Die Aufzeichnung eines Elektroenzephalogramms (EEG) zeigt Hirnströme.
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Umstrittene Hirnforschung
ALS-Patient kann mit Hirn-Implantat wieder sprechen

Dem Hirnforscher Niels Birbaumer wurde bei früheren Studien zu ALS Betrug vorgeworfen. Nun zeigt sich, dass er im Kern möglicherweise doch Recht hat.

23.03.2022

Ein Forscherteam hat offenbar einen Weg gefunden, wie sogenannte "Locked-In" Patienten sich mithilfe eines neuartigen Neuroimplantats wieder mitteilen können. Diese Menschen sind wach und wahrnehmungsfähig, können sich aber nicht äußern, weil sie durch ihre Erkrankung keinerlei Muskelkontrolle mehr haben. Die am Dienstag im Fachmagazin "Nature Comunications" erschienene Fallstudie berichtet von einem einzelnen Patienten mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS), bei dem das Implantat funktioniert habe.

Autoren der Studie sind Neurologen, Neuroingenieure und Neurochirurgen aus Deutschland, der Schweiz, den USA und Zypern sowie Mitarbeiter einer Firma in Mössingen. Unter ihnen ist auch der umstrittene Hirnforscher Professor Niels Birbaumer aus Tübingen, dem bei ähnlichen Experimenten mit ALS-Patienten vor einigen Jahren Betrug vorgeworfen worden war. Er habe die Daten statistisch nicht korrekt ausgewertet und daraus ungerechtfertigterweise den Rückschluss gezogen, dass seine Patienten wieder kommunizieren könnten. Dafür wurde er öffentlich und wissenschaftlich verurteilt.

Die nun entwickelten Implantate bestehen aus einer Reihe an Mikroelektroden, die in den motorischen Kortex des Gehirns eingesetzt werden. Der neuen Studie zufolge habe der 34-jährige ALS-Patient gelernt, seine Nervensignale so zu steuern, dass er über seine zwei Implantate Ja-Nein-Antworten geben konnte. Dadurch habe er Buchstaben auswählen und damit Wörter und Sätze formulieren können. Beispielsweise habe er schrittweise Wünsche geäußert, was er anziehen oder essen wolle, wie sein Bett eingestellt werden solle, und mit seiner Familie gesprochen.

Die Forschenden wollen nun in weiteren Studien an Patienten die Ergebnisse bestätigen und die Sicherheit des Implantats prüfen.

DFG betont Rechtmäßigkeit ihrer Sanktionen

Unterdessen hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) am Mittwoch zu den von ihr verhängten Sanktion gegen Birbaumer anlässlich seiner früheren, DFG-geförderten Studien Stellung bezogen. In der Erklärung, die "Forschung & Lehre" vorliegt, betont die DFG, dass die Maßnahmen wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens beim methodischen Umgang mit den Forschungsdaten erteilt wurden. Der fachliche Inhalt, Birbaumers Thesen zur Kommunikation mit den Patienten, sei hingegen in dem Prüfverfahren der DFG nicht untersucht worden.

Der von Birbaumer 2020 angestrebte Rechtsstreit mit der DFG vor dem Landgericht Bonn wegen der verhängten Sanktionen laufe noch, erklärte die DFG. Das Gericht habe jedoch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des DFG-Verfahrens erkennen lassen.

aktualisiert am 23.03.2022 um 15:59 Uhr, zuerst veröffentlicht um 11:30 Uhr

ckr