Die Polizei räumt am 7. Mai einen besetzten Hörsaal an der Universität Leipzig.
picture alliance/dpa | Jan Woitas
Beliebt

Propalästinensische Proteste
Weitere Besetzungen an Universitäten

Die Polizei räumte diese Woche mehrere Protestcamps an deutschen Universitäten. Ein Überblick über Ereignisse und Positionen aus dem Hochschulsektor.

10.05.2024

Die Polizei hat diese Woche an einzelnen Universitäten in Deutschland Protestcamps propalästinensischer Aktivistinnen und Aktivisten aufgelöst. In einigen Fällen leitete sie Ermittlungsverfahren ein. Wissenschaftsvertretungen bewerteten das Vorgehen der Hochschulleitungen als richtig und konsequent. Der Zentralrat der Juden forderte ein härteres Vorgehen gegen die Protestierenden. Einzelne Dozierende kritisierten das Eingreifen einer Hochschulleitung als zu vorschnell. Unter den Protestierenden waren laut Hochschulleitungen auch viele externe Teilnehmende. Protestcamps und Mahnwachen laufen etwa noch an den Universitäten in Köln und Hamburg.

In Berlin besetzten etwa am Dienstag rund 150 Menschen laut Deutscher Presse-Agentur am Dienstag einen Hof der FU. Die Hochschule stellte ihren Lehrbetrieb vorübergehend ein, die Polizei räumte am Nachmittag das Gelände. Die Besetzenden des Theaterhofes forderten Solidarität mit den Menschen in Gaza. Dafür bauten sie auch Zelte auf dem Gelände der Hochschule im Stadtteil Dahlem auf. "Wir besetzen die Freie Universität Berlin", hieß es in einer Ansprache, dies geschehe in Solidarität mit dem palästinensischen Volk. Kritisiert wurde das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza. Die als "Student Coalition Berlin" auftretende Gruppe forderte die Besetzung deutscher Universitäten und studentischen Widerstand in Solidarität mit Gaza.

"Diese Form des Protests ist nicht auf Dialog ausgerichtet. Eine Besetzung ist auf dem Gelände der FU Berlin nicht akzeptabel", kommentierte der Präsident der FU Berlin, Günter Ziegler, in einer Mitteilung. "Wir stehen für einen wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise". Der Zentralrat der Juden kritisierte die Leitung der Hochschule für ihre Reaktion. Die Besetzung zeige "eindeutig den fanatischen Charakter der daran beteiligten Gruppierungen", kommentiert der Zentralratspräsident Josef Schuster. "Der Israel-Hass und der antizionistische sowie antisemitische Hintergrund der Aktion ist offensichtlich und gehört zur DNA dieser Leute", so Schuster. "Dass die Universitätsleitung erneut in einem Statement kein Wort über diesen ideologischen Unterbau verwendet, ist für mich mehr als irritierend." Er habe eine klare Positionierung erwartet. 

Protestcamps an Hochschulen

Im Laufe der Woche wurde am Mittwoch noch eine Besetzung an der Universität Bremen bekannt. Die Leitung der Universität ließ das Protestcamp aus Sicherheitsgründen auflösen. Am Freitag kam es an der Universität Hamburg nach einer öffentlichen Lesung zu Judenfeindlichkeit und Antisemitismus zu einer mutmaßlich antisemitischen Attacke auf ein Vorstandsmitglied der deutsch-israelischen Gemeinschaft. Es kam zu einer Handgreiflichkeit zwischen zwei Frauen. Die Polizei habe gegen beide Strafverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung eingeleitet. Die Universität verurteilte den Angriff "aufs Schärfste". 

Am Freitag vergangener Woche hatten Aktivistinnen und Aktivisten an der Berliner Humboldt-Universität protestiert. Im Ausland hatten sich in den vergangenen Wochen insbesondere die Proteste an den US-amerikanischen Universitäten zugespitzt. 

Räumungen zur Sicherheit von Studierenden und Lehrenden

In Leipzig war die Polizei am Dienstag ebenfalls wegen einer Besetzung auf dem Gelände der Universität im Einsatz. Es seien 13 Tatverdächtige ermittelt, wie ein Polizeisprecher der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag mitteilte. Vor der Räumung seien die Unterstützer, die die Türen des Audimax blockiert hatten, aufgefordert worden, die Eingänge zum Hörsaal freizugeben. Einige hätten weggetragen werden müssen.

Nach Angaben der Hochschule war die Räumung unumgänglich, da Gefahr in Verzug für die Sicherheit aller Studierenden und Lehrenden bestanden habe. Der Lehrbetrieb im Audimax soll laut Mitteilung für den Rest der Woche ausgesetzt werden. "Eine gewaltsame Störung des Lehrbetriebs und Inbesitznahme universitärer Räumlichkeiten dulden wir nicht", kommentierte Rektorin Eva Inés Obergfell. "Proteste und Demonstrationen sind grundsätzlich legitim, solange sie das Ziel der Information und Verständigung verfolgen. Eine Gefährdung Unbeteiligter und eine Eskalation sind hingegen keine akzeptable Form freiheitlicher Auseinandersetzung."

Dem schloss sich auch der Deutsche Hochschulverband (DHV) an. "Universitäten sind Orte differenzierter geistiger Auseinandersetzungen, aber keine Orte für gewaltsame und aus dem Ruder laufende Proteste", sagte Lambert Koch, Präsident der Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Deutschland am Dienstag. Hochschulangehörige müssten auf dem Campus bestmöglich geschützt werden. "Es ist daher richtig und wichtig, dass Hochschulleitungen entschlossen ihr Hausrecht wahrnehmen, unter Zuhilfenahme der Polizei für Sicherheit und Ordnung sorgen und Vergehen konsequent zur Anzeige bringen". Dies diene auch dazu, möglichen Nachahmungsaktionen entgegenzuwirken. "Wer Intoleranz predigt, darf nicht mit Toleranz rechnen", betonte Koch. Nicht nur, aber insbesondere den jüdischen Hochschulangehörigen, die seit dem 7. Oktober auch an deutschen Hochschulen um ihre Sicherheit bangten, seien Hochschulen, Staat und Gesellschaft dies schuldig. 

Frühzeitige Informationen von Behörden gefragt

Die bisherigen Reaktionen der Hochschulleitungen aus Berlin oder Leipzig hält die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) für angemessen und "konsequent". Verbesserungspotenzial sieht die Hochschulvertretung im Austausch zwischen Hochschulen und Behörden: "Hilfreich wäre es, wenn die zuständigen Verwaltungsbehörden bei Anmeldungen von Demonstrationen im unmittelbaren Umfeld von Hochschulen, insbesondere bei politischen Kundgebungen zu derartig sensiblen Themen, die Hochschulen frühzeitig einbeziehen und informieren und unter Umständen auch eine Verlegung an einen anderen Ort prüfen", sagte der Präsident der HRK, Walter Rosenthal, auf Anfrage. Der Umgang mit Antisemitismus und Protesten an Hochschulen soll kommende Woche auch Thema in den Gremiensitzungen der HRK sein. 

"Hochschulen sind Orte des Dialogs und der wissenschaftlichen Auseinandersetzung – explizit auch über Themen, die aktuell bewegen", sagte Rosenthal. Proteste und Demonstrationen könnten ein Teil davon sein, "solange sie das Ziel der sachlichen Information und der respektvollen Verständigung über Argumente verfolgen". Hochschulen seien aber keine Orte, "an denen antisemitische Aussagen oder Taten geduldet werden, an denen die terroristischen Angriffe vom 7. Oktober 2023 geleugnet, das Existenzrecht Israels in Frage gestellt oder generell abweichende Meinungen und wissenschaftliche Aussagen niedergebrüllt werden dürfen", so der HRK-Präsident.

Diskussion über Kritikschreiben von Dozierenden

Dass die Freie Universität die Aktion so schnell auflösen ließ, stieß bei einigen auf Kritik. In einem Statement schrieben etwa 100 Dozierende von mehreren Berliner Hochschulen laut einem Google-Dokument: "Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt." Und weiter: "Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen." Dem Schreiben kann sich jede weitere Person via Online-Formular anschließen. Die Hochschulen, deren Dozierende das Schreiben laut Formular unterzeichnet haben, wollen direkt auf diese zugehen, teilten sie auf Anfrage von "Forschung & Lehre" am Freitag mit.

HRK-Präsident Rosenthal kritisierte das Schreiben. Der offene Brief und seine Unterzeichnerinnen und Unterzeichner würden den "destruktiven Charakter der jüngsten Proteste" verkennen, kritisierte Rosenthal im "Tagesspiegel". Sobald Regeln und Grundsätze einer wertschätzenden akademischen Debatte nicht eingehalten würden, der reguläre Hochschulbetrieb beeinträchtigt oder eine Gefährdung Unbeteiligter, Sachbeschädigungen und eine rein politische Eskalation betrieben werde, übten Hochschulen "sehr berechtigt ihr Hausrecht aus und erstatten, wo nötig, Anzeige".

Auch Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hatte den Unterstützerbrief zuvor kritisiert. "Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, werden Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost", sagte die FDP-Politikerin der "Bild"-Zeitung von Donnerstag. "Dass es sich bei den Unterstützern um Lehrende handelt, ist eine neue Qualität. Gerade sie müssen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen." 

Zuerst veröffentlicht: 07.05.2024 (Ergänzungen: Schreiben von Lehrenden zu Reaktionen der Hochschulleitungen, Hinweis auf Protestcamp an Universität Bremen, Einordnungen von DHV, HRK)

kas/dpa