Ein Auszug aus dem Grundgesetz, der die Wissenschaftsfreiheit schützt
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"Free to Think"-Report
Wissenschafts-Freiheit weltweit bedroht

Der "Free to Think"-Report weist jedes Jahr auf Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit hin. Auch in Demokratien sei diese zunehmend in Gefahr.

02.11.2023

Das "Scholars at Risk"-Netzwerk veröffentlicht jährlich einen Bericht über die Lage der Wissenschaftsfreiheit weltweit. Im Jahr 2023 dokumentierte das Netzwerk 409 Angriffe auf Forschende, Studierende und wissenschaftliche Einrichtungen in 66 Ländern und Gebieten im Zeitraum vom 1. Juli 2022 bis zum 30. Juni 2023. Der Bericht konzentriert sich vor allen Dingen auf die Situation in Afghanistan, Bangladesch, China, Kolumbien, Hongkong, Indien, Iran, Mexiko, Myanmar, Nicaragua, Russland, Sudan, Sri Lanka, der Türkei, der Ukraine und den Vereinigten Staaten. Er enthält aber auch Empfehlungen für demokratische Staaten, wo die Wissenschaftsfreiheit ebenfalls bedroht sei.

Im Report klagen die Autorinnen und Autoren die Unterdrückung von Studierenden und Forschenden durch autoritäre Regime und Diktaturen an, zum Beispiel im Iran. Bei den Demonstrationen gegen das autoritäre Regime seien hunderte von Studierenden verhaftet worden. Auch Dutzende von Lehrkräften seien entlassen worden. Viele weitere Forschende hätten aus Protest ihre Ämter niedergelegt, seien aus dem Land geflohen oder würden durch Selbstzensur zum Schweigen gebracht.

In China komme es ebenfalls weiterhin zu großen Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit, unter anderem durch ein System der ununterbrochenen Überwachung von Forschenden, auch durch Informanten, die sich laut Bericht unter den Studierenden befinden. Autoritäre Staaten wie Nicaragua oder Russland hätten unliebsame Universitäten einfach geschlossen, so zum Beispiel die Universidad Cristiana Autónoma de Nicaragua oder die Moscow Free University.

Der Report zeichnet ein ebenso bestürzendes Bild über die Situation in Afghanistan: Hier haben die Taliban alle Mädchen und Frauen von Bildung ausgeschlossen.

Wissenschaftsfreiheit auch in Demokratien bedroht

Die Autorinnen und Autoren des Berichts sehen die Wissenschaftsfreiheit auch in demokratischen Staaten bedroht. "Die Ausbreitung des Illiberalismus gehörte zu den größten Bedrohungen für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler", heißt es im Bericht. "Überall auf der Welt nutzen Exekutivbehörden und Gesetzgeber die Befugnisse ihrer jeweiligen Ämter in einer Weise, die die institutionelle Autonomie, die akademische Freiheit und die Qualität der Hochschulbildung untergräbt."

Nirgendwo sei dieser Trend auffälliger als in den Vereinigten Staaten. Hier würden Gesetzgeber auf bundesstaatlicher Ebene Gesetze vorantrieben, die darauf abzielten, Lehre und Forschung einzuschränken, insbesondere in Bezug auf die Themen Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und Gleichberechtigung. 

Diese Entwicklung betreffe aber nicht nur die USA. "In anderen offenen Gesellschaften, darunter in Japan, Australien und Schweden, treibt der Gesetzgeber Bemühungen voran, die Autonomie akademischer Einrichtungen einzuschränken." Auch in Ungarn breite sich der autoritäre Einfluss im Hochschulbereich weiter aus. "Die Regierung nutzt Pensionsfonds als Anreiz, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an private Einrichtungen zu locken, wo sie nach Belieben entlassen werden können, und übt so Druck auf sie aus, sich selbst zu zensieren und die akademische Freiheit zu untergraben."

Empfehlungen für mehr Wissenschaftsfreiheit

Der Bericht enthält Empfehlungen an Politik und Wissenschaftscommunity, um die Wissenschaftsfreiheit zu schützen. Internationale, nationale, supranationale und regionale Behörden müssten die Wissenschaftsfreiheit stets im Blick haben, heißt es im Bericht, und immer wieder auf die große Wichtigkeit von Forschungsfreiheit hinweisen. Dazu gehöre es auch, regelmäßig in Forschungsprojekte über die Wissenschaftsfreiheit zu investieren und wichtige Konferenzen zu dem Thema auszurichten, zum Beispiel entsprechende Treffen der Vereinten Nationen.

Wissenschaftliche Institutionen und Einrichtungen müssten Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit verurteilen, gleich, wo und gegen wen diese stattfinden, und vulnerable Forschende verteidigen und bei sich aufnehmen, heißt es im Bericht. So sollten zum Beispiel auch Studierende verteidigt werden, deren Freiheit eingeschränkt werde. Auf politischer Seite könnten Töpfe eingerichtet werden, aus denen Stipendien für vulnerable Forschende gezahlt werden könnten, empfehlen die Autorinnen und Autoren.

Außerdem käme den Medien eine entscheidene Rolle zu, heißt es im Bericht. Diese sollten über Fälle berichten, in denen die Wissenschaftsfreiheit bedroht sei, und auf die schwerwiegenden Konsequenzen dieser Bedrohung hinweisen.

cle