Fördermittelvergabe
Können Losverfahren Gutachten ersetzen?
In der 2021 ausgelaufenen Förderinitiative "Experiment!" setzte die VolkswagenStiftung ab 2017 auch ein Losverfahren ein: Bei der teilrandomisierten Auswahl wurden zunächst die grundsätzlich förderwürdigen Anträge durch Fachexpertinnen und Fachexperten ausgewählt. Danach kamen nebeneinander sowohl eine Jury als auch die Lostrommel zum Einsatz. Mit dem experimentellen Verfahren sollte die (auch fachliche) Diversität unter den Geförderten erhöht werden.
In der wissenschaftlichen Auswertung des Losverfahrens im vergangenen Jahr zog die Stiftung ein positives Fazit: So sei etwa der Frauenanteil unter den Geförderten angestiegen, weil vom Losverfahren eher Early Career Researcher profitierten, unter denen sich mehr Frauen befänden. Auch habe sich gezeigt, dass das Losverfahren insbesondere für die Förderung von unkonventionellen Forschungsideen geeignet sei.
Gutachtende als rares Gut
Ein starkes Argument für Losverfahren in der Fördermittelvergabe ist die Schwierigkeit, Gutachtende zu gewinnen. "Geeignete Fachleute sind überlastet, sie werden für Preise angefragt, für Anträge und für Publikationen", erklärt Ulrike Bischler von der VolkswagenStiftung gegenüber "Research.Table". "Als Förderer bekommen wir viele Absagen, wenn wir Gutachter anfragen." Insofern sei die Suche nach Alternativen geboten. Dass zwischen allen grundsätzlich geeigneten Anträgen gelost worden sei, habe die Gutachtenden entlastet und Diskussionen abgekürzt.
Ein Losverfahren kommt laut "Research.Table" auch in der Förderlinie "Innovationssprints" der neugegründeten "Deutschen Agentur für Transfer und Innovationen (Dati)" zum Einsatz. Dagmar Simon und Martina Röbbecke, die Autorinnen der Begleitstudie, verweisen darauf, dass der "Schweizerische Nationalfonds" das Losverfahren als Instrument zugelassen habe. Die "British Academy" verwende es für kleinere Förderprojekte, entsprechende Experimente gebe es auch bei der dänischen "Novo Nordisk Foundation".
Kritische Stimmen zum Losverfahren
Die Geförderten bewerteten die Auswahl per Los mehrheitlich positiv. In der durchgeführten Umfrage stimmten sie der Einschätzung zu, dass ein Losverfahren die Chancen für kleine Fächer und für thematische und methodische Vielfalt verbessern könne. Allerdings hoben sie auch die große Bedeutung der eingangs stattfindenden Begutachtung durch Fachexpertinnen und Fachexperten hervor. Die Befragung ergab zudem eine geringe Akzeptanz des teilrandomisierten Vergabeverfahrens bei hohen Fördersummen.
Andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren Qualität und Transparenz solcher Verfahren. Es sei unverantwortlich, "eine gut funktionierende Forschungsförderung, um die uns die Welt beneidet, gegen Losglück einzutauschen", schrieb zum Beispiel Professor Ralf Ludwig von der Universität Rostock in der Februar-Ausgabe von "Forschung & Lehre". Der Versuchsdurchlauf der VolkswagenStiftung könne nicht "als Beispiel für die aus Steuermitteln finanzierte Forschungsförderung" dienen: "Solche Verfahren sollten grundsätzlich offen und transparent sein."
Ulrike Bischler von der VolkswagenStiftung argumentiert: Die Abschlussberichte würden bei der Zahl der Patentanmeldungen und der Publikationen keinen Unterschied zwischen Jury-Auswahl und Auswahl per Los aufweisen. "Das zeigt: Wir habe mehr Diversität und Fairness nicht um den Preis einer Verminderung der Qualität bekommen." Nach dem Auslaufen der Förderlinie "Experiment!" nutzt die VolkswagenStiftung aktuell keine teilrandomisierten Verfahren.
Positionspapier des Wissenschaftsrates
Der Wissenschaftsrat äußerte sich 2017 im Positionspapier "Begutachtungen im Wissenschaftssystem" zum Einsatz von Losverfahren im Begutachtungsprozess: "Wenn ein Förderangebot so gestaltet oder so stark überzeichnet ist, dass sich eine Entscheidung nur schwerlich argumentativ begründen ließe, könnte ein Teil der förderungswürdigen Anträge nach einer Zufallsauswahl gefördert werden." Insgesamt seien Anregungen zur innovativen Ausgestaltung von Auswahlverfahren verstärkt zu erproben.
hes
0 Kommentare