Ein aufgeschlagenes Buch
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Buchtipps – Teil 1
Was lesen Sie am liebsten?

Die Zeit ist reif für ein gutes Buch. Wir haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, welche Bücher sie empfehlen.

24.12.2020

Lamia Messari-Becker empfiehlt: Michelle Obama: Becoming. Meine Geschichte. Goldmann Verlag 2018

Portraitfoto von Prof. Dr. Lamia Messari-Becker
Lamia Messari-Becker ist Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, Mitglied im Club of Rome. J. Schmitz, polis

100 Jahre nach der Suffragetten-Bewegung, in der Frauen für ihr Wahlrecht eintraten, wird Kamala Harris Vize-Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika – als erste Frau, als Schwarze und als Tochter von Immigranten, einer Wissenschaftlerin aus Indien und einem Wissenschaftler aus Jamaika.

Harris steht wie kaum eine andere für das Versprechen Amerikas, das Land der unendlichen Möglichkeiten zu sein, wo "das Streben nach Glück" ein Grundrecht ist.

Den steinigen Weg haben unzählige, unbekannte und bekannte Kämpfernaturen geebnet, auch Michelle Obama – als erste schwarze First-Lady, erfolgreiche und starke Persönlichkeit. Wer den Weg solcher Frauen verstehen will, der beziehungsweise dem empfehle ich (geboren 1973 in Marokko) dieses Buch. Es ist 2018 erschienen und aktueller denn je.


Thomas Kaufmann empfiehlt: James C. Scott: Die Mühlen der Zivilisation. Eine Tiefen­geschichte der frühesten Staaten, Suhrkamp 2019.

Portraitfoto von Prof. Dr. Thomas Kaufmann
Thomas Kaufmann hat den Lehrstuhl für Kirchengeschichte der Universität Göttingen inne. privat

Seit der neolithischen Revolution im Zweistromland verbürgen Städte und Staaten Fortschritt und Kultur. Keine Schrift, keine Rechenkunst, kein Handwerk ohne Staat. Der Politologe Scott konterkariert dieses Narrativ. Das enge Zusammenleben von Mensch und Tier schwächte die frühen Staaten durch Epidemien. Getreideanbau bildete die Bedingung von Elitenherrschaft und Versklavung. Die Stadtmauer schützte die Bewohner vor Angriffen von außen; sie sperrte sie aber auch als Untertanen ein. Übergänge zu nomadischen Lebensformen bildeten Alternativen eines selbstbestimmteren Lebens. In Zeiten pandemischer Lockdowns wächst die Anziehungskraft nomadischer Existenz im Wald, in der Steppe und an fischreichen Küsten.


Bruno S. Frey empfiehlt: Eric A. Posner / E. Glen Weyl: Radical Markets. Uprooting Capitalism and Democracy for a Just Society. Princeton University Press, 2018 (Deutsch: Wir sind der Markt! Radikale Utopien für das digitale Zeitalter. wbg Theiss, 2019).

Portraitfoto von Prof. Dr. Bruno S. Frey
Bruno S. Frey ist ständiger Gastprofessor für Politische Ökonomie an der Universität Basel und Forschungsdirektor bei CREMA – Center for Research in Economics, Management and the Arts, Zürich. Roman Herzog Institut e.V.

Neue Ideen sind rar. Posner und Weyl entwickeln innovative Ideen, wie Märkte verwendet werden können, um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Es wird nicht – wie heute üblich – immer der Staat zu Hilfe gerufen. Ein Beispiel: Manche Leute besitzen ein Haus oder ein Auto, das sie nicht mehr kaufen würden, suchen aber aus Bequemlichkeit keinen Käufer. Das Gleiche gilt für viele Gegenstände in einem Haushalt, die nicht mehr gebraucht werden, aber herumliegen. Bei einem "radikalen Markt" müssen die Besitzer einen Preis angeben, zu dem er oder sie verkaufen würde und müsste. Damit nicht ein illusorisch hoher Preis angegeben wird, muss der deklarierte Wert versteuert werden. Diese Idee widerspricht völlig den gängigen Vorstellungen von Eigentum. Mit diesem Markt wird jedoch Eigentum denjenigen öffentlich zugänglich gemacht, die daraus den größten Nutzen haben. Damit werden auch Ressourcen geschont, was für die Gesellschaft vorteilhaft ist. Solche provokativen Ideen sollten ernsthaft diskutiert werden.


Paul Nolte empfiehlt: John Updike: The Collected Stories. 2 Bde., New York 2013 (The Library of America)

Portraitfoto von Prof. Dr. Paul Nolte
Paul Nolte lehrt Neuere Geschichte und Zeit­geschichte an der Freien Universität Berlin. FU Berlin / Wannenmacher

Kurzgeschichten sind für Wissenschaftler sowieso ideal. Nach vielen Stunden Pflichtlektüren, nach ausufernden Dissertationen geht das noch. Die Short Stories von John Updike spiegeln die Wandlungen der amerikanischen Gesellschaft seit den 1950er Jahren, etwa die Lebenswelten im altindustriellen Pennsylvania, die schließlich der Nährboden für Trump wurden. Vor allem aber sind sie literarische Perlen: präzise, ausdrucksstark, poetisch und bei allem Realismus immer etwas geheimnisvoll. Also auch eine sprachliche Wohltat angesichts des oft peinigenden Scientific Denglisch im Beruf.