Corona-Politik
Notfall-Mediziner fordern Lockdown bis April
Die Sorge vor einer schweren dritten Phase in der Corona-Pandemie lässt Intensivmediziner eine Verlängerung des bundesweiten Lockdowns über den 7. März hinaus fordern. Es sei nötig, drei weitere Wochen bis Anfang April durchzuhalten, um mehr Zeit für Impfungen insbesondere der Risikogruppen zu haben, sagte der Präsident der Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Professor Gernot Marx, am Donnerstag in einer Videoschalte. Danach solle langsam geöffnet werden.
Entscheidende Faktoren für die Auslastung der Intensivstationen sind nach Divi-Berechnungen unter anderem die Ausbreitung der ansteckenderen Corona-Variante B.1.1.7 und das Tempo beim Impfen der Menschen über 35 Jahre. Nach einem neuen Divi-Prognosemodell, das mit verschiedenen Szenarien rechnet, könnte ein Öffnen im März die Zahlen schwer kranker Corona-Patienten in Kliniken im schlimmsten Fall exorbitant in die Höhe treiben, hieß es.
Gerechnet werde bei frühen Lockerungen im ungünstigsten Szenario bereits Mitte Mai mit bis zu 25.000 Covid-19-Intensivpatienten, ein extrem hoher Wert, der Intensivstationen überfordern würde. Der bisherige Höchststand habe im Januar bei 6.000 solchen Patientinnen und Patienten gelegen, im Moment seien es rund 2.900. Das entspreche etwa dem Höhepunkt der ersten Welle im Frühjahr 2020. Diese Lage sei beherrschbar.
Notfallmediziner: Lockdown bestenfalls bis Mitte April
Eine Fortführung des Lockdowns bis Anfang April brächte nach dem Prognosemodell bereits eine noch zu bewältigende Lage für die Intensivmedizin, mit rund 5.000 Patientinnen und Patienten Mitte Mai. Denn dann könnten vor einem starken Anstieg neuer Infektionen schon viele Menschen geimpft werden. "Drei Wochen Disziplin zwischen 7. März und 1. April entscheiden das Spiel in der Nachspielzeit", bilanzierte Professor Christian Karagiannidis, medizinisch-wissenschaftlicher Leiter des Divi-Intensivregisters. Noch hilfreicher wäre laut Modell eine Öffnung zum 21. April. Dann gäbe es Mitte Mai nur rund 2.500 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen.
Die Divi-Mediziner rieten dazu, Öffnungsstrategien in einem Strategiewechsel am R-Wert auszurichten. Bisher ist dafür eher die 7-Tage-Inzidenz im Blick, die Infektionen pro 100.000 Einwohner in einer Woche abbildet. Der R-Wert zeigt, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Er dürfe nicht über 1,2 steigen, mahnte die Mediziner-Vereinigung. Durch die ansteckendere Variante wird befürchtet, dass der R-Wert schwerer unter 1 gedrückt werden kann. Erst wenn er längere Zeit unter 1 liegt, flaut das Infektionsgeschehen ab.
"Wir müssen dringend appellieren, dass Impfungen extrem effektiv sind", sagte Professor Uwe Janssens insbesondere mit Blick auf das Vakzin von Astrazeneca. Sie seien der Rettungsanker, der helfen werde, endlich aus dieser Krise herauszukommen. Die Bevölkerung sei zwar am Ende, aber Besserung sei in Aussicht. Für die Modelle wurde angenommen, dass die Impfung zu 100 Prozent vor einem so schweren Krankheitsverlauf schützt, dass man auf der Intensivstation behandelt werden muss.
Für die Mediziner geht es auch um die Belastung für das Personal: Er habe noch nie eine Situation erlebt, in der so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen psychisch, physisch und emotional so erschöpft waren, sagte Marx. "Sie sind keine Maschinen."
Eine am Mittwoch veröffentlichte Berechnung des Robert Koch-Instituts (RKI) hatte mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland über 15 Jahre der Risikogruppe für schwere Covid-19-Verläufe zugerechnet. Ausschlaggebend waren dafür vor allem Alter (über 65 Jahre) und bestimmte Vorerkrankungen.
dpa/kas