Das Bild zeigt ein Porträt von Professor Dr. Ludger Wössmann

Wissenschaftler
Wahrhaftigkeit als Aufgabe

Die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft ist gegenwärtig weltweit umstritten. Ein Plädoyer für mehr Engagement.

Von Ludger Wössmann Ausgabe 11/17

Die Zeiten fordern dazu heraus, über die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft nachzudenken. Vor dem Brexit haben viele Wissenschaftler teils lautstark vor den negativen Folgen gewarnt. Ihre Hinweise wurden von großen Teilen der Öffentlichkeit anscheinend schon allein deshalb abgelehnt, weil sie eben von Experten kamen. Wenn es so weit gekommen ist, dann hat die Wissenschaft kaum mehr die Möglichkeit, Überzeugungsarbeit zu leisten. Auch die Wahl zum US-Präsidenten hat gezeigt, dass demokratische Wahlen mit „Fake News“ gewonnen werden können, weil diese von Vielen als gefühlte Wahrheiten akzeptiert werden. Da kommen schon mal Zweifel auf über die Fruchtbarkeit unseres Ansatzes.

Diese Erfahrungen zeigen, dass die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft nicht überschätzt werden darf. Aber man darf sie auch nicht unterschätzen. Unsere Rolle ist nicht die des Politikers, des Journalisten oder des Vertreters spezieller Interessen. Sie führen jeweils ihre eigenen Rollen in der Gesellschaft aus.

Verantwortung für die Gesellschaft

Die Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft besteht darin, neue Erkenntnisse zu entwickeln und öffentlich zu verbreiten. Unsere Aufgabe ist die Wahrhaftigkeit. Weil die Gesellschaft uns die sozial organisierte Erkenntnissuche übertragen hat, stehen wir in der Verantwortung, uns den gesellschaftlich wichtigen Fragen zuzuwenden und unsere Erkenntnisse in die öffentliche Diskussion einzubringen, damit gesellschaftliche Entscheidungsprozesse verbessert werden. Nicht als einzige Wahrheit oder als Vorwegnahme des Ergebnisses, sondern als ein Aspekt im gesellschaftlichen Ganzen.

Dazu gehört auch, über den Tag hinaus zu denken und aufzuzeigen, wenn kurzfristig scheinbar leichte Lösungen gegen langfristig verstärkte Probleme abgewogen werden müssen. Auch müssen wir ständig an den bisherigen Erkenntnissen zweifeln, neue Fragen stellen und Antworten suchen. Das ist der Weg des Fortschritts der wissenschaftlichen Erkenntnis. Das ist die Logik der Forschung, die nie verifizieren kann, sondern nur jene Erklärungen beibehält, die aktuell am wenigsten falsifiziert sind.

Mut zum Engagement

Für einen Augenblick haben mich die Ereignisse von Brexit und Trump an der Fruchtbarkeit unserer Aufgabe zweifeln lassen. Aber es ist nicht wahr, dass in Zukunft nur noch Fake News und Polemik dominieren werden. Letztlich lassen sich die meisten Menschen von irrationalen Demagogen und offensichtlichen Unwahrheiten nicht für dumm verkaufen. Am Ende erweisen sich, bei aller Unzulänglichkeit, die mit wissenschaftlichen Methoden erzielten Antworten eben doch als die besseren. Das wird diese historische Episode umso deutlicher zeigen. Deshalb sollten wir den Mut haben, die ebenso spannende wie wichtige Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft auszufüllen.