Medizintechnik
Die Hände Johann Sebastian Bachs
Johann Sebastian Bach ist für viele Menschen, Experten wie Laien, der größte Komponist, der je gelebt hat. Seine Matthäus-Passion etwa gilt als eines der größten Werke der Menschheitsgeschichte.
Doch lässt sich "Größe", zumal wenn es um Musik geht, so einfach messen? Immerhin: Die Größe von Johann Sebastian Bachs Händen lässt sich auch heute, 333 Jahre nach seiner Geburt, rekonstruieren. Eine im Archiv für Kriminologie (Band 242, Heft 3/4, September/Oktober 2018) publizierte Untersuchung des Offenburger Forschers Professor Dr. med. Andreas Otte legt nahe, dass die legendäre Virtuosität Bachs durchaus auch mit einer besonderen körperlichen Eigenschaft zu tun gehabt haben könnte: der überdurchschnittlichen Länge seiner Hände bei einer für die damalige Zeit normalen Körpergröße.
Forschungsgundlage: Eine historische Fotografie des Skeletts
"Wir sind historischen Hinweisen auf die herausragende Beweglichkeit, Stärke und Autonomie jedes einzelnen Fingers seiner beiden Hände nachgegangen", erklärt der Medizintechnikprofessor der Hochschule Offenburg. Dazu hat der Forscher eine historische Fotografie von Bachs 1894 ausgegrabenem Skelett anatomisch untersucht und mit anthropometrischen Daten verglichen: "Das Foto erlaubte uns direkte Messungen. Zum einen weil die Aufnahme glücklicherweise nicht verkippt war, die Perspektive also nicht verzerrt ist. Außerdem wurde damals ein Maßstab mit abgelichtet".
Das Ergebnis der Untersuchungen: "Bachs linke Hand hatte auch für heutige Verhältnisse eine außergewöhnliche Länge und Spanne und war gewiss begünstigend für seine Virtuosität. Die rechte Hand konnten wir mangels vieler fehlender Knochen auf dem Foto nicht rekonstruieren. Es ist aber davon auszugehen, dass sie ähnlich groß war wie die linke Hand", erklärt der Forscher. "Ein profanes Herunterbrechen von Johann Sebastian Bachs Genie auf die Länge und Spanne seiner Hand wäre ja fast schon ein Sakrileg", räumt Otte freimütig ein. "Aber unsere Untersuchung kann einen weiteren kleinen, jedoch womöglich sehr interessanten Baustein für die Bach-Forschung liefern."
"Seine Faust war gigantisch"
Zeitgenössische Beschreibungen Bachs hätten Otte auf die Spur gebracht: Der Organist und Literat Christian Friedrich Daniel Schubart (1739-1791) etwa schrieb: "Seine Faust war gigantisch. Er griff z. B. eine Duodezim mit der linken Hand und colorirte mit den mittleren Fingern dazwischen. [.] Seine Faust war unermüdet und hielt tagelanges Orgelspiel aus."
Aber wie misst man die Handspanne eines Toten? "Das Gesamtskelett Bachs wurde kurz nach seiner Entdeckung 1894 von einem Leipziger Anatomieprofessor frontal in guter Qualität abfotografiert und publiziert. Den Schädel Bachs beschreibt dieser sehr detailliert, leider geht er nur am Rande auf das postkraniale Skelett ein. Er erwähnt, so wie auch andere nach ihm, dass die Knochen besonders der Oberarme und Unterarme "auffallend kräftige Muskellinien" hätten, was man als Ausdruck langjähriger kräftiger Armbewegungen deuten kann, wie sie etwa beim Orgel- und Cembalospiel vorkommen. Die Hände wurden aber weder von ihm beschrieben, noch von einem anderen danach", erklärt Otte.
Mit Hilfe von geometrischen Simulationen und mathematischen Extrapolationen mit anthroprometrischen Daten heutiger Pianisten konnte Otte nun die Handspanne des am 21. März 1685 in Eisenach geborenen und am 28. Juli 1750 in Leipzig gestorbenen Komponisten aus der Handlänge bestimmen: Die skelettale Handlänge Bachs beträgt den Messungen zufolge 21,5 Zentimeter. Daraus ergibt sich eine Handspanne, also die Entfernung zwischen dem kleinen Finger und dem Daumen bei jeweils maximaler aktiver Abduktion, von etwa 26 Zentimetern.
"Damit konnte Bach ohne Probleme eine Duodezime greifen", erklärt Otte, also mit kleinem Finger und Daumen einen Abstand von zwölf weißen Klaviertasten überbrücken. "Das ist auch heute noch ungewöhnlich groß; viele bekannte Pianisten der Gegenwart haben eine weitaus kleinere Handspanne als Bach". Vielleicht war Bach auch deshalb nicht nur einer der brillantesten Komponisten des Barocks, sondern auch einer der besten und virtuosesten Cembalisten und Organisten seiner Zeit.
gri