Portraitfoto von Professor Dr. jur. Ulrich Foerste, Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht, Universität Osnabrück

Standpunkt
Attrappe

Die Defizite der Schulbildung sind evident und dennoch ändert sich nichts. Die Folge ist eine schleichende Entwertung der universitären Abschlüsse.

Von Ulrich Foerste Ausgabe 10/17

Auf die "Pflicht des Staates, seine Schulen so anzuordnen, dass sie den höheren wissenschaftlichen Anstalten gehörig in die Hände arbeiten" (Humboldt), spricht man unsere Kultusminister wohl besser nicht mehr an. Denn die Defizite dieser Schulausbildung sind evident: Die Rechtschreibung vieler Studenten ist nicht sattelfest, korrekte Interpunktion echte Ausnahme, indirekte Rede selbst in Abschlussarbeiten oft Glückssache; Ausdruck und Stil sind mindestens ungeübt, aber auch historische Banalitäten werden leicht einmal einige Jahrhunderte versetzt.

Die Klagen füllen längst Bücher, doch geändert hat sich nichts. Im Gegenteil, man meint zu spüren, es gehe immer steiler bergab. Dazu passt es, dass die eigenen Kinder in der jüngst beendeten achten Klasse (NRW) jedenfalls zu Hause nie nennenswert durch "Hausaufgaben" abgelenkt wurden. Dennoch mehren sich die Abitur-Spitzennoten. Rasant gestiegen ist auch die Abiturientenquote und damit die Gefahr, dass das Reifezeugnis Attrappe wird – und die Studierfähigkeit fehlt.

Studienabbruch politisch unerwünscht

Die Universitäten können das kaum ausgleichen. Vorbereitungskurse, wie sie inzwischen in manchen technischen Fächern angeboten werden, helfen nicht, wo Schriftdeutsch, Allgemeinbildung und Intellekt nottun. Wollte man hier auf früheren Standards beharren, so müssten (jenseits der NC-Fächer) eigentlich die Durchfallquoten zunehmen. Doch das wird kaum passieren, nicht nur aus psychologischen Gründen (Märtyrer sind selten), sondern auch deshalb, weil es die Bereitschaft zum Studienabbruch erhöhen würde. Dies ist aber politisch unerwünscht, was mancherorts ja schon durch heikle finanzielle Anreize verdeutlicht wird. Das legt nahe, dass man die Erstsemester auch künftig "dort abholt, wo sie sind", und so letztlich auch durch ihr Studium laufen lassen wird. Unvermeidliche Folge: die schleichende Entwertung der universitären Abschlüsse.

Wie lebt man nun als verantwortlicher, da weichenstellender Minister mit solchen Ergebnissen? Gewiss, wer heute sein Amt antritt, kann kurzfristig nur wenig tun, sind wir doch mitten in einer Entwicklung, deren Tiefpunkt gar nicht absehbar ist. Klarer ist die Sicht auf die Amtsvorgänger. Die einen wollten mehr "Bildungsgerechtigkeit": auch "bildungsfernen Schichten" den Zugang zu Gymnasien und lukrativen Studiengängen erleichtern – was ja höchst ehrenwert und unterstützenswert war, hätten sie dabei nur nicht geschummelt, nämlich die schulischen Kanones und Messinstrumente manipuliert. Die anderen erkannten, dass diese Absenkung der gymnasialen Anforderungen bei immer mehr Eltern enorme Erwartungen ausgelöst hatte, und hielten es nicht für opportun, solche Wähler zu enttäuschen. Genügt deutscher Idealismus oder politisches Kalkül wirklich, um mit gutem Gewissen in Pension zu gehen?