Portrait von Adam Smith, Öl auf Leinwand.
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Wirtschaftswissenschaften
Wie sich Smith die gerechte Marktgesellschaft vorstellte

Der Geburtstag des Begründers der klassischen Nationalökonomie jährt sich zum 300. Mal. Was hielte Adam Smith wohl vom heutigen Wirtschaften?

Von Gerhard Streminger 07.06.2023

Adam Smith hat mit dem "Wealth of Nations" einen der wichtigsten Quelltexte der Wirtschaftswissenschaft verfasst. Das Jahr der Erstveröffentlichung – 1776 – war turbulent, denn neben der Veröffentlichung von Smiths Arbeit erklärten die nordamerikanischen Siedler ihre Unabhängigkeit von Großbritannien und wurde die von James Watt erfundene Dampfmaschine nahe Birmingham erstmals industriell eingesetzt – der endgültige Beginn der Industrialisierung.

Smith wurde wahrscheinlich am 16. Juni 1723 in der kleinen schottischen Hafen- und Handelsstadt Kirkcaldy geboren. Mit 14 Jahren verließ er seinen frühindustrialisierten Geburtsort und studierte zunächst in Glasgow, wo er in der Person Francis Hutcheson einen besonders anregenden Lehrer fand. Hutcheson wird oft "Vater der schottischen Aufklärung" genannt. Smith beendete mit 17 Jahren sein Studium in Glasgow mit Auszeichnung und erhielt als Anerkennung ein Stipendium, das ihm von 1740 bis 1746 die weitere Ausbildung in Oxford ermöglichte.

Er war entsetzt vom im Vergleich zu Glasgow rückwärtsgewandten geistigen Klima an der englischen Eliteuniversität und fühlte sich intellektuell unterfordert. Er begann – möglicherweise auf Empfehlung Hutchesons – sich mit David Humes kürzlich erschienenen "Treatise of Human Nature" zu beschäftigen. Als seine stockkonservativen Lehrer dies herausfanden, erhielt Smith einen strengen Verweis und das Buch wurde unverzüglich konfisziert. Noch vor Beendigung des Stipendiums beschloss Smith nach Kirkcaldy zurückzukehren.

Smiths prägende Freundschaft mit David Hume

Im Jahr 1749 lernte Smith Hume persönlich kennen – der Beginn einer der wenigen Freundschaften zweier genial begabter Menschen, welche die Geschichte kennt. Vor allem eine Arbeit Humes hatte auf Smith damals enormen Einfluss: die 1752 veröffentlichten "Political Discourses", die in der Sekundärliteratur gelegentlich "Wiege der Wirtschaftswissenschaft" genannt werden. Hume entwickelte in ihnen in Abkehr vom Merkantilismus die Grundideen der klassischen Ökonomie.

"Humes 1752 veröffentlichte 'Political Discourses' hatten auf Smith enormen Einfluss."

Smith hatte das Werk schon vor der Veröffentlichung gekannt und es bereits im Januar 1752 an der Universität Glasgow in einem Vortrag thematisiert, wo er im Herbst 1751 den Lehrstuhl für Logik übernahm. Obwohl er über Ethik im engeren Sinn noch nie gelehrt hatte, wechselte Smith auf eigenes Betreiben im April 1752 auf den Lehrstuhl für Moralphilosophie, den sein verehrter Lehrer Hutcheson innegehabt hatte.

Die Entstehung des "Wealth of Nations"

Die Vorlesung über Moralphilosophie bestand aus vier Teilen: natürliche Religion, Ethik im engeren Sinn, Jurisprudenz und Politische Ökonomie. Als Moralphilosoph beschränkte man sich damals nicht auf Ethik, vielmehr bedeutete der englische Ausdruck moral im Zusammenhang mit philosophy etwa "auf menschliches Verhalten bezogen" und lässt sich am ehesten mit "Human-, Geistes- oder Gesellschaftswissenschaft" übersetzen. Gegenstück dazu war die natural philosophy, also die Naturphilosophie oder Naturwissenschaft.

Smith arbeitete den zweiten Teil seiner Hauptvorlesung zu seinem Erstlingswerk "Theory of Moral Sentiments" aus, das 1759 erschien.1764 gab er – auch aus Gründen der Überlastung – seinen Lehrstuhl auf und begleitete als Privatlehrer den Herzog von Buccleuch auf die "Grand Tour" nach Frankreich. Drei Jahre später zog er sich nach Kirkcaldy zurück, um – voller Informationen, Ideen und Reiseeindrücken – den "Wealth of Nations" zu verfassen, der aus dem vierten Teil seiner Vorlesung hervorging. An der Publikation des dritten Teils über Jurisprudenz und die Geschichte der verschiedenen Rechts- und politischen Systeme arbeitete Smith mit großen Unterbrechungen zeitlebens, ohne das Thema zu einem Abschluss bringen zu können.

Smiths Verständnis von Nationalökonomie

Was würde Smith nun von der modernen Wirtschaft halten? Die Finanzwirtschaft, und hier insbesondere das investment banking, sind weitgehend abgeschottete Bereiche, in denen die Akteure möglichst ungehindert nach Eigennutz handeln – angeblich auf lange Sicht zum Nutzen aller. Eine solche Ökonomie entspricht Smiths Idealverständnis von Wirtschaft nicht. In diesem ist die Produktion von Gütern und die Schaffung von Dienstleistungen Teil des sozialen Lebens einer Gesellschaft und unterliegt somit denselben staatlichen Gesetzen und moralischen Normen. In Smiths Gesellschaftsmodell, das er "die natürliche Ordnung der vollkommenen Freiheit und (!) Gerechtigkeit" nannte, ist die sogenannte "unsichtbare Hand" des Marktes mit der "sichtbaren Hand" des Staates verschränkt. Ohne staatliche Institutionen, deren Aufgabe der Schutz von Gerechtigkeit und Ordnung ist, "würde die bürgerliche Gesellschaft", so glaubte er, "ein Schauplatz des Blutvergießens und der Unordnung".

Er war nicht der Ansicht, dass Marktwerte das Primat über politische und soziale Werte besäßen – ganz im Gegenteil: Die Sicherung und Kontrolle des Marktes gehörte für ihn zu den Staatsaufgaben, damit Angebot und Nachfrage sich möglichst ungehindert immer von Neuem anpassen können. Der Staat vermöge dies zu leisten, indem er für eine gute Infrastruktur sorgt, Kartellbildungen verhindert und alle Marktteilnehmer in gerechter, nämlich progressiver Weise besteuert. Smith bestimmte darüber hinaus die Sorge um die Unterprivilegierten zur staatlichen Aufgabe: Es ist "mehr als recht und billig", schrieb er, "wenn diejenigen, die alle ernähren, kleiden und mit Wohnung versorgen, so viel vom Ertrag der eigenen Arbeit bekommen sollen, dass sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und anständig wohnen können." Auch habe der Staat sich um Bildung zu kümmern, damit die negativen Folgen der Arbeitsteilung, wie die geistige Verkümmerung der Arbeitenden, gemildert werden.

Das heutige Marktgeschehen – betrachtet mit den Augen Adam Smiths

Die gegenwärtige Situation des Marktgeschehens hätte Smith wahrscheinlich ambivalent beurteilt. Er wäre beeindruckt von der unermesslichen Fülle an Gütern, die erst durch Arbeitsteilung und die Förderung von Begabungen möglich wurde. Ebenso beeindruckt wäre er wohl – trotz allem – von der Infrastruktur, dem Gesundheitswesen, den sozialen Netzen in sozialen Marktwirtschaften – und dass die Globalisierung der Märkte gelungen ist. Denn Smith war überzeugt, dass der freie Handel vorteilhaft für die gesamte Menschheit ist, nicht zuletzt deshalb, weil Länder durch diesen wirtschaftlich so voneinander abhängig werden, dass letztlich ewiger Frieden folgen müsste.

"Adam Smith misstraute der 'Macht der Konzerne' zutiefst."

Äußerst kritisch beurteilte Smith Marktverzerrungen durch ungerechte oder mangelnde Besteuerung. In der Tatsache, dass manche Großkonzerne ihre Steuern heute nicht dort bezahlen, wo sie ihre Gewinne machen, während heimische Betriebe ihre Steuerlast tragen, sähe Smith ein Versagen des Staates und das Risiko neo-feudaler und vor-demokratischer gesellschaftlicher Verhältnisse. Wie Smiths Ausführungen im Zusammenhang mit der Ostindiengesellschaft im "Wealth of Nations" deutlich machen, misstraute er der "Macht der Konzerne" zutiefst. Er sah, dass sie ob ihrer Stärke staatliche Gesetze, die eigentlich dem Gemeinwohl dienen sollten, in ihrem Sinn beeinflussen könnten. Smith warnte nachdrücklich vor dem Monopolgeist der Unternehmer, der dazu führe, sich mit ungerechtfertigt hohen Preisen gegen das Wohl der Gemeinschaft zu stellen.

Smiths letzte Jahre – und was bleibt

Nach Humes Tod 1776 versammelten sich die übrigen Vertreter der schottischen Aufklärung um Smith, allen voran Joseph Black, der Mitbegründer der modernen Chemie und Entdecker des Kohlenstoffdioxids, sowie James Hutton, der Begründer der modernen Geologie. Smith überarbeitete in seinen letzten Lebensjahren die "Theory of Moral Sentiments" und hatte die Genugtuung, die endgültige Fassung seiner Schrift zum "guten und richtigen Leben" noch einige Wochen vor seinem eigenen Tod in Händen zu halten.

Als im Juli 1790 in Edinburgh seine sterblichen Überreste zu Grabe getragen wurden, hatte sich eine große Menschenmenge versammelt, um dem Toten die letzte Ehre zu erweisen. Smith war ein leidenschaftlicher Verfechter der an der Wirklichkeit orientierten und rational begründeten Aufklärung gewesen, die den Menschen die Möglichkeit gab, sich von jeder Form dogmatischer Herrschaft und fanatisierter Religiosität zu befreien. Viele empfanden Dankbarkeit gegenüber einem Philosophen, der sich für Freiheit und Gerechtigkeit, für eine liberale Gesellschaft jenseits nationaler Schranken und für individuelle Selbstbestimmung eingesetzt hatte.

Zum Weiterlesen

Rasmussen, D. C. The Infidel and the Professor: David Hume, Adam Smith, and the Friendship that Shaped Modern Thought. Princeton University Press 2017.

Streminger, G. Adam Smith. Wohlstand und Moral. C.H. Beck 2017.

Streminger, G. David Hume. Der Philosoph und sein Zeitalter. 2., überarbeitete Ausgabe, C.H. Beck 2017.