzentrierter als sonst." Franziska Briest, Charité Berlin

Mit ihrer dreijährigen Tochter und ihrem neunjährigen Sohn arbeitet sie seit März von zu Hause. Die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann. "Meist kümmere ich mich bis nachmittags um die Kinder. Dann übernimmt mein Mann und ich gehe bis 23 Uhr ins Homeoffice", sagt sie. Einmal bis zweimal die Woche hat sie Laborpräsenz an der Charité. Die meisten Experimente dort habe sie im wahrsten Sinne auf Eis gelegt. Zuhause konzentriere sie sich darauf, bereits vorhandene Daten auszuwerten und Paper zu schreiben. "Während in Dauerschleife Leo Lausemaus aus unseren Lautsprechern dröhnt, bin ich allerdings deutlich unkonzentrierter als sonst. Dass ich Arbeitsschritte drei oder viermal kontrollieren muss, passiert mir sonst nicht." In den nächsten Wochen komme dann noch die Vorbereitung auf die Lehre im kommenden Semester hinzu. Für ihre Habilitation hält sie acht Seminare pro Semester. In welcher Form diese ab April stattfinden sollen, sei bisher noch nicht entschieden.

Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern hatten für den Sommer ein "Nicht-Semester" oder auch "Flexi-Semester" gefordert. Sie wollten der "Durchhalterhetorik" ein Ende setzen, die Lehre im kommenden Semester auf jeden Fall auf die Beine stellen zu wollen, wie eine Mitinitiatorin erklärte. Die Zeit solle als Pausen-Semester angesehen werden, in dem Dozierende Kurse anbieten und Studierende Punkte erwerben könnten, sie gleichzeitig aber keinen Nachteil daraus zögen, wenn sie es nicht schafften.

"Wir suchen derzeit nach Unterstützungsmöglichkeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Kinder betreuen müssen oder nicht ins Labor können." Anja Steinbeck, Universität Düsseldorf

Inzwischen ist der Beschluss der Länder gefallen, am Sommersemester festhalten zu wollen – auch, wenn nicht alle Veranstaltungen stattfinden werden. "Wir suchen derzeit nach Unterstützungsmöglichkeiten für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ihre Kinder betreuen müssen oder nicht ins Labor können", sagt zum Beispiel Rektorin Anja Steinbeck von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sie hatte sich bereits früh gegen ein Nicht-Semester ausgesprochen. Für die Gestaltung der digitalen Lehre baue die Hochschule ihre Lernmanagementsysteme aus. Dabei sollen Dozierende möglichst viele Freiräume haben, um den Anforderungen ihres Fachbereichs nachkommen zu können. Als zeitsparende Lösung empfiehlt die Hochschulleiterin Dozierenden, Powerpoint-Präsentationen zu besprechen und Studierenden digital zur Verfügung zu stellen.

Befristet Beschäftigten an ihrer Hochschule macht sie Mut: "Den Fakultäten werden aus dem Hochschulpakt und dem Pakt für Studium und Lehre ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um wissenschaftlich Beschäftigten, die während der Corona-Krise ihre Forschungsprojekte nicht abschließen konnten, für mehrere Monate weiter zu finanzieren."

Kommt keine zusätzliche Förderung von den Hochschulen, können Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler mit Kindern auf Haushaltsmittel am Lehrstuhl hoffen. Während sich dafür einige Lehrstuhlinhaberinnen und Lehrstuhlinhaber in Gesprächen mit Forschung & Lehre offen zeigen und Geld dafür hätten, haben andere dieses nach eigenen Angaben nicht oder sehen es nicht ein, es wegen der Corona-Krise auszugeben. "Mir würde das Geld für eine Neueinstellung und damit auch für weitere Projekte fehlen", sagt etwa Professorin Nicole Krämer von der Universität Duisburg-Essen. Sie hat zwei Doktorandinnen mit Kindern im Team, deren Verträge in diesem Jahr auslaufen. Die Psychologin will die Universität um Unterstützung bitten, damit Doktorandinnen und Doktoranden mit Kind nicht gegenüber anderen benachteiligt sind."

Beratung durch Family Support der Unis

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kindern suchen derzeit Hilfe beim Family Support der Universitäten. "Anfangs waren es vor allem Eltern aus den sogenannten 'systemrelevanten Berufen', die sich gemeldet haben, jetzt sind es vor allem Forschende aus dem akademischen Mittelbau, die sich über ihre Rechte informieren, oder nach seriösen digitalen Lernangeboten und Spielen für ihre Kinder fragen", erklärt eine Mitarbeiterin der Universität zu Köln. Ein zentrales Thema seien auch Fragen zur Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern.

Family Support: Kinder und Pflege

Viele Hochschulbeschäftigte sind auch privat stark eingebunden. Das kann neben der Betreuung von Kindern beispielsweise auch die Pflege von Angehörigen sein. Hochschulen informieren speziell für die Zeit der Corona-Pandemie, welche Rechte Beschäftigte haben und welche Unterstützungsangebote sie von ihrer Universität oder anderen Einrichtungen erhalten können. Ein Beispiel: Das Informationsportal der Universität zu Köln

"Kinder sind in diesen Tagen vielfach belastet, auch ihr Tagesablauf ist massiv verändert", sagt Sozialpsychologin Professorin Andrea Abele-Brehm. "Es ist wichtig, dass Eltern mit ihnen darüber sprechen und ihnen altersgerecht verständlich machen, was derzeit los ist." Im Beruflichen müssten Eltern ihre Erwartungen herunterschrauben. "Anders geht es nicht", sagt Abele-Brehm. "Mit eigener Arbeit, Kindern und Home-Schooling ist es unmöglich, alles wie vorher zu schaffen. Setzt man sich keine möglichst realistischen Ziele, ist die Dauerfrustration vorprogrammiert."

"Sich Ablenkungen zu bewahren, auch wenn es nur kurze Momente sind, kann viel bewirken." Sozialpsychologin, Andrea Abele-Brehm

Sie selbst sei in einer privilegierten Situation, dem sei sie sich bewusst: eine feste Stelle, die Kinder erwachsen. "Wenn ich merke, dass ich trotzdem traurig oder frustriert bin, weil ich bestimmte Sachen nicht mehr machen kann oder meinen Enkel wieder nur über Skype sehe, übe ich mich in etwas, das ich anderen immer rate: Ich versuche im Hier und Jetzt zu bleiben und mich darauf zu konzentrieren, was ich selbst in der Hand habe. Ansonsten verbrauche ich Energie für etwas, an dem ich nichts ändern kann." Auch nehme sie sich bewusst schöne Dinge vor und versuche sich möglichst viel zu bewegen, sagt die Psychologin. "Darüber mögen Eltern, die ohnehin bis zum Kopf in Arbeit stecken, vielleicht erst einmal müde lächeln, aber sich Ablenkungen zu bewahren, auch wenn es nur kurze Momente sind, kann viel bewirken."

Abele-Brehm empfiehlt Eltern die Tagesstruktur – je nach Alter der Kinder – gemeinsam zu entwickeln und festzuhalten. Dabei sollte es sowohl für Arbeit und Lernphasen als auch für Freizeit feste Rahmen geben, damit sich Kinder darauf freuen könnten, und nicht zwischendurch danach fragten.

Arbeiten, lernen und spielen nach Plan

Einen Tagesplan hat auch Rummel gemacht. Als alleinerziehende Mutter habe das aber seine Grenzen. "Ich bin eben doch laufend Ansprechperson, falls etwas ist." Bei Naturwissenschaftler Sascha Schanze sieht es schon etwas besser aus. Seine Frau als Postdoc und er als Professor können sich die Arbeit teilen, arbeiten aber auch beide für die Leibniz Universität Hannover. Ihr Tag ist genau getaktet. Die Kinder, vier, sechs und 13 Jahre alt, erkennen an einem Plan mit selbst gemalten Uhren, wann Arbeitszeit und wann Freizeit angesagt ist.

"Wir hatten den Vorteil, uns durch einen abgesagten Urlaub zwei Wochen auf diese Situation vorbereiten zu können", sagt Schanze. "In der Zeit haben wir zusammen mit den Kindern neue Strukturen getestet." Das sieht derzeit so aus, dass wir um sechs Uhr mit der Arbeit starten. Die Kinder werden zwischen sieben und acht wach und beschäftigen sich bis neun selbst. Nach dem Frühstück arbeiten wir im Wechsel, von 14 bis 16 Uhr sind die Kinder dann draußen. Dabei sei die ältere Tochter eine große Hilfe. "Wenn wir jeweils auf sechs Stunden kommen, sind wir gut", sagt Schanze. "Aber ich bin mal gespannt, wie lange wir das durchhalten."

Von sechs Stunden konzentrierter Arbeit könne sie nur träumen, sagt Rummel während sich aus dem Hintergrund Fußball und Kinderrufe nähern. "Mama, können wir jetzt einkaufen gehen?" – "Kann ich?" – Sie kann.

#homeofficewithkids

Humor und Kreativität kommen in deutschen Forscherhaushalten trotz Stress nicht zu kurz. Krebsforscherin Dr. Franziska Briest ruft zu einer "#legochallenge" auf. Ein Fraunhofer-Forscher lässt seinen dreijährigen Sohn mit Klopapierrollen experimentieren. In anderen Wohnzimmern erwachsen Weltraumstationen aus Styropor und Pappkartons. Und die Bauklötze der Kids entpuppen sich als perfekte Halterung für das Handy während der Videokonferenz mit Kolleginnen und Kollegen.