Kinder heben zur Abstimmung Karten in verschiedenen Farben in die Höhe.
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Lehrpläne
Professoren rufen zu mehr demokratischer Bildung in Schulen auf

Forschende bemängeln, an deutschen Schule finde zu wenige politische Bildung statt. Das sei eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie.

07.09.2023

Wissenschaftler sehen die Demokratie in Deutschland wegen unzureichender politischer Bildung in den Schulen bedroht. "Bildung ist das bestimmende Moment einer Demokratie. Erodiert eine Demokratie, was angesichts globaler Probleme möglich und derzeit beobachtbar ist, so lässt sich das nur mit Bildungsanstrengungen wieder reparieren", schreiben Professor Dr. Julian Nida-Rümelin und Professor Dr. Klaus Zierer in einem neuen Buch zu dem Thema.

Der Philosoph Nida-Rümelin und der Pädagoge Zierer sehen durch die internationalen Pisa-Schulleistungsstudien eine zu starke Konzentration auf Fächer wie Mathematik, Naturwissenschaft und Sprachen. Es wehe mehr der Geist von Pisa als ein demokratisches Grundverständnis an den Schulen, so die beiden Autoren. Dabei umfasse der Erziehungsauftrag deutlich mehr, Schulfächer hätten nur eine dienende Funktion. Es gehe darum, "die nachwachsende Generation auf dem Weg zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen".

"Es ist höchste Zeit, der schleichenden Erosion der Demokratie und der drohenden Bildungskatastrophe etwas entgegenzusetzen." Professor Dr. Klaus Zierer

Die Warnzeichen seien unverkennbar, sagt Zierer gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Politischer Extremismus und gesellschaftliche Polarisierung nehmen zu; das Vertrauen in Parteien und in die Demokratie nicht nur als Staatsform, sondern als Lebensform sinkt." Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Demokratiefähigkeit eines Landes und dem Bildungsniveau der Bevölkerung. "Es ist höchste Zeit, der schleichenden Erosion der Demokratie und der drohenden Bildungskatastrophe etwas entgegenzusetzen."

Krise der Demokratie aufgrund mangelnder demokratischer Bildung

Zierer betont, dass Menschen nicht als Demokraten geboren würden. "Man muss sich zum Demokraten entwickeln." Es sei eine Erziehung nötig, die den Menschen befähige, seine Freiheit und seine Gleichheit vernünftig zu leben. "Bildung ist nicht das, was man aus einem Menschen macht, sondern das, was der Mensch aus einem Leben macht", sagt der Pädagoge.

Die beiden Autoren sehen ihr Buch "Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet" als Weckruf zu mehr Demokratiebildung. Nida-Rümelin hat sich in der Vergangenheit vielfach mit Demokratietheorie beschäftigt. Der emeritierte Professor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität und ehemalige Kulturstaatsminister ist auch stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates und in dem Gremium besonders für Bildungsfragen zuständig. Nida-Rümelin wurde in diesem Monat mit dem Preis "Freiheit für Wissenschaft" der Reinhard Hesse Stiftung ausgezeichnet.

Die Bundeszentrale für politische Bildung sieht Politik als Schulfach in Deutschland ebenfalls "als eher randständig" an. "Naturwissenschaftliche Fächer, Sprachen, Mathematik und Geschichte erhalten mehr Zeit und Raum", betont auch die Bundeszentrale. Außerdem konkurriere die Politikbildung mit anderen kleinen Fächern um Stunden und werde mitunter nur in Kombination mit anderen Fächern wie Wirtschaft, Recht oder Geografie gelehrt.

Julian Nida-Rümelin, Klaus Zierer: "Demokratie in die Köpfe. Warum sich unsere Zukunft in den Schulen entscheidet", 197 Seiten, gebunden, S. Hirzel Verlag, Stuttgart, 2023, ISBN 978-3-7776-3372-5, 26 Euro.

dpa/cle