Eine Drohne mit integrierter Kamera fliegt vor einem leicht bewölkten Himmel.
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Internationale Forschungspolitik
EU-Kommission plant Förderung von Dual-Use-Projekten

In einem Whitepaper betont die EU-Exekutive die Bedeutung von Sicherheit. Geförderte Forschung soll zivilen und militärischen Nutzen haben.

24.01.2024

Der Missbrauch von Forschungsdaten zu militärischen Zwecken ist ein vieldiskutiertes Thema in der Wissenschaft. Laut Deutschlandfunk haben etwa 70 Hochschulen in Deutschland "eine Zivilklausel oder Selbstverpflichtungen, die festlegen, dass nur zu zivilen und friedlichen Zwecken geforscht werden darf." Beispiele für Technologien mit Dual-Use-Potenzial sind Drohnen und Satelliten. 

Kommissionsziel: Verringerung der Risiken von außen 

Ziel des heute veröffentlichten, neuen Förderungsansatzes ist es, gemäß der europäischen Wirtschaftssicherheitsstrategie vom Sommer 2023 alle Potenziale im Bereich Forschung und Entwicklung zu nutzen, um Risiken zu minimieren und Sicherheit zu erhöhen. Die zivile Sicherheit habe an Bedeutung gewonnen. Insbesondere die Sicherung der kritischen Infrastruktur, der Grenzen, der Grundversorgung sowie des sozialen Friedens nach Unruhe provozierenden Desinformationskampagnen und Cyberangriffen. 

In einem Whitepaper hat die EU-Kommission mehrere Optionen zusammengetragen, die bis Ende April öffentlich beraten werden sollen. Dazu heißt es in der heutigen Pressemitteilung: "Das heute angenommene Weißbuch prüft und bewertet die bestehende Forschungs- und Entwicklungsunterstützung, die im Rahmen aktueller EU-Förderprogramme angeboten wird, und leitet eine öffentliche Konsultation ein. Die Kommission lädt Behörden, Zivilgesellschaft, Industrie und Wissenschaft zu einem umfassenden Dialog ein." 

Aufweichen von Grenzen zwischen zivilen und militärischen Projekten 

Während das Förderprogramm "Horizon Europe" ausschließlich zivile Projekte unterstützt, ist der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) gezielt Verteidigungsanwendungen gewidmet. Nun will die Kommission wohl mit mehreren Initiativen die Grenze zwischen den beiden aufweichen. 

Die Europäische Union (EU) ist bestrebt, die Risiken externer Abhängigkeiten von Drittländern in kritischen Sektoren, insbesondere von China, zu verringern. Ein technologischer Vorsprung in Technologien, die für die wirtschaftliche Sicherheit der Union von entscheidender Bedeutung sind, soll geschaffen werden. Diese Forschungsbereiche sind häufig sowohl zivil als auch militärisch.

Bisher sei es laut des Kommissions-Weißbuchs so, dass es zwischen den beiden Sektoren zu wenig Synergien gebe und Potentiale nicht ausgeschöpft würden, da zivile und militärische Forschung zu strikt getrennt seien. Der neue Förderungsansatz sehe vor, dass insbesondere militärische Forschungsergebnisse in die zivile Forschung integriert werden sollten. Einsatzmöglichkeiten für zivile Forschungsergebnisse im Rahmen der Verteidigung sieht das Weißbuch in den Bereichen Digital, Cybersicherheit, Energie, Mobilität, Gesundheit, Materialkunde und Weltraum. 

Erstes Weißbuch-Szenario für erhöhte Sicherheit: Ausschöpfen der Möglichkeiten 

Als erste Option zur Bewältigung der neuen Sicherheitsherausforderungen nennt die Kommission das Ausschöpfen der bereits vorhandenen Maßnahmen im Rahmen der beiden EU-Forschungsförderungsprogramme "Horizon Europe" und EDF. Ziel sei es, dass sie die gewünschte volle Absicherungswirkung entfalten:

  • Genannt werden beispielsweise die sogenannten "Spin-in"-Ausschreibungen des EDF, welche sich konkret auf die Migration von Innovationen aus dem zivilen Bereich in den Verteidigungssektor fokussieren, 
  • die Unterstützung von Dual-Use-Unternehmen mit dem "InvestEU-Programm"
  • und die Einführung von Leitlinien bezüglich der Nutzung von Ergebnissen aus "Horizon-Europe"-Projekten, welche im Zusammenhang mit kritischen Technologien stehen. 

Außerdem könnten die Parameter für den Erhalt von Fördermitteln im Rahmen von Programmen wie "Horizon Europe" angepasst werden, um Synergie-Effekte zu optimieren. Zudem werden gemeinsame Investitionen der Kommission und der Europäischen Investitionsbank in kritische Kommunikation, disruptive Technologien und Raumfahrt erwähnt. 

Zweites Weißbuch-Szenario: "Horizon-Europe" nach 2027 nicht mehr explizit zivil 

Beim zweiten Szenario sieht das Weißbuch der Kommission vor, dass das „Horizon-Europe“-Forschungsförderungsprogramm nach 2027 seine Beschränkung auf zivile Forschungsprojekte verliert. Die offene Beteiligung von Drittländern am Forschungsprogramm würde aufrechterhalten. Die Einschränkungen wären auf jene Technologien begrenzt, die ein Dual-Use-Potenzial haben. 

"Diese Option würde die Planung von Spin-in-Ausschreibungen zu verteidigungsbezogenen Projekten direkt über das „Horizon-Europe“-Nachfolgeprogramm ermöglichen, während das Nachfolgeprogramm des EEF Folgefinanzierungen für vielversprechendsten Projektergebnisse im zivilen Bereich bereitstellen könnte, die der Fortentwicklung der Verteidigungsfähigkeit dienen", wird im Weißbuch erklärt. 

Drittes Weißbuch-Szenario: Spezielle, parallele Förderstruktur für Dual-Use-Projekte 

Beim dritten Vorschlag der EU-Kommission wird ein eigenes Förderinstrument für Dual-Use-Projekte erwogen. Da diese Option jedoch Synergien eher verhindert und die Komplexität der Förderlandschaft erhöht, scheint sie nicht präferiert zu werden. Dieses Instrument hätte ein eigenes Budget und eigene Regeln. Denkbar sei auch ein Mechanismus zur Förderung der Markteinführung von Dual-Use-Technologien, etwa durch ein gemeinsames Unternehmen.

Erste Reaktionen aus der Wissenschaft 

Science Business zitiert erste Reaktionen aus der Wissenschaft auf die Dual-Use-Initiative der EU-Kommission. Sowohl die Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), Maria Leptin, als auch Claire Gray, leitende politische Beauftragte der League of European Research Universities (LERU), zeigen sich noch zurückhaltend, da die tatsächliche Umsetzung des Entwurfs ja noch nicht feststeht. Doch Befürchtungen, wie die Einmischung in die Auswahl der Forschungsprojekte und der Wunsch, militärische und zivile Forschung getrennt zu halten, kommen bei beiden zum Ausdruck. 

LERU fordere darüber hinaus Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise die ethische Bewertung des Risikos eines militärischen Missbrauchs, und die Möglichkeit für Forschende, militärische Anwendungen ihrer Forschung weitestgehend zu verhindern. Auch die Wirkung auf Drittstaaten, die sich zunehmend aus der europäischen Forschung ausgeschlossen fühlten, gibt Gray zu Bedenken. 

Ein Sprecher der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich gegenüber Science Business derart geäußert, dass insbesondere bestehende Zivilklauseln an Hochschulen nicht dazu führen dürften, dass diese nicht mehr von europäischen Förderprogrammen mit Dual-Use-Ausrichtung profitieren könnten. Die HRK gehe davon aus, dass eine große Debatte in der Wissenschaftsgemeinschaft zu diesem Thema bevorstehe.

Auszug aus "Europäische Strategie für wirtschaftliche Sicherheit"

"Die COVID-19-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die Zunahme der geopolitischen Spannungen haben Schwachstellen unserer Wirtschaft offengelegt. Darüber hinaus werden die sicherheitsbezogenen Herausforderungen durch tiefgreifende technologische Veränderungen verschärft. Unsere Strategie erleichtert es der EU und ihren Mitgliedstaaten, die Risiken für unsere wirtschaftliche Sicherheit gemeinsam zu ermitteln und zu bewerten, die verfügbaren Instrumente zur Bewältigung dieser Risiken strategisch zu nutzen und bei Bedarf neue Instrumente zu entwickeln."

(Juni 2023) 

Dieser Artikel wurde am 25.1. um 12 Uhr aktualisiert. Erstmals veröffentlicht wurde er am 24.1. 

cva