Ein Augenpaar gemalt auf eine weiße Mauer
mauritius images/Felix Strohbach

Wissenschaftsfreiheit
Braucht Forschung Aufpasser?

Der Ruf nach Kontrolle der Wissenschaft wird lauter. Das wirft gravierende verfassungsrechtliche Fragen auf.

Von Friedhelm Hufen Ausgabe 2/17

Es ist wohl Zeichen der Zeit im Allgemeinen und der "German Angst" im Besonderen, dass sich die öffentliche Diskussion um die Forschung in Deutschland anscheinend mehr um die Risiken der Forschung als um die Chancen dreht. Häufig genannte Fälle betreffen die Forschung an gefährlichen Viren, der Eingriff in die menschliche Keimbahn (CRISPR), aber auch die Nutzung von Erkenntnissen über das Orientierungsverhalten von Heuschrecken für die Forschung an militärischen Drohnen. Der Ruf nach Kontrolle wird stärker.

Durch "Zivilklauseln" soll in einigen Bundesländern die Forschung grundsätzlich auf friedliche Zwecke verpflichtet werden. Hochschulsatzungen und besondere Ethikkommissionen sollen dazu dienen, die Risiken sicherheitsrelevanter Forschung und abweichender Nutzung ("dual use") zu erkennen und zu reduzieren. Derartige Vorschläge und Verfahren werfen gravierende verfassungsrechtliche Fragen auf.

Jede Art von Forschung ist ­geschützt

Kern der Wissenschaftsfreiheit ist die Eigengesetzlichkeit von Forschung und Lehre oder – in der durchaus geglückten Formulierung einer Verfassungsrichterin – das "ergebnisoffene Abenteuer Wissenschaft". Art und Anlass der Forschung sind für die grundsätzliche Geltung der Wissenschaftsfreiheit belanglos.

Das Grundrecht schützt Grundlagenforschung ebenso wie anwendungsorientierte Forschung, zweckfreie wie Auftragsforschung, hochschulinterne und -externe Forschung, abgehobene wie populäre, typische wie atypische Vermittlungsformen. Auch wenn die Forschung grundsätzlich auf Kommunikation, Offenheit und Transparenz angelegt ist, schützt Art. 5 Abs. 3 GG – gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 14 GG (geistiges Eigentum) – außerdem das Forschungsgeheimnis, insbesondere im Hinblick auf unveröffentlichte Ergebnisse und Teilergebnisse.

Daneben enthält das Grundrecht auch eine objektive Verpflichtung des Staates zum Schutz wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit, zur Bereitstellung wissenschaftsgerechter Verfahren und Organisationsstrukturen und zur Teilhabe an der staatlichen Ausstattung und Förderung. Da diese heute vielfach nicht ausreicht, um Forschung hinreichend zu finanzieren, folgt aus der Wissenschaftsfreiheit auch ein Recht auf Einwerbung von Drittmitteln und Forschungsaufträgen.

Wissenschaftsfreiheit, ethische und rechtliche Verantwortung sind dabei kein Gegensatz. Diese Verantwortung für Forschung und deren Ergebnisse ist vielmehr selbst elementarer Bestandteil der Wissenschaftsfreiheit und als solcher primär Eigenverantwortung der jeweiligen Grundrechtsträger. Deshalb lautet der Titel dieses Beitrags auch nicht "Wissenschaft zwischen Freiheit und Verantwortung", sondern „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung".

Was gilt als Eingriff in die Forschungsfreiheit?

Verfassungsjuristen sind es gewohnt, mit unmittelbaren Geboten, Verboten, Genehmigungsvorbehalten und Auflagen umzugehen und diese unschwer als rechtfertigungsbedürftige Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit einzuordnen. Viel schwieriger ist die Beurteilung indirekter und mittelbarer Eingriffe in und Einflüsse auf die Forschung, etwa durch die Beurteilung durch Kommissionen, die Zuweisung und den Entzug von Forschungsmitteln, kollektive Entscheidungen, ungewollte Veröffentlichung usw.

So können die Hochschulen und ihre Gremien kollektive Entscheidungen treffen sowie Ordnungen und Verfahren im Rahmen der Selbstverwaltung regeln, die durchaus Auswirkung auf die Forschung haben, gleichwohl aber nicht Eingriff in die Rechte, vielmehr Konkretisierung von deren Schutzbereich sind. Dasselbe gilt für offene und wahrheitsgemäße – auch harte – Kritik an Forschungsprojekten und Forschern.

Anders verhält es sich aber mit gezielter Einwirkung auf die Forschung, den disziplinierenden Entzug von Mitteln und den Ausschluss von Mitwirkungsmöglichkeiten. Selbst die abstrakte Verpflichtung des Wissenschaftlers im Hessischen Universitätsgesetz, die gesellschaftlichen Folgen zu bedenken, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1978 als (allerdings gerechtfertigten) Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit gewertet.

Im Hinblick auf die Tätigkeit von Ethikkommissionen ist zu unterscheiden: Freiwillig wahrgenommene Information, Beratung und Empfehlung sind in diesem Sinne keine Eingriffe, soweit die Kommission die berechtigten Interessen und Forschungsgeheimnisse der Beratenden wahrt. Auch bloße Hinweise auf rechtliche und ethische Grenzen der Forschung, auf Gefahren und Missbrauchsmöglichkeiten, sind – auch wenn sie "ungebeten" erfolgen – keine Eingriffe.

Anderes gilt aber für die Ausübung von Druck – auch durch Dritte – und die Androhung oder Auslösung von Sanktionen. Ebenso kann die von der Hochschule durch Dritte initiierte förmliche Beratung dann ein rechtfertigungsbedürftiger Grundrechtseingriff sein, wenn sie zur Pflichtberatung wird. Das gilt besonders, soweit der Betroffene zur Offenlegung von Forschungsverfahren und Ergebnissen verpflichtet werden soll. Auch wird der Schutz von Forschungsgeheimnissen durch das Gebot der Vertraulichkeit in der Regel in solchen Kommissionen nicht hinreichend gesichert.

Rechtfertigung von Eingriffen

Im juristischen Sprachgebrauch bedeutet der Eingriff noch nicht unbedingt die Verletzung des Grundrechts. So kann ein Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zum Schutz anderer Grundrechte und Verfassungsgüter gerechtfertigt sein (sogenannte verfassungsimmanente Schran­ken). Konfligierende Rechtspositionen sind nach dem Grundsatz "praktischer Konkordanz" zu lösen, das heißt im Konfliktfall sind die Belange der Wissenschaftsfreiheit einerseits und die Risiken für andere Rechtsgüter andererseits aufeinander zu beziehen und abzuwägen.

Diese Abwägung und die Befugnis der Hochschulorgane müssen durch den Gesetzgeber selbst vorgegeben werden. Ethikkommissionen sind also im Allgemeinen nicht zu echten Grundrechtseingriffen und Sanktionen befugt. Inhaltlich ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das heißt Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit des Eingriffs, zu beachten.

Typische Fälle der verfassungsimmanenten Beschränkung der Forschung durch andere Grundrechte sind zum Beispiel das Verbot der Forschung an Nichteinwilligungsfähigen (gerechtfertigt durch die Menschenwürde des Art. 1 GG), Lärm- und Brandschutz in und um Forschungseinrichtungen (gerechtfertigt durch Art. 2 Abs. 2 GG), Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Namensnennung in Publikationen (Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 GG) und Regeln bei Tierversuchen (gerechtfertigt durch Art. 20a GG).

Für die Rechtfertigung von Eingriffen in die Forschungsfreiheit und die Abwägung der Rechtsgüter gibt es keine allgemein gültigen Regeln. Es gilt der Grundsatz, dass der Eingriff umso mehr gerechtfertigt ist, je größer und konkreter die von dem Vorhaben ausgehende Gefahr und das Risiko und je größer die Verantwortlichkeit des Forschers ist. Dabei hat das BVerfG in seiner "Gentechnikentscheidung" hervorgehoben, dass es auf eine konkrete Gefahr im Allgemeinen nicht ankommt.

Bei gefährlicher Forschung dürfen Staat und Hochschule also auch Risikovorsorge betreiben. Unmittelbare Forschungsverbote kommen aber nur in besonderen Ausnahmefällen und bei schwerwiegenden Gefahren für andere Verfassungsgüter in Betracht. Im Bereich der Grundlagenforschung sind sie nahezu ausgeschlossen. Dasselbe gilt für Publikations- und Verbreitungsverbote – mit denkbaren Ausnahmen bei besonderen Anforderungen des Geheimnisschutzes und der Abwehr schwerwiegender Gefahren.

Abstrakte Zivil- und Friedensklauseln verfassungs­widrig

Umstritten ist die Frage, ob sich aus dem GG ein allgemeines Gebot nur friedlicher und/oder ziviler Forschung ableiten lässt. Befürworter eines solchen Verbots und der damit zusammenhängenden "Zivilklauseln" verweisen insofern auf Art. 26 GG und die Präambel des Grundgesetzes mit der Formulierung "dem Frieden der Welt zu dienen". Sie verkennen aber, dass Art. 26 GG nur das Verbot eines Angriffskriegs und anderer völkerrechtswidriger Kriegshandlungen enthält. Zu rechtfertigen wären insofern allenfalls Verbote der Forschung an Giftgas, Sensoren für Landminen usw.

Die (auch militärische) Verteidigung und Mitwirkung in kollektiven Sicherheitsbündnissen sind aber in einer ganzen Reihe von Verfassungsnormen hervorgehoben. Allgemeine Verbote von "Militärforschung" oder militärisch verwendbarer Forschung und abstrakte Zivilklauseln scheiden also ebenso aus wie das generelle Verbot von Auftragsforschung aus dem Militärsektor und ähnliche Einschränkungen.

Dual-Use: Beim User, nicht beim Forscher zu bekämpfen

Begriff und Problem des "dual use" stammen aus dem Bereich des Güterexports, der heute einem umfangreichen Kontrollregime auf EU-Ebene und dem Außenwirtschaftsgesetz unterliegt und im Bereich des Software- und Technologietransfers durchaus auch den Export von Produkten der Wissenschaft erfasst. Auf den sonstigen Austausch von Wissenschaft sind aber weder dieses Gesetz noch dessen allgemeine Verbotsgründe anwendbar.

Es gibt also kein "Außenwissenschaftsgesetz". Im Übrigen sind Anwendungsverbote von Forschung in der Regel gegen den Anwender und nur dann gegen den Forscher zu richten, wenn dieser selbst Anwender ist oder eine besondere Verantwortung für die Anwendung hat (zum Beispiel in der Auftragsforschung). Auch der Missbrauch von Forschungsergebnissen ist grundsätzlich beim Missbrauchenden und nur in besonderen Fallkonstellationen (besonders naheliegender Verdacht, Fahrlässigkeit im Umgang mit Forschungsergebnissen) beim Forscher zu bekämpfen. Es gilt der Grundsatz: "abusus non tollit usum" oder anders: Der mögliche Missbrauch rechtfertigt nicht das Verbot.

Transparenz als solche kein Rechtfertigungsgrund für Eingriffe in die Forschung

Auch bei risikobehafteten Forschungen rechtfertigt der Grundsatz der Transparenz als solcher keinen Eingriff, denn er ist kein besonderes Verfassungsgut, das den Eingriff in Forschungsgeheimnisse durch Publikations- und Offenlegungspflichten rechtfertigen würde. Solche Eingriffe (auch im Rahmen der geschilderten Kommissionen) sind vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet und erforderlich sind, um ihrerseits gleichrangige Rechte zu schützen. Die Wissenschaftsfreiheit wirkt insofern möglicherweise auch als verfassungsimmanente Schranke für die Informationsfreiheit Dritter und die Pressefreiheit.

Ein weiterer – heute leider nicht mehr lebensferner – Hinweis: Auch berechtigte Kritik am Forschungsvorhaben rechtfertigt in keinem Fall Eingriffe in die Privatsphäre und das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Forschern. "Shitstorms", "Flashmobs" und andere Formen des Prangers verletzen vielmehr diese Rechte und sind gegebenenfalls sogar strafbar. Hochschule und Staat trifft insofern eine besondere Schutzpflicht zugunsten der Betroffenen.

Dialog innerhalb und außerderhalb der Hochschule notwendig

Probleme von Wissenschaftsfreiheit und Verantwortung des Wissenschaftlers sind im Rahmen des Verfassungsrechts zu lösen, sind aber bei Weitem nicht nur als Rechtsfragen definiert. Letztlich kommt es auf den offenen sowie die Interessen und die Rechte aller Beteiligten wahrenden Dialog innerhalb und außerhalb der Hochschulen an. Zweifel an der Wissenschaft und angenommene Risiken sind nur ernst zu nehmen, wenn sie selbst wissenschaftlich begründet sind. Feindbilder, Verschwörungstheorien und Dammbruchphantasien erschweren diesen Dialog. Sie dürfen bei der rechtlichen Beurteilung keine Rolle spielen und sind einer – im besten Sinne – verantwortlichen "scientific community" nicht würdig.