Roboter versteckt sich in einer weißen Tasse
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Informatik
Chancen und Grenzen künstlicher Intelligenz

Künstliche Intelligenz meint oft "intelligente" Problemlösung durch Computersysteme. Wie weit ist die Forschung auf diesem Gebiet?

Von Jana Koehler 03.01.2020

Das Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI) hat in den Jahrzehnten seit seiner Begründung im Jahre 1956 eine stürmische Entwicklung erlebt. Höhen und Tiefen, Fortschritte und Rückschläge haben sich mehrfach abgelöst. Seit 2012 erleben wir mit dem Sieg des IBM Systems Watson im Quizduell Jeopardy ein bisher nicht gekanntes Interesse. Trotz aller Zweifel ist KI in der Mitte der Gesellschaft angekommen und eins der vielversprechendsten und spannendsten Forschungsgebiete unserer Zeit. Fast jeder und jede macht heute KI, und insofern hat sich die Aussage, dass KI auch für die künftige Informatik steht, mehr als bewahrheitet.

Aktuelle Herausforderungen

Aktuell bestehen die größten Herausforderungen bei der technologischen Entwicklung von KI Systemen sowohl in der Entwicklung der KI Grundlagentechnologien als auch in der Entwicklung von KI Anwendungssystemen. Bei den Grundlagen sehen wir einen aktuellen Trend vor allem darin, dass man von "Deep Learning plus X" spricht. Damit ist gemeint, dass man tiefe Neuronale Netze zum maschinellen Lernen mit mindestens einer weiteren KI-Technologie, oft aber auch mit diversen anderen Technologien kombiniert. Sehr eindrücklich sehen wir dies unter anderem auf dem Gebiet der Computerspiele. Die Durchbrüche der Spielprogramme Libratus von der Carnegie Mellon Universität beim Pokerspielen oder  Alphastar der Google Tochter Deepmind beim Spielen von Starcraft II zeigen, dass die Entwicklung hybrider KI-Systeme, in der verschiedenste Verfahren in komplexen KI-Architekturen interagieren, zu Systemen führen kann, die sich in sehr komplexen, von Unsicherheit geprägten Situationen erfolgreich behaupten können. Unterschiedliche Methoden aus dem Maschinellen Lernen interagieren hier mit Suchalgorithmen, Kurz- und Langzeitplanung oder Verfahren aus dem Bereich der Multiplen Agentensysteme.

Bei der Entwicklung von Anwendungen stehen vor allem Fragen der Beschaffung und der Aufbereitung der Daten, der Datenschutz oder die Bereitstellung der benötigten Schnittstellen im Mittelpunkt. Dazu gehören auch notwendige Industriestandards. Für den Einsatz des Maschinellen Lernens besonders wichtig ist die Erklärbarkeit und Transparenz des abstrakten Wissens, das in einem neuronalen Netz repräsentiert ist. Eine weitere besondere Herausforderung ist die Validierung und das Testen der KI-Systeme, für die die Methoden noch weiter ausgearbeitet werden müssen.

Die nächsten Fortschritte

Kurz- bis mittelfristig, das heißt in den nächsten fünf Jahren, werden wir die größten Fortschritte in den Gebieten sehen, die zurzeit auch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Sprach- und bildbasierte Technologien haben einen sehr hohen Reifegrad erreicht und wir werden in den nächsten Jahren Systeme sehen, die wirklich in der Lage sind, hervorragende Ergebnisse zu erzeugen, die von menschlicher Leistung nicht mehr unterscheidbar sind oder diese sogar übertreffen. Sprachsteuerung, Spracherkennung und Übersetzung werden heute schon von vielen Menschen ganz selbstverständlich genutzt und werden es uns zukünftig ermöglichen, miteinander in verschiedenen Sprachen perfekt in Echtzeit zu kommunizieren.

"In der Zukunft werden uns ganz neue Arten von Maschinen und Robotern begleiten."

Ebenso können wir Fortschritte in der weiteren Ausreifung von hybriden Verfahren und bei der Kombination von Algorithmen sehen, um zum Beispiel das Problem der Erklärbarkeit von KI Systemen zu lösen. Besonders spannend ist die Entwicklung des Re­inforcement Learning. Hier wird nicht aus vielen Daten gelernt, sondern das System lernt durch praktische Erfahrung und Auseinandersetzung mit der Umwelt. Dies entspricht viel eher dem menschlichen Lernen, und wir können hier noch erstaunliche Ergebnisse erwarten, wobei natürlich die Auseinandersetzung eines Computersystems mit der realen Umwelt auch viele ethische und juristische Fragen aufwirft. Interessant ist damit auch das Thema Embodiment, also die Verkörperung von KI-Systemen und die Einbettung von KI-Software in neue Maschinen. Im Moment sehen wir eher passive Geräte, wie zum Beispiel Alexa oder Anwendungen auf Smartphones. In der Zukunft werden uns ganz neue Arten von Maschinen und Robotern im Alltag begleiten und mit uns arbeiten und leben.

KI in der Anwendung

KI eignet sich für sehr viele Aufgaben, und die Einsatzbereiche sind eigentlich unlimitiert, da KI ja nichts anderes als die "künftige Informatik" ist, und Computeranwendungen in immer mehr Bereiche vordringen. KI-Systeme sind heute und auch schon seit vielen Jahren in ganz unterschiedlichen Bereichen im Einsatz. Besonders wichtig sind zukünftig Anwendungen, die uns helfen, Ressourcen zu sparen, um unsere Umweltproblematik oder die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Auch im Bildungsbereich wird KI zunehmend eingesetzt. In der Industrie kommen Verfahren zur Qualitätssicherung in der Produktion, zur effizienten und flexiblen Planung von Produktionsprozessen, zur Früherkennung von Fehlern und zur Optimierung der Logistik zum Einsatz. Die kundenindividuelle Fertigung, bei der ein Produkt genau auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten und direkt bei Bestellung "just in time" hergestellt wird, ist ohne KI nicht möglich. Ebenso werden geschlossene Stoffkreisläufe nur durch KI realisierbar sein.

Eindeutig den zurzeit fortschrittlichsten Anwendungsbereich der KI auszumachen ist schwierig, da KI oft gar nicht direkt erkennbar ist. Welcher Autofahrer ist sich schon bewusst, dass im Navigationssystem schon von Anfang an KI-Algorithmen zur Berechnung der besten Route im Einsatz waren. Sicherlich sind Anwendungen zur Sprachübersetzung oder ­-er­kennung soweit ausgereift, dass sie weiter in den Alltag Einzug halten. Suchverfahren im Internet oder generell die Informationsbeschaffung wird bereits wirkungsvoll unterstützt, ebenso das Marketing.

Skepsis oder Begeisterung?

Die größte Herausforderung aktueller und zukünftiger Anwendungen im Bereich KI scheint in Europa vor allen Dingen in der Akzeptanz der Technologien zu liegen. Hier begegnet man KI doch eher mit Skepsis und sieht vielmehr die Risiken als die Chancen. Somit besteht die Gefahr, dass wir die Chancen bei der Gestaltung der Technologien und ihrer Einbettung in die Gesellschaft zu wenig nutzen und andere die Maßstäbe für die Umsetzung setzen.

In vielen Industriebereichen oder auch der Medizin, in denen KI zur Anwendung kommen kann, müssen noch die notwendigen Standards und Normen geschaffen werden, damit die Systeme überhaupt miteinander in Austausch treten können. Zum Beispiel brauchen wir weitere Standards, wie Diagnosedaten in der Medizin standardisiert gespeichert werden, damit sie für die personalisierte Medizin besser verknüpft und ausgewertet werden können.

"Es besteht die Gefahr, dass wir die Chancen bei der Gestaltung der Technologien und ihrer Einbettung in die Gesellschaft zu wenig nutzen."

Es muss unbedingt sichergestellt werden, dass der Zugriff auf die Daten aus unseren Anwendungen auch bei uns bleibt und die Rechte an den Daten nicht durch die Nutzung externer Cloud-Infrastrukturen abwandern. Insofern sind Investitionen in die Infrastruktur besonders wichtig.

Die Chancen und Potenziale der aktuellen und künftigen Anwendungen der KI-Technologien sind eigentlich unbegrenzt. Wir können KI überall einsetzen und vor allem im Umweltbereich, in der Produktion und in der Medizin sind durch KI große Fortschritte möglich. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung neuer Medikamente, die fast unbezahlbar geworden ist. Hier können uns KI Technologien wirksam unterstützen und neue Durchbrüche ermöglichen. Auch in allen anderen Disziplinen wird KI immer mehr helfen, die Forschung voranzubringen.

Zwischen Regulierungs­bedarf und KI-Innova­tionen

Es braucht sicherlich wie bei jeder Technologie gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Einsatz der Technologie entsprechend unterstützen und regulieren. Das Problem hierbei ist, dass die technologische Entwicklung zurzeit viel schneller verläuft als die gesetzgebende Regulierung überhaupt erfolgen kann. Hier ist es somit sinnvoll, kontrolliert zu experimentieren, um zunächst Erfahrungen zu gewinnen und erst dann entsprechende Gesetze zu erlassen. Da Deutschland nicht unbedingt zu den Vorreitern der Digitalisierung gehört, können wir hier auch sehr gut aus internationalen Erfahrungen lernen und diese für uns entsprechend umsetzen.

Die Rahmenbedingungen für KI sollten dabei nach von der Gesellschaft definierten ethischen Richtlinien gestaltet werden. Am DFKI vertreten wir den Grundsatz "KI für den Menschen". KI-Anwendungen und -Technologien sollen so ausgestaltet werden, dass sie den Menschen nutzen und von den Menschen akzeptiert werden. Dabei ist es wichtig, zwischen Technologie und Anwendung zu unterscheiden. KI-Technologie ist an sich zunächst einmal völlig neutral und kann für ganz unterschiedliche Anwendungen eingesetzt werden, die sich positiv oder auch negativ auswirken können. Bei der Regulierung scheint es sinnvoll, den Fokus auf die Auswirkungen von Anwendungen zu legen und insbesondere bestimmte Geschäftsmodelle kritisch zu hinterfragen. Ein Beispiel sind kundenindividuelle Preise. Ist es wirklich im Interesse der Gesellschaft, dass Menschen unterschiedlich für die gleichen Produkte und Dienstleistungen bezahlen, nur weil ein KI-basiertes System dies anhand ihres aus verschiedenen Quellen aggregierten Datenprofils so entscheidet?

Öffentliche Institutionen können mit unterschiedlichsten Maßnahmen positiv wirkende Rahmenbedingungen für die Entwicklung und den Einsatz von KI-Systemen schaffen, mittels derer  auch viele neue Berufe und Arbeitsplätze entstehen können. Generell geht es ja darum, die Innovationsfähigkeit eines Landes zu stärken und damit auch den Wohlstand und die soziale Einheit der Gesellschaft zu sichern. Die wichtigsten Maßnahmen haben dabei zunächst gar nichts mit künstlicher Intelligenz zu tun, können aber von ihr stark unterstützt werden. Dazu gehört zum Beispiel ein sehr gutes Bildungssystem, das den Menschen in Form eines effektiven lebensbegleitenden Lernens auch das notwendige Wissen für das digitale Zeitalter mitgibt, und es ihnen ermöglicht, die Technologie nicht nur anzuwenden, sondern vor allen Dingen auch zu verstehen und aktiv zu beherrschen. Infrastrukturmaßnahmen sind sehr wichtig, denn KI Anwendungen verlangen ein zuverlässiges Internet, aber auch Verkehrssysteme müssen umweltverträglich und effizient sein. Mit der Klimaveränderung wird uns das Thema Wasser sehr stark beschäftigen. Weiterhin ist die Gesundheitsversorgung ein wichtiger Standortvorteil. Ein kostengünstiges und sehr hochstehendes Gesundheitssystem, das es aber auch schafft, die Gesundheit der Menschen zu erhalten und Krankheiten aktiv zu verhindern, wird immer wichtiger werden. Nicht zuletzt spielen eine intakte Umwelt, die soziale Gerechtigkeit und der soziale Frieden in der Gesellschaft eine ganz wichtige Rolle und werden über den Erfolg der Digitalisierung entscheiden.