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Klimawandel
Eis in der Antarktis instabiler als bislang bekannt

Die auf den ersten Blick so massiv wirkenden Eismassen der Antarktis sind fragiler als bislang gedacht. Dies hat gravierende Folgen.

13.06.2019

Entlang der antarktischen Küste ist das Eis an vielen Stellen instabil und könnte jederzeit abbrechen. Wenn das geschieht, werden die Eismassen langsam und unaufhaltsam in den Ozean fließen und damit weltweit den Meeresspiegel ansteigen lassen. Dabei ist genau jene Region, in der die Instabilität durch eine Erwärmung des Ozeans wahrscheinlich bereits eingesetzt hat, auch die Region, die schneller kollabieren wird als jede andere. Das berichten Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) in einer in der Zeitschrift The Cryosphere erschienen aktuellen Studie.

Demnach sei die Geschwindigkeit des Eisverlustes in der Antarktis bereits heute ein wichtiger Faktor für den weltweiten Anstieg des Meeresspiegels, auch wenn der vergleichsweise schnelle Eisverlust sich nur über Jahrzehnte hinweg entfalte und Jahrhunderte andauere, Davon würden Hunderte von Millionen Menschen an den Küsten der Welt betroffen sein, von Miami bis Shanghai.

Es scheint, dass das "Schlimmste" bereits in Gang gesetzt wurde

"Wir denken oft, dass uns beim Verlust von Eis in der Antarktis das Schlimmste erst noch bevorsteht. Das stimmt auch, aber es scheint, dass dieses ‚Schlimmste‘ durchaus bereits in Gang gesetzt wurde", sagt Anders Levermann vom PIK und dem Lamont-Doherty Earth Observatory der Columbia University in New York, Leitautor der Studie. "Der Pine-Island-Gletscher und der Thwaites-Gletscher im Westen des antarktischen Kontinents verlieren bereits seit drei Jahrzehnten zunehmend Eis. Computersimulationen belegen, dass wir hier eine Instabilität der auf dem Meer aufschwimmenden Eismassen sehen, die zu einem zusätzlichen globalen Meeresspiegelanstieg von mehr als 3 Metern führen kann. Unsere Berechnungen zeigen nun, dass diese Instabilität viel schneller voranschreitet als ähnliche Prozesse in anderen Teilen der Antarktis, die vergleichbar große Eismassen enthalten. Die gute Nachricht ist, dass die Eismassen im Osten des Kontinents langsamer sein könnten, zumindest wenn wir die weitere globale Erwärmung rasch begrenzen. Die schlechte Nachricht ist, dass der schlimmste Anstieg des Meeresspiegels bereits im Gange sein könnte."

"Das erste Kippelement, das wir kippen sehen"

Laut Levermann  ist noch unklar, ob die Instabilität der Eismassen in der Westantarktis durch menschliche Aktivitäten ausgelöst wurde. Die Oberflächentemperaturen auf den meisten Teilen des eisigen Kontinents lägen dauerhaft unter dem Gefrierpunkt, aber der Ausstoß von Treibhausgasen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe werde nicht nur zu einer weltweit wärmeren Atmosphäre führen, sondern auch zu wärmeren Meeresströmungen, die bis in die Antarktis vordrängen und den Schmelzprozess unter Wasser starteten. Wenn sich die Aufsetzlinie – also die Linie, die am Rande des Kontinents das noch auf Felsboden ruhende Eis von dem Eis trennt, das bereits auf dem Wasser aufschwimmt - zurückziehe, und wenn sie das in einem Gebiet tue, in dem der Felsboden sich zum Landesinneren hin absenke statt ansteige, könne dies zu einem sich selbst beschleunigenden Eisverlust führen. Deshalb gelten Teile der Antarktis als sogenannte Kippelemente des Erdsystems. "Das erste Kippelement, das wir kippen sehen, ist das schnellste - zumindest das schnellste der Antarktis", sagt Levermann.

"Unsere Ergebnisse müssen natürlich im Licht der damit verbundenen Unsicherheiten betrachtet werden. Wir haben etwa den Effekt der Abstützung nicht berücksichtigt – bestimmte aufschwimmende Eismassen oder massive und spitze Felsen auf dem Meeresboden können den Eisfluss vom Land ins Meer verlangsamen. Auch die Daten, die wir für unsere Berechnungen aus diesem wildesten aller Kontinente verwenden, sind von Natur aus nicht perfekt", sagt Co-Autor Johannes Feldmann vom PIK.

 "Die Ergebnisse sind faszinierend", sagte Co-Autor Johannes Feldmann hinzu. "Zugleich sind sie aber auch ein klares Zeichen, dass wir mehr tun müssen bei der Anpassung an Folgen des Klimawandels und bei der konsequenten Reduzierung der Treibhausgasemissionen, um den globalen Anstieg des Meeresspiegels einzudämmen."

gri