Symbolbild für genetische Vielfalt: ein DNA-Strang, binäre Daten und Silhouetten von Menschen
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Bioinformatik und Biomedizin
Datengrundlage zur Erforschung der Gene verbessert

Forschende haben eine neue menschliche Pangenom-Referenz veröffentlicht. Sie stellt die Vielfalt der Menschen besser dar als frühere Gensammlungen.

11.05.2023

Unser Erbgut unterscheidet sich geringfügig von Mensch zu Mensch. Um diese Unterschiede und ihre Folgen für die individuelle Gesundheit zu verstehen, erstellen Forschende Referenzgenome, die die menschliche Vielfalt widerspiegeln sollen. Diese Referenzen bestehen aus Sequenzen mehrerer menschlicher Genome – der Gesamtheit der Erbinformation eines Menschen. Forschende haben nun eine neue, umfassendere Sammlung von Referenzsequenzen veröffentlicht und damit die Datengrundlage für die biomedizinische Forschung verbessert. Anders als das bisherige, knapp 20 Jahre alte Referenzgenom – das bis heute genutzt wird, obwohl es unvollständig ist und zum größten Teil von nur einem Menschen stammt – enthält die neue Sammlung hochaufgelöste, nahezu vollständige Genomsequenzen einer großen Vielfalt verschiedener menschlicher Populationen.

Der Bioinformatiker Professor Tobias Marschall von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat das internationale Forschungskonsortium, das "Human Pangenome Reference Consortium", zusammen mit vier US-Kollegen geleitet. Die zugehörige Publikation ist am Mittwoch in der Fachzeitschrift "Nature" erschienen.

Demnach umfasst die neue sogenannte Pangenom-Referenz derzeit Genomsequenzen von 47 Personen. Da bei Menschen jedes Chromosom zweimal vorliegt, umfasst die aktuelle Referenz insgesamt 94 verschiedene Genomsequenzen. Bis zum Abschluss des Projekts Mitte 2024 wollen die Forschenden eine Gesamtzahl von 700 verschiedenen Genomsequenzen von 350 Personen verschiedener Ethnien erreichen. Daraus soll ein möglichst lückenloses und diverses Pangenom entstehen.

Forschungsziel: Wissenslücken zum Erbgut des Menschen schließen

Möglich macht dies der technologische Fortschritt. Mithilfe neuer DNA-Sequenziertechniken und Algorithmen können heute 99 Prozent des menschlichen Genoms mit einer Genauigkeit von 99 Prozent dargestellt werden. Das ursprüngliche Referenzgenom von 2001 – damals ebenfalls ein Meilenstein in der Genomik – wurde zwar mit der Zeit ebenfalls immer wieder optimiert, einige Lücken konnten aber nie geschlossen werden.

Zwei Menschen sind in ihren Genen durchschnittlich zu über 99 Prozent identisch. Die geringfügigen Unterschiede machen jeden Menschen einzigartig, auch in medizinischer Hinsicht. Forschenden aus der medizinischen Grundlagenforschung sowie der Klinik kann das Wissen über die Unterschiede künftig helfen, Risiken für Krankheiten vorherzusagen und medizinische Behandlungen individuell anzupassen, hoffen die Autorinnen und Autoren. Allerdings werde die Anwendung des neuen Pangenoms noch Zeit brauchen.

Möglichkeiten und Grenzen der neuen Pangenom-Referenz

Für einige Krankheiten sind bereits damit verbundene genetische Varianten bekannt. Der Bioinformatiker Professor Michael Nothnagel von der Universität zu Köln rechnet damit, dass mit der Pangenom-Referenz nun für viele dieser Fälle die ursächlichen biologischen Mechanismen aufgeklärt werden können, sagte er gegenüber dem "Science Media Center". Es sei außerdem zu erwarten, dass bei einigen genetisch bedingten Erkrankungen bei Kindern, bei denen die Ursachen bislang unverstanden seien, in den kommenden Jahren eine Diagnose gestellt werden könne. "Allerdings wird die Entstehung vieler Krankheiten nicht allein durch die genetische Information beeinflusst, sondern ebenso durch Genregulation, Genexpression, Proteineigenschaften und ähnliches. Hier kann die Pangenom-Referenz nur bedingt zur Aufklärung beitragen", schränkte Nothnagel ein.

"Wir stehen hier vor einem Umbruch in der Genomik. Das auf einer Person basierte Referenzgenom wird durch eine Zusammensetzung vieler ersetzt. Diese radikale Änderung der Grundlage vieler analytischer Verfahren erfordert eine Anpassung dieser oder die Entwicklung komplett neuer Ansätze", sagte Dr. Siegfried Schloissnig vom Wiener Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP) zur Bedeutung des Pangenom-Projekts.

"Die 350 Genome, auf die das Projekt abzielt, ermöglichen es, einen großen Teil der menschlichen Diversität abzubilden", so Schloissnig. Genveränderungen, die nur in einem Bruchteil der Bevölkerung vorkommen, würden aber auch mit diesem Stand der Technik noch übersehen. Das bestätigt auch der Genetiker Professor Stefan Mundlos von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik: "Je mehr Genomsequenzen in das Referenzgenom eingeschlossen werden, desto genauer wird es, allerdings sind manche Varianten so selten, dass man sie nie vollständig abbilden können wird."

ckr