Das Foto zeigt einen Spielholzturm, der aufgestockt wird.
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Lehrstuhlmanagement
Führend Wissen schaffen

Ein Lehrstuhl muss geschickt geführt werden, um die vielen Aufgaben effektiv zu bewältigen und Freiräume zu schaffen.

Von Claudia Peus Ausgabe 8/17

"Man muss sozusagen die eier­legende Wollmilchsau sein" – so beschreibt ein Kollege die an ihn gestellten Anforderungen im Hochschulalltag. Wie kann man einen Lehrstuhl so führen, dass die komplexen Aufgaben, die täglich anfallen, nachhaltig erfolgreich bewältigt werden können und dabei noch Zeit für eigene Forschung oder andere wichtige Aufgaben bleibt? Erkenntnisse aus der internationalen Organisations- und Führungsforschung bieten hier klare Ansatzpunkte.

Übergeordnete Rollen einer Führungskraft

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sehen sich primär als Forschende und Lehrende, spätestens mit der Übernahme einer Professur kommt allerdings eine neue Rolle hinzu: Führungskraft. Für diese Rolle gibt es oft weniger ausgeprägte Erfahrungen und Vorbilder. Es ist daher hilfreich, sich zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, welche verschiedenen Facetten die Rolle als Führungskraft umfasst und welche Tätigkeiten damit verbunden sind. Ein in der Organisationsforschung gängiges Modell unterscheidet dabei sechs verschiedene Rollen von Führungskräften, die, adaptiert für die Wissenschaft, im Folgenden beschrieben werden. Die genaue Ausgestaltung und Priorisierung der oben genannten Rollen hängt natürlich davon ab, wie ich meine Rolle als Professorin definiere. Zählt für mich allein Spitzenforschung oder ist es mir auch wichtig, viele erfolgreiche Doktoranden auszubilden oder einen substanziellen Einfluss auf die Praxis auszuüben? Am Ende sollten die – individuell unterschiedlichen – Werte, für die man stehen will, determinieren, welche Rollen wie ausgestaltet werden.

Sprecher: Die Kernaufgabe dieser Rolle besteht darin, die eigene Gruppe nach außen hin zu repräsentieren, zum Beispiel auf Konferenzen, aber auch in der eigenen Fakultät oder gegenüber der Universitätsleitung.

Ressourcenverwalter (und -akquisiteur): Hierzu gehören Tätigkeiten aus dem Finanz- und Stellenmanagement, zunehmend aber auch die Drittmittelakquise, denn häufig ist es notwendig, erst einmal die notwendigen Ressourcen zu beschaffen. Je nach Forschungsgebiet erfordert diese Rolle gegebenenfalls auch die Beschaffung, Wartung oder (Weiter-)entwicklung von Geräten oder Analysemethoden.

Unternehmer: Hier geht es darum, dass Chancen – wie zum Beispiel neue Möglichkeiten der Kollaboration oder auch Drittmittelinitiativen – genutzt werden und die Prozesse und Strukturen am Lehrstuhl immer wieder weiterentwickelt werden. So wird ermöglicht, dass flexibel auf veränderte Prioritäten (Neues Forschungsthema? Neues Drittmittelprojekt? Neue Funktion der Lehrstuhlinhaberin wie zum Beispiel Dekanat?) reagiert werden kann.

Netzwerker: Der Lehrstuhlinhaber ist auch immer wieder gefordert, Netzwerke mit relevanten Personen und Institutionen (zum Beispiel führende Kollegen im Feld, Drittmittelgeber) aufzubauen und zu pflegen. Gerade in den Sozialwissenschaften kann die Pflege von Kontakten zu Organisationen oder Personen, die interessante Stichproben für die eigene Forschung darstellen, ein wichtiger Erfolgsfaktor sein.

Kenner der Forschungslandschaft: Diese Rolle beschreibt Aktivitäten, die darauf abzielen, neueste Trends im eigenen Forschungsgebiet (und gegebenenfalls darüber hinaus) zu kennen und hinsichtlich neuester Erkenntnisse und Methoden up-to-date zu bleiben.

Leader: Eine zentrale Anforderung an jede Führungskraft besteht schließlich in der Mitarbeiterführung. Schafft es die Führungskraft, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Aufgabe zu begeistern, kann sie Ziele klar aufzeigen, Feedback geben und Coach beziehungsweise Mentor ihrer Mitarbeiter sein und so die Zusammenarbeit im Team fördern. Da Forschung (gerade in den Natur- und Technik- sowie Sozialwissenschaften) meistens im Team erfolgt, besitzt die erfolgreiche Ausführung dieser Rolle besondere Bedeutung. Zusammenhänge zwischen der Art der Mitarbeiterführung des Lehrstuhlinhabers beziehungsweise Arbeitsgruppenleiters und dem Publikationserfolg des Teams konnten wir in unserer Forschung aufzeigen. Spezifische, empirisch fundierte Empfehlungen für die Führung von (wissenschaftlichen) Teams werden entsprechend im folgenden Abschnitt dargestellt.

Führung von wissenschaft­lichen Teams

Die Forschung über Teams hat klare Faktoren identifiziert, die die Wahrscheinlichkeit substanziell erhöhen, dass ein Team erfolgreich ist, und die eine Führungskraft entsprechend berücksichtigen sollte:

Motivierende Zielrichtung / Vision: Gerade beim Aufbau eines neuen Teams ist es entscheidend, dass die Lehrstuhlinhaberin beziehungsweise der Lehrstuhlinhaber deutlich kommuniziert, wofür das Team in der Zukunft bekannt sein soll. Dabei ist es hilfreich, eine möglichst klare, bildhaft vorstellbare Vision zu verkünden, die den Kern dessen trifft, was man erreichen will (zum Beispiel wir wollen die Forschungsgruppe in Europa sein, die man als erstes kontaktiert, wenn es um die Entwicklung neuester Methoden im Bereich xy geht). Es empfiehlt sich, Zeit in die Entwicklung dieser Zukunftsvision zu investieren und zu überprüfen, ob diese eine motivierende Kraft für andere entfalten kann. Die genaue Ausgestaltung der Vision ist natürlich wiederum abhängig von den Werten und Zielen des Lehrstuhlinhabers. Sie sollte als eine Art Kompass für die Aktivitäten des Lehrstuhls dienen.

Passende Personen: Im nächsten Schritt ist es wichtig, Personen für den eigenen Lehrstuhl bzw. die Arbeitsgruppe zu finden, die eine hohe Passung mit den Zielen und Anforderungen aufweisen. Dabei ist es wichtig, nicht abstrakt nach "dem beziehungsweise der Besten" zu suchen, sondern ein genaues Anforderungsprofil zu erstellen und dieses für die Bewertung von Kandidatinnen und Kandidaten auf jeder Stufe des Auswahlprozesses zugrunde zu legen.

Förderliche Strukturen: Konnten geeignete Personen für das Team gewonnen werden, so ist es im nächsten Schritt wichtig, Strukturen für deren Zusammenarbeit zu etablieren. Dazu gehört ein gemeinsames Ziel, für dessen Erreichung die Teammitglieder gemeinsam Verantwortung tragen (zum Beispiel eine gemeinsame Publikation). Je nach Größe des Lehrstuhls bzw. der Gruppe kann es mehrere Teams geben, die an unterschiedlichen Themen arbeiten. Die Ziele der einzelnen Teams (zum Beispiel Publikationen) können dabei voneinander unabhängig sein; im Idealfall sind sie aber alle auf die übergeordnete Vision des Lehrstuhls hin ausgerichtet.

Für die Effektivität des Teams ist weiterhin wichtig, dass klar ist, wer zum Team dazugehört und wer nicht und dass die Konstellation der Team-Mitglieder zumindest für einen gewissen Zeitraum stabil ist. Auch sollte Klarheit hinsichtlich der Erwartungen des Lehrstuhlinhabers bestehen. Ist zum Beispiel jedem Teammitglied klar, was die Erwartungen an eine Promotion oder Habilitation sind? Schließlich sind klare Verhaltensnormen wichtig für eine reibungslose Zusammenarbeit in Teams. Sie spezifizieren, welche Verhaltensweisen im Team akzeptabel und welche nicht akzeptabel sind ("Spielregeln"). Klare, gut umgesetzte Normen verringern substanziell den Aufwand, den ein Team bzw. seine Leitung erbringen muss, um das Verhalten seiner Mitglieder zu managen. Sinnvolle, im Team gelebte Normen ersparen der Leitungsperson im Alltag entsprechend sehr viel Zeit. Eine Zeitinvestition in ihre Entwicklung und zeitweise Überprüfung beziehungsweise Anpassung lohnt sich daher.

Coaching des Teams und seiner Mitglieder

Um die Leistungsfähigkeit des Teams dauerhaft zu fördern, ist der Lehrstuhlinhaber bzw. die Lehrstuhlinhaberin immer wieder gefordert, als Coach bzw. Mentor zu agieren. Dabei ist es sinnvoll zu thematisieren, wo zum Beispiel Prozessverluste entstanden sind, die den Fortschritt behindert haben, und wie diese in Zukunft vermieden werden können. Da in der Wissenschaft auch die individuelle Weiterentwicklung und -qualifikation der Mitarbeitenden eine besonders wichtige Rolle spielt, ist die Lehrstuhlinhaberin und der Lehrstuhlinhaber besonders gefordert, als Coach bzw. Mentor ihrer Mitarbeitenden zu agieren. Dazu ist es vor allem wichtig, klares, konstruktives Feedback über die erbrachten Leistungen und Fähigkeiten zu geben, dabei aber auch deutlich aufzuzeigen, welche Weiterentwicklung notwendig ist.

Teamreflexion

Für den langfristigen Erfolg eines Teams spielt regelmäßige Reflexion eine besondere Rolle. Dabei wird etwa darüber gesprochen, welche Erfolge im Hinblick auf die Vision erzielt werden konnten, was in einem Projekt besonders gut lief und was daraus gelernt wurde. Im nächsten Schritt ist es wichtig, sich aber auch authentisch darüber zu verständigen, welche Fehlschläge passiert sind und warum. Daraus sollten dann konkrete Maßnahmen zur Verbesserung in der Zukunft abgeleitet und mit konkreten Verantwortlichkeiten versehen werden. Dabei ist es gegebenenfalls sinnvoll zu diskutieren, inwiefern bestehende Verhaltensnormen angepasst, eliminiert oder schlicht zum Leben erweckt werden sollten und wie dies geschehen soll. Ziel ist, durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess ein gut funktionierendes System zu etablieren, das die Bewältigung der komplexen Aufgaben an einem Lehrstuhl möglichst reibungslos ermöglicht, so dass Zeit für die wichtigsten (aber nicht immer dringendsten) Dinge bleibt.

Gewinnung passender ­Personen: Der Personal­auswahlprozess

  1. Das Anforderungsprofil beschreibt, welche Kenntnisse und Fähigkeiten für die Position benötigt werden. Es sollte spezifisch für die Position ausgestaltet sein. Dabei ist eine Gewichtung bestimmter Kompetenzbereiche sowie Spezifikation, welche Fähigkeiten sofort benötigt werden und welche noch erworben werden können, hilfreich. Ein klares Anforderungsprofil bietet die Kategorien, nach denen ein Kandidat im weiteren Prozess hinsichtlich seiner Passung für die Position beurteilt wird.
  2. Bewerberansprache: Zentral ist es hier, den Pool potenziell geeigneter Kandidatinnen und Kandidaten zu maximieren. Dazu kann neben einer Stellenausschreibung auf geeigneten Websites oder in entsprechenden Zeitschriften auch die gezielte Ansprache von Kollegen, Verbänden oder Stiftungen oder die Präsentation auf Konferenzen sinnvoll sein.
  3. Bewerbungsunterlagen: Idealerweise werden diese von zwei Personen unabhängig voneinander im Hinblick auf die Kategorien bewertet, die im Anforderungsprofil spezifiziert wurden. Auf Basis der Bewertung (zum Beispiel Punktwert) kann im nächsten Schritt schnell zwischen A (sehr vielversprechend), B (eventuell geeignet), C (ungeeignet) entschieden werden. Je nach Größe des Bewerberpools werden im weiteren Verlauf nur noch A oder auch B-Kandidaten berücksichtigt.
  4. Arbeitsprobe: Im Rahmen einer Arbeitsprobe haben Kandidaten die Chance zu zeigen, wie sie eine (für die jeweilige Stelle wichtige) Aufgabe bearbeiten. Dies liefert spezifischere Informationen über die Eignung des Kandidaten als zum Beispiel die klassischen Bewerbungsunterlagen. Je nach Position bietet es sich an, Kandidaten schon vor dem persönlichen Kennenlernen um eine Arbeitsprobe zu bitten. So können potenzielle Doktoranden zum Beispiel gebeten werden, in einem kurzen Exposé zu skizzieren, wie sie eine bestimmte Forschungsfrage bearbeiten würden oder welche neuen Forschungsfragen sie im Rahmen eines bestehenden Projekts für besonders interessant halten. Im besten Fall wird auch die Arbeitsprobe wieder von zwei Personen bewertet; das Ergebnis entscheidet zusammen mit der Bewertung der schriftlichen Bewerbungsunterlagen darüber, wer zum persönlichen Gespräch eingeladen wird.
  5. Bewerbungsgespräch: Dieses bietet die Möglichkeit, Hypothesen über die Eignung eines Kandidaten zu testen, weitere Kompetenzbereiche (wie zum Beispiel soziale Kompetenzen) zu überprüfen und realistische Informationen über die Tätigkeit bereitzustellen. Schließlich kann die Motivationslage und die Erwartungshaltung des Kandidaten ergründet werden. Dazu eignen sich verschiedene Fragetechniken wie zum Beispiel biographische oder situative Fragen.
  6. Entscheidungsfindung: Im Prozess wurden nun relevante Informationen bzw. Beobachtungen gesammelt, die nun im Hinblick auf das Anforderungsprofil bewertet werden können. Dabei bietet es sich wiederum an, die Urteile mehrerer Personen anzuhören und vor dem Hintergrund der Bedeutung der verschiedenen Fähigkeitsbereiche für die jeweilige Stelle zu gewichten.
  7. Onboarding: Gerade die ersten 100 Tage sind für die Motivation der Mitarbeiter entscheidend. Es ist also wichtig, ihnen einen guten Start zu ermöglichen, indem z.B. der Arbeitsplatz eingerichtet ist, wichtige Personen über ihren Starttermin informiert sind und sich zum Beispiel ein erfahrener Mitarbeiter als Mentor um einen guten Einstieg bemüht. Auch ein Begrüßungsgespräch mit der Lehrstuhlinhaberin oder dem Lehrstuhlinhaber und kurze Follow-ups sind am Anfang wichtig, damit der neue Mitarbeiter schnell sein Potenzial entfalten und einen Beitrag zu den Lehrstuhlzielen leisten kann.