Im Dämmerlicht ist die Kathedrale von Budapest zu sehen.
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Polen & Ungarn
Extrem rechtskonservative Politisierung der Forschung

In Polen und Ungarn unterwandert extrem rechtskonservative Politik die Wissenschaftsfreiheit. Was kann Deutschland davon lernen?

Von Katharina Finke 01.03.2024

In den vergangenen Jahren hat sich die Situation für alle Beteiligten in Forschung und Lehre in Ungarn und Polen stark verändert. Nachdem 2010 in Ungarn die rechtspopulistische Fidesz (Magyar Polgári Szövetség) und 2015 in Polen die rechtskonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (auf Polnisch, kurz: PiS) an die Macht gekommen ist, hatte das massive Auswirkungen auf die Kommunikationskultur an Hochschulen sowie auf Forschung und Lehre. 

"In den vergangenen acht Jahren hat es offene politische Einflussnahmen in Polen gegeben"
Dr. Martin Krispin, Leiter der DAAD-Außenstelle Warschau

Das bestätigt auch Dr. Martin Krispin, Leiter der Außenstelle des Deutsch Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Warschau: "In den vergangenen acht Jahren hat es offene politische Einflussnahmen in Polen gegeben", sagt Krispin gegenüber Forschung & Lehre, wodurch die Wissenschaftsfreiheit bedroht und teilweise außer Kraft gesetzt wurde."

Zahlreiche Beispiele für Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit 

Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. 2021 hatte der damalige polnische Minister für Bildung und Wissenschaft ein Gesetz erlassen, um offene Äußerungen rechter Ansichten straffrei zu machen. "Er hat es als Freiheitspaket bezeichnet", erklärt Krispin, "weil er stets argumentiert hat, er würde mit dem Gesetz die Freiheit wiederherstellen, nachdem bislang alles linksideologisiert und nationalkonservative Ansichten unerwünscht seien." 

Außerdem veränderte er das Punktesystem anhand dessen sowohl Forschende, als auch Forschungseinrichtungen, bewertet werden. "Konservativnationale Themen wurden hochgestuft und Internationalisierung verlor an Gewicht", so Krispin. In der Lehre forderte der Bildungsminister außerdem die Schriften von Johannes Paul II im Bachelorstudiengang als Pflichtlektüre, so Krispin. 

Gegen das neue Gesetz hat es einen großen Aufschrei an den Hochschulen gegeben, da damit massiv in die Autonomie der Hochschulen eingegriffen wurde, erklärt Krispin. "In Polen findet Protest aber stets außeruniversitär statt", sagt er gegenüber Forschung & Lehre. Er hätte das in den vier Jahren, in denen er in der polnischen Hauptstadt lebt, auch erst lernen müssen. 

"Polnische Hochschulen sind anders als in Deutschland kein Ort politischer Debattenkultur"
Dr. Martin Krispin, Leiter der DAAD-Außenstelle Warschau

"Polnische Hochschulen sind anders als in Deutschland kein Ort politischer Debattenkultur", sagt er. Eine Ursache dafür sei der Zentralismus, der statt Resilienz Anpassung fördern würde. Auch, dass polnische Hochschulen direkt vom Bildungsministerium finanziert werden, sei wichtige dabei. "Viele haben Angst, dass sich der Protest auf ihre Karriere auswirkt", so Krispin. 

Polen und Ungarn: Unliebsame Wissenschaft wird diffamiert 

Diese Beobachtungen teilt auch Dr. Piotr Kocyba, der sowohl in seiner Heimat Polen als auch in Ungarn und Deutschland gelebt und geforscht hat und derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig ist. "Kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden abgestraft", sagt er. Genau wie Forschungseinrichtungen werde ihnen das Geld entzogen, wenn sie zu unliebsamen Themen forschten oder sie Entscheidungen der Regierung kritisch in Frage stellten. 

"Kritische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden abgestraft"
Dr. Piotr Kocyba, Universität Leipzig

Sie werden nicht nur systematisch und persönlich, sondern auch öffentlich diffamiert. So hat es beispielsweise gegen das Institut für Philosophie und Psychologie der Polnischen Akademie der Wissenschaft, weil hier eine Studie zur Beteiligung der polnischen Bevölkerung am Holocaust veröffentlicht wurde, eine Schmierkampagne gegeben. Selbst der Bildungsminister hat sich persönlich zu Wort gemeldet und mit Entzug der Finanzierung des Instituts gedroht. 

Themen-Schwerpunkt "Wissenschaftsfreiheit"

Wie steht es um die akademische Freiheit? in unserem Themen-Schwerpunkt "Wissenschaftsfreiheit" finden Sie ausgewählte Artikel über Entwicklungen und Diskussionen zum gesetzlich verankerten Recht der Wissenschaftsfreiheit.

In Ungarn Eingriffe in Autonomie noch stärker ausgeprägt 

"In Ungarn gibt es all das auch, nur stärker ausgeprägt", so Kocyba. In regierungsnahen Zeitungen wurden beispielsweise Listen publiziert, in denen Forschende jüdischer Abstammung oder solche, die zu Genderstudies arbeiten, namentlich genannt und abgewertet. In der Konsequenz wurde manchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nahegelegt, sich nur noch mit Sicherheitspersonal auf dem Universitätsgelände zu bewegen. 

"Viele Universitätsangestellte mussten mit ihren Familien ihren Lebensmittelpunkt nach Wien verlegen."
Dr. Piotr Kocyba, Universität Leipzig

Eingriffe gibt es nicht nur bei Personen, sondern auch bei Studiengängen, Instituten und sogar ganzen Universitäten in Ungarn. So musste beispielsweise die Central European University von Budapest nach Wien umziehen. "Es war der größte Exodus seit dem Aufstand 1956, weil viele Universitätsangestellte mit ihren Familien ihren Lebensmittelpunkt nach Wien verlegen mussten", erzählt der polnische Wissenschaftler Kocyba. Dagegen gab es zwar Proteste, die blieben aber ohne Wirkung. Denn die ungarische Regierung konnte sie aufgrund der Zweidrittel-Mehrheit aussitzen, so Kocyba. 

Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber Restriktionen 

"Man ist eigentlich machtlos", sagt Kocyba, "von innen heraus etwas zu verändern." Deswegen sei es umso wichtiger von außen zu helfen. Bedeutet: Forschende in Ungarn bei der Beantragung von Projektmitteln mitzudenken, um ihnen damit zumindest ein wenig Unabhängigkeit von dem nationalen Forschungssystem zu gewähren. Denn in Ungarn nimmt die Politik massiv Einfluss darauf, was, von wem und wie gefördert und beforscht wird. 

In Polen war das ähnlich, aber dort wurde vergangenes Jahr die PiS-Partei abgewählt. "Seitdem wird versucht, den politischen Einfluss auf die Wissenschaft wieder rückgängig zu machen", so Kocyba. Politisch bestellte Institutsleitungen wurden abgesetzt und man denkt über die Schließung besonders verstrickter Einrichtungen nach oder solcher, die durch die PiS-Partei neu gegründet und von Grund auf politisiert waren. Diese Veränderungen seien laut Krispin aber nur bedingt möglich, weil die PiS -Partei nach wie vor viel Einfluss habe. Grund dafür sei, dass die PiS-Partei eine etablierte Partei sei und nicht eine, die aus Protest gewählt wurde. Zudem ist das politische Spektrum in Polen insgesamt konservativ. 

Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen? 

"Ein Vergleich mit Polen und Deutschland ist daher auch nur eingeschränkt möglich", so Krispin. Letztlich ist die Frage, was Deutschland mit Hinblick auf die anstehenden Wahlen und damit einhergehenden Befürchtungen der Politisierung der Hochschulsphäre und Eingriff in die Wissenschaft von Ungarn und Polen lernen kann. 

"Wenn die Demokratie fällt, geht das sehr schnell. Wir müssen also wachsam sein und es nicht zulassen."
Dr. Piotr Kocyba, Universität Leipzig

Dafür ist erstmal essentiell, ob die zukünftigen Parteien sich im rechtsstaatlichen Rahmen bewegen werden. "Es bringt vermutlich nichts, wenn wir jetzt versuchen, eine Brandmauer einzuziehen", so Krispin, der Leiter der DAAD-Außenstelle in Warschau, "sie kann, wie Polen zeigt, am Ende leicht außer Kraft gesetzt werden." Kocyba kennt das auch aus Ungarn: "Wenn die Demokratie fällt, geht das sehr schnell", sagt er. "Wir müssen also wachsam sein und es nicht zulassen", plädieren er und Krispin. 

Demokratie schützen und persönlichen Rückzug vermeiden 

Da Fördermittel entscheidend in der Forschung sind, schlägt Kocyba vor: Forschungseinrichtungen, die etwa zur Demokratie, der äußersten Rechten oder zum Klimawandel forschen, jetzt schon zu entfristen. Das erschwere es zukünftigen anti-demokratischen Regierungen Forschungsprojekte und -institute mundtot zu machen. Was ansonsten ohne großen Aufwand möglich wäre, denn man könnten sonst einfach argumentieren: "Es gibt eine Haushaltskrise und damit zu wenig Geld für die Forschung. Oder man stellt die Sinnhaftigkeit etwa der Klimawissenschaft infrage und muss laufende Förderungen nur auslaufen lassen." Genau wie es in Polen oder Ungarn vielfach passiert ist. 

"Man stellt die Sinnhaftigkeit etwa der Klimawissenschaft infrage und muss laufende Förderungen nur auslaufen lassen."
Dr. Piotr Kocyba, Universität Leipzig

Außerdem braucht es natürlich Mut trotz eines zunehmend feindlichen Umfelds seinen Forschungsinteressen weiter nachzugehen, so Kocyba. Es gibt immer wieder Fälle, in denen von Forschungsprojekten Abstand genommen wird, weil man Repressalien befürchtet – etwas beim Thema Migration und Integration. 

Es sei laut ihm und Krispin nicht immer einfach, Zivilcourage zu zeigen, weil die persönlichen und wirtschaftlichen Umstände mitgedacht werden müssen. Denn Forschende verdienen sowohl in Polen, als auch in Ungarn maximal tausend Euro im Monat. Viele haben inzwischen sogar einen Zweitjob und nicht jedem ist es möglich, im Ausland zu arbeiten. Das bedeutet, dass sie sich einen kritischen Zeitgeist im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten können. 

Hinzu kommt, dass andere Themen, wie die Inflation, der Ukrainekrieg und die allgemeine wirtschaftliche Lage im Vordergrund stehen, so Krispin, der warnt: "Es ist eine große Gefahr für die Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, wenn die Menschen sich mit der Situation arrangieren und eher zurückziehen." Das könnte in Deutschland auch passieren, so die Experten.