Farbiges Wandbild der Deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main, die am 18. Mai 1848 eröffnet wurde.
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Demokratie-Geschichte
Lehren aus der deutschen Revolution von 1848/49

Vor 175 Jahren kam im Rahmen der Revolution das erste gesamtdeutsche Parlament zusammen, ein Meilenstein der Demokratie. Welche Folgen hat das heute?

Von Sabine Freitag 18.05.2023

Können die Deutschen Revolution? Diese anlässlich der 175. Jahrfeier der deutschen Revolution von 1848/49 häufig gestellte Frage lässt sich nicht einfach und auch nicht eindeutig beantworten. Nimmt man nur den Ausgang der Revolution in den Blick, so drängt sich der Eindruck des Scheiterns unmittelbar auf: Weder konnte die angestrebte deutsche Einheit durch die Konstituierung eines modernen Verfassungsstaats erreicht werden, noch wurde die politische Partizipation der Bürger – Bürgerinnen standen wie in der Französischen Revolution von 1789 noch nicht auf der politischen Agenda – im freiheitlich-demokratischen Sinne bemerkenswert ausgebaut und rechtlich verankert. Umgekehrt reichten die fürstlichen Bajonette am Ende aber auch nicht aus, um die politischen Ideen, die mit der Revolution verbunden waren, verschwinden zu lassen. Langfristig zeigten letztere durchaus Wirkung, so dass heute die Geschichte dieser Revolution zu Recht als zentraler Bestandteil einer deutschen Demokratiegeschichte gewürdigt wird.

Welche Konflikte führten zu den Massenprotesten?

Will man die historischen Ursachen für den Ausbruch der Revolution benennen, so lassen sie sich im ökonomischen ebenso wie im politischen Bereich ausmachen. Auf ein deutliches Bevölkerungswachstum, dessen überproportionaler Anstieg verschiedene Gründe hatte, konnte die Wirtschaft des 1815 gegründeten Deutschen Bundes in der zu dieser Zeit einsetzenden Frühindustrialisierung nicht angemessen reagieren. Da viele Handwerke überbesetzt waren, wurde es für den einzelnen Handwerker immer schwieriger, für sich und seine Familie ein Auskommen zu finden. Wurden er oder sein Geselle, dem der Aufstieg ohnehin unmöglich wurde, schließlich in schlecht bezahlte Lohnarbeit abgedrängt, dann war diese "Proletarisierung" des Handwerks mit einem sichtbaren Statusverlust verbunden. Besonders in den 1840er Jahren kulminierten immer mehr Krisen im Gewerbe- und Agrarsektor und zeitigten die ersten sozialen Proteste, die im Jahr 1848 ihren Höhepunkt fanden.

Im politischen Bereich war es vor allem ein enormer Reformstau in den deutschen Einzelstaaten, der sich aus der Weigerung der fürstlichen Regierungen ergab, auf die Vorschläge liberaler Landtagsabgeordneter zur Modernisierung und Demokratisierung des Staatswesens einzugehen − zum Beispiel durch die Schaffung einer unabhängigen Justiz mit öffentlichen und mündlichen Verfahren. Statt sich an Großbritannien ein Vorbild zu nehmen, das auf politische Unruhe mit Anpassungen und Zugeständnissen reagierte und so revolutionären Ausbrüchen zuvorkam, verteidigten die deutschen Fürsten aufgrund ihrer tiefsitzenden Furcht vor "französischen Zuständen" ihre althergebrachten Privilegien und ihren adligen Führungsanspruch. Als dann im Februar 1848 in Frankreich erneut eine Revolution ausbrach und der Funke sofort auf Deutschland übersprang, waren die Fürsten und ihre Regierungen angesichts der nie dagewesenen Größenordnung des allgemeinen Protests und einer über sie hereinbrechenden Petitionsflut, die offensichtlich auf gute Koordinierung zurückging, sichtlich überrascht, mehr aber noch − überfordert.

Was hat die deutsche Revolution von 1848 ausgelöst?

Die Folge waren rasche Zugeständnisse: Versammlungs-, Vereins- und Pressefreiheit wurden ebenso gewährt wie eine allgemeine Volksbewaffnung (als Schutz gegen die Söldnerheere der Fürsten) und die Einberufung eines Nationalparlaments. Ein nach Frankfurt einberufenes Vorparlament organisierte zunächst die Wahlen. Am 18. Mai 1848 trat schließlich das erste gesamtdeutsche Parlament, die deutsche Nationalversammlung, in der Frankfurter Paulskirche zusammen. An insgesamt 236 Sitzungstagen nahm diese Nationalversammlung dann schier Unmögliches in Angriff: Aus 37 souveränen Einzelstaaten und vier freien Städten sollte sie einen deutschen Gesamtstaat schaffen und zugleich alle Bürger mit fortschrittlichen Grundrechten ausstatten. Die beachtliche Debattenkultur, die sich entwickelte, vor allem aber auch die konzentrierte parlamentarische Arbeit, die in den Ausschüssen und den sich herausbildenden Fraktionen in dieser Form zum ersten Mal erprobt wurde, bestätigten nicht nur die Expertise dieses hohen Hauses, sondern demonstrierte für alle sichtbar, wie politische Willensbildung künftig gestaltet werden sollte.

Die intensiven Diskussionen in der Paulskirche nahmen freilich viel Zeit in Anspruch, Zeit, die die Einzelstaaten ab Herbst 1848 bereits dafür nutzten, neue antirevolutionäre Kräfte zu sammeln. Als die Nationalversammlung im Dezember 1848 ihren Grundrechtskatalog verabschiedete, waren darin unter anderem allgemeine Wahlen, die Abschaffung der Todesstrafe, Judenemanzipation und endgültige Bauernbefreiung, das Recht auf Auswanderung und freie "Associationen" (unabhängige Interessensvertretungen) festgeschrieben. Aber nicht nur das. Anders als bei der abstrakten Erklärung der allgemeinen Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution von 1789 hatten die Abgeordneten der Paulskirche auch die Schaffung gesamtstaatlicher Institutionen vorgesehen, denen künftig die Aufgabe der Sicherung und Durchsetzung dieser Grundrechte zukommen sollte.

Woran ist die deutsche Revolution gescheitert?

Als schließlich die Reichsverfassung, in die die Grundrechte integriert wurden, im März 1849 nach langen Diskussionen über die Fragen der zukünftigen deutschen Grenzen (kleindeutsche Lösung ohne Österreich) und eines repräsentativen Oberhaupts verabschiedet wurde, hätten ihre Annahme und Umsetzung Deutschland in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem der modernsten Verfassungsstaaten Europas gemacht. Eine fortschreitende Demokratisierung hätte von hier aus ihren Anfang nehmen können. Doch es kam anders: Der preußische König Friedrich Wilhelm IV., von seinem Gottesgnadentum zutiefst überzeugt, lehnte die Annahme einer Krone aus den Händen bürgerlicher Volksvertreter ab. Andere fürstliche Regierungen folgten seinem Beispiel und lehnten das Frankfurter Verfassungswerk ab. Angesichts dieser Haltung nutzte es wenig, dass sich die liberalen und demokratischen Abgeordneten der Einzellandtage zuvor für die Annahme der Reichsverfassung ausgesprochen hatten und auch die Regierungen kleinerer Staaten unter der Annahme, Preußen werde zustimmen, sich dazu bereit erklärt hatten.

An der nach der königlichen Absage organisierten Reichsverfassungskampagne im Mai 1849 nahmen schon nicht mehr alle Paulskirchenabgeordneten teil. Viele waren von ihren Regierungen abberufen worden und kehrten in ihre Heimatstaaten zurück. Nur die kleine republikanische Minderheit, die als radikaldemokratische Fraktion nur knapp ein Fünftel aller Abgeordneten in der Nationalversammlung gestellt hatte und für die Verwirklichung einer Republik eingetreten war, kämpfte zusammen mit außerparlamentarischen Akteurinnen und Akteuren weiter für die Durchsetzung der Reichsverfassung, rief Volksvereine ins Leben und leistete demokratische Basisarbeit. Sie alle scheiterten jedoch in mehreren militärischen Konflikten an der Übermacht fürstlicher Armeen.

Was waren die Ziele der Revolutionäre?

Die Gründe für das Scheitern der Revolution von 1848/49 waren vielfältig. Sie lagen nicht nur in der Unwilligkeit der Fürsten oder in der Übermacht ihrer Armeen. Sie lagen auch in den heterogenen Zielen der unterschiedlichen revolutionären Akteure selbst. Was zunächst einmal – anders als zeitweise in Frankreich – in Deutschland nicht gelang, war die Herstellung einer klassenübergreifenden Solidarität der Revolutionäre, die Bündelung und Koordinierung der sozialen und politischen Proteste zu einer gemeinsamen gegen die Fürsten agierenden Kraft. Die frühzeitig in der Revolution von den Regierungen zugestandene Aufhebung aller noch bestehenden "Untertänigkeits- und Hörigkeitsverhältnisse" – also die endgültige Bauernbefreiung von Abgabeverpflichtungen – führte dazu, dass die militanten Proteste der Bauern gegen Grundherren und Rentämter sofort nachließen und schließlich ganz eingestellt wurden.

Die Ziele und Wünsche des Kleinbürgertums richteten sich dagegen vor allem auf die Wiederherstellung bekannter, zum Teil vormoderner Gewerbestrukturen. Diese ließen sich aber nicht mehr herstellen, denn mit dem Übergang von der Früh- in die Hochphase der Industrialisierung veränderten sich die wirtschaftlichen Sektoren von Grund auf. Schließlich schwächten sich die Akteure der bürgerlichen Verfassungsbewegung durch ihre Spaltung in Liberale und Demokraten. Die Liberalen strebten eine konstitutionelle Monarchie an und wollten sich − der Idee einer "organischen Entwicklung" folgend − mit den alten Mächten ins Einvernehmen setzen. Die Demokraten waren – beseelt vom Anspruch auf Volkssouveränität − davon überzeugt, dass nur ein revolutionärer Neuanfang durch die Abschaffung der Monarchie und die Etablierung einer Republik im heutigen Sinne den Gebrechen adliger Herrschaft ein Ende setzen konnte, vor allem mit Blick auf deren ökonomischer Misswirtschaft.

Wo ist das Vermächtnis der deutschen Revolution heute noch erlebbar?

Wenn heute im Schloss Bellevue durch den Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier ein "Robert Blum Saal" eingerichtet ist, dann steht die Wahl dieses Namens für das Bekenntnis zu jenen leidenschaftlichen Revolutionären, die hohe persönliche Opfer für die Verwirklichung einer demokratischen Republik gebracht haben. Im Herbst 1848 wurde Blum im konterrevolutionären Wien erschossen, nachdem er sich als Abgeordneter der Paulskirche mit den dortigen Barrikadenkämpferinnen und -kämpfern vor Ort solidarisch gezeigt hatte. Andere Demokraten bezahlten ihren politischen Einsatz mit langen Haftstrafen oder mussten ins Exil gehen.

Wenn man heute trotzdem von der "Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution" (Alexandra Bleyer) spricht, dann meint man damit vor allem ihre langfristigen Wirkungen. Die Ideen des Grundrechtskatalogs der Paulskirche haben Eingang gefunden in die Weimarer Verfassung von 1919 und das Grundgesetz von 1949. Die Ausdifferenzierung der politischen Parteien und ihre Sitzordnung in der Paulskirche spiegeln sich im heutigen Bundestag wider. Das Wichtigste an der Geschichte dieser Revolution ist aber sicherlich, dass sie für die Leistungen parlamentarischer Arbeit im Ringen um eine vernunftgeleitete und konsensfähige Politik sensibilisiert und zugleich die Erkenntnis fördert, wie sehr der Erhalt und das Funktionieren der nie selbstverständlichen und oftmals auch bedrohten Demokratie auf das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist. Insofern ist es zweifellos gut, dass 1848 zwar nicht alle Deutschen, aber doch einige Revolution durchaus konnten.

175. Jubiläum der deutschen Revolution von 1848/49

Am 18. Mai 1848 trat das erste frei gewählte gesamtdeutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche zusammen. Es versuchte, die Interessen der Revolutionäre zu bündeln und verabschiedete eine moderne Verfassung. Obwohl sie scheiterte, finden sich deren Kernerrungenschaften im Grundgesetz und der heutigen politischen Arbeit wieder.