Bildungssystem
Nachfrage nach Privatschulen steigt
Privatschulen haben sich in Deutschland zu einem festen Bestandteil der Bildungslandschaft etabliert. Jeder elfte Schüler lernt inzwischen in einer Privatschule. Das hat eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergeben. In den einzelnen Bundesländern bleiben die Schülerzahlen an Privatschulen demnach entweder konstant oder nehmen zu. Besonders hoch sei der Anteil in Bayern.
Bei der Mehrheit der Privatschulen in Deutschland handelt es sich nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) um konfessionelle Schulen (meist evangelisch oder katholisch ausgerichtet), gefolgt von reform-pädagogischen Schulen wie Waldorf- oder Montessori-Schulen. Daneben existieren internationale Schulen und andere weltanschauliche Privatschulen. Sie müssen allesamt staatlich genehmigt werden.
In Bayern lernen 11,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler mittlerweile in einer Privatschule. Zur Motivation der Eltern heißt es beim dortigen Lehrerverband, viele wollten ihre Kinder vor dem in Bayern besonders leistungsorientierten System der öffentlichen Schulen bewahren. Es gebe aber auch elitär ausgerichtete Gründe. Eltern gingen von besserer Förderung und Geborgenheit bei privaten Trägern aus, sagte der Landeselternverband.
Ähnlich großen Zulauf haben die Privatschulen in Brandenburg und Thüringen. In Brandenburg gehen gut elf Prozent auf eine Privatschule. Das könnte nach Einschätzung des Bildungsministeriums an besonderen Konzepten oder schlicht am kurzen Schulweg liegen.
Gründe für Privatschule vielfältig
Die Gründe sind verschieden und nicht genau untersucht. Dass mehr als jeder zehnte Schüler in Thüringen auf eine Privatschule geht, erklärt die dortige Bildungsgewerkschaft GEW zum Beispiel mit einer gut situierten Elternschaft mit hohem Bildungsabschluss. Die Evangelische Schulstiftung im Land spricht von einer bunten Mischung an Schülerinnen und Schülern durch ein sozial gestaffeltes Schulgeld. Geringe Zulaufzahlen gibt es etwa in Schleswig-Holstein. Dort lernen nur rund fünf Prozent an einer Privatschule.
Das Vertrauen in öffentliche Schulen hat zuletzt nachgelassen. 53 Prozent der Bevölkerung vertrauen laut einer Forsa-Umfrage von 2019 in diese staatlichen Einrichtungen. Das sind zehn Prozentpunkte weniger als im vorherigen Jahr. Besser muss das Niveau an den Privatschulen jedoch nicht sein, zeigten verschiedene Studien. Diejenigen, die sich nicht wegen eines bestimmten pädagogischen Ansatzes für die Privatschule entscheiden, sondern in der Hoffnung auf ein höheres Lernniveau, fahren damit daher nicht zwangsläufig besser.
Im Lesen und Schreiben unterscheiden sich die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler laut einer Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung etwa kaum. Besser schnitten die Privatschüler beim Hörverstehen in Englisch und im Zuhören in Deutsch ab. Das könne aber auch an außerschulischen Aktivitäten liegen, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität Duisburg-Essen, dem Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF). Im Schnitt erreichten Schülerinnen und Schüler aus Privatschulen und aus öffentlichen Schulen mit einem vergleichbaren sozialen Hintergrund in der Studie ähnlich gute Ergebnisse.
Soziale Selektion und Segregation nehmen zu
Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin (DIW) hat im vergangenen Jahr untersucht, aus welchen Elternhäusern die Privatschüler kommen. Demnach gehen in Ostdeutschland gut 23 Prozent der Schüler aus Akademikerelternhäusern auf eine Privatschule, in Westdeutschland knapp 17 Prozent. Privatschüler leben laut der Studie auch deutlich häufiger in Haushalten mit hohen Einkommen als Schüler an öffentlichen Schulen. Die soziale Selektion zwischen privaten und öffentlichen Schulen werde immer größer.
Aus diesen Daten lasse sich aber nicht pauschal schlussfolgern, dass diese Eltern ihre Kinder durch den Privatschulbesuch abgrenzen wollen, sagte eine der Autorinnen der Studie, Christa Katharina Spieß, gegenüber dem "Spiegel". Denn in ländlichen Regionen Ostdeutschlands kompensierten die Privatschulen laut Spieß teilweise das Problem, dass öffentliche Schulen zu weit vom Wohnort entfernt seien. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ist von 1992 bis 2016 die Zahl der öffentlichen Schulen in Deutschland um rund 29 Prozent gesunken, die der Privatschulen jedoch um 82 Prozent gestiegen.
Die soziale Segregation, der Trend zu ungleichen Chancen zwischen Menschen verschiedener Einkommensklassen über die Stadtbezirke, nimmt in Deutschland zu. Einer Studie des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin (WZB) zufolge tragen Privatschulen in einigen westdeutschen Großstädten dazu bei, die soziale Segregation zu bremsen. Vor allem Akademikerfamilien, die mit der zugewiesenen öffentlichen Schule für ihre Kinder nicht einverstanden seien, würden nicht in ein Viertel mit einer vermeintlich besseren Schule umziehen, wenn es an ihrem Wohnort eine private Grundschule als Alternative gebe. Dadurch bleibe die "soziale Durchmischung" in den Wohngebieten erhalten.
kas/ckr