Demonstrierende ziehen im März 2023 mit Protestschildern gegen die geplante Justizreform durch Jerusalem, ausgehend von der Hebräischen Universität.
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Deutsche Wissenschaftsorganisationen
Forschende sehen Wissenschaftsfreiheit in Israel bedroht

Die Regierung Israels will eine Reform durchsetzen, die ihr mehr Macht verleiht. Forschende befürchten die Einschränkung der akademischen Freiheit.

24.07.2023

Sechs deutsche Wissenschaftsorganisationen warnen gemeinsam vor einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in Israel. Grund für die Sorge ist die bevorstehende Justizreform der Regierung, wie aus einer gemeinsamen Stellungnahme hervorgeht, die die Organisationen am Donnerstag veröffentlicht haben. Die Reform würde die Befugnisse des Obersten Gerichts massiv einschränken und damit die Macht der rechts-religiösen Koalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ausweiten.

Die Erklärung stammt von der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), der Alexander von Humboldt-Stiftung, der Fraunhofer-Gesellschaft, der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Helmholtz-Gemeinschaft und dem Wissenschaftsrat. Die Freie Universität Berlin hat sich der Stellungnahme nach Veröffentlichung ebenfalls angeschlossen.

"Es gibt schon ein Dokument der israelischen Koalition, demzufolge Gelder umverteilt werden sollen, von der Wissenschaft hin zu religiösen Bildungsstätten", sagte MPG-Präsident Professor Patrick Cramer der Deutschen Presse-Agentur. "Religionsfreiheit ist natürlich wichtig, aber wenn die Wissenschaft heruntergefahren wird zugunsten von religiösen Einrichtungen, führt das natürlich mittelfristig zu großen Veränderungen in der Gesellschaft."

Cramer spricht von einem "historischen Effekt", den die Reform auslösen könnte. "Die Regierung könnte einfach Forschungsfelder austrocknen und dafür andere Forschungsfelder ganz gezielt unterstützen." Dies sei beispielsweise in der USA passiert, als Ex-Präsident Donald Trump während seiner Amtszeit die Forschung in die Umweltbehörde massiv zurückgefahren hatte. Auch in Polen oder Ungarn habe die Regierung die akademische Freiheit in den vergangenen Jahren stark eingeschränkt.

Wissenschaftsfreiheit in Israel bislang sehr hoch

Dies könnte nun auch Israel drohen, einem Land, dessen akademische Freiheit von Experten des V-Dem Forschungsinstituts aktuell noch als sehr hoch eingestuft wird – höher als in Industriestaaten wie den USA, Frankreich oder dem Vereinigten Königreich. Die Folgen wären laut MPG-Präsident Cramer fatal: "Stellen Sie sich vor, Sie haben keine Professoren mehr, dann haben Sie auch keine Studenten mehr, dann geht das Wissen verloren, dann wandern die Leute ins Ausland ab. Dann gibt es bestimmte Forschungsbereiche überhaupt nicht mehr."

Seit mehr als einem halben Jahr gehen in Israel regelmäßig Tausende Menschen gegen die geplante Reform auf die Straße. Gegner sehen die Gewaltenteilung und damit die Demokratie in Gefahr. Manche warnen sogar vor der schleichenden Einführung einer Diktatur. Ein zentrales Gesetz des Regierungsprojekts, die Angemessenheitsklausel, hat das israelische Parlament am Montag verabschiedet. Das erschwert es dem Höchsten Gericht künftig, Regierungsentscheidungen als "unangemessen" abzulehnen.

aktualisiert am 25.07.2023 um 9.46 Uhr, zuerst veröffentlicht am 24.07.2023

dpa/ckr