Eine Fledermaus hängt kopfüber
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Wildtierforschung
Fledermäuse liefern Erkenntnisse über Sexualität von Säugetieren

Neue Untersuchung zeigt, dass Breiflügelfledermäuse sich nicht, wie bei Säugetiere üblich, durch Penetration paaren.

22.11.2023

Breitflügelfledermäuse pflanzen sich nicht wie andere Säugetieren durch Eindringen des Penis in den weiblichen Genitaltrakt fort, sondern durch eine vollkommen anderes Paarungsverhalten. Das hat eine neue wissenschaftliche Untersuchung der Universität Lausanne und des Leibniz Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) herausgefunden, die kürzlich in der Fachzeitschrift "Current Biology" veröffentlich wurde.

"Sie dokumentiert etwas Besonderes unter den Säugetieren", so Dr. Susanne Holtze vom Leibniz-IZW und Dr. Marcus Fritze von der Universität Greifswald in einer Pressemitteilung. "Unsere Beobachtungen und die besondere Morphologie des Penis der Breitflügelfledermaus-Männchen sind der erste Beweis für eine Paarung ohne Intromission bei einem Säugetier."

Um zu verstehen, wie sich diese nachtaktiven Tiere paaren, beobachtete das Forschungsteam ihr natürliches Paarungsverhalten auf dem Dachboden einer Kirche und während eines vorübergehenden Aufenthaltes in menschlicher Obhut in einem Fledermaus-Rehabilitationszentrum. Bei den Echtzeit-Beobachtungen von fast einhundert Breitflügelfledermaus-Paaren stellte sich heraus, dass der erigierte Penis dieser Art im Vergleich zur Größe der Vagina des Weibchens viel zu groß war. Deswegen kletterte das Männchen auf den Rücken des Weibchens und nutzte seinen langen Penis wie einen Arm, um die Flughaut zu umgehen, die eine normale Paarung verhindert. Das Männchen drückt seinen Penis dann fest gegen die Vulva des Weibchens. In dieser Position können sie mehrere Stunden verweilen.  

Die Geheimnisse der Fledermäuse 

"Dass die Größendimension des erigierten Penis und der weibliche Genitaltrakt eigentlich nicht zusammenpassen", war Holtze schon bei einem vorherigen Projekt mit Professor Nicolas Fasel von der Universität Lausanne aufgefallen, erzählt sie Forschung & Lehre.  Dabei hatten sie zu einer anderen Fledermausart geforscht. Die Aufgabe von Holtze war es, eine Methode für künstliche Besamung zu entwickeln, die es bisher für Fledermäuse noch nicht gibt. Im Austausch mit anderen Forschenden, die zu wieder anderen Fledermausarten geforscht hatten, auch aus den Niederlanden und der Ukraine, entstand die Theorie, "dass der Penis nur 'andockt', um die Schwanzflughaut des Weibchens zu greifen", so Holtze. "Es gelang uns aber nicht, es so zu dokumentieren, um dies ausreichend zu belegen."

Denn das Verhalten von nachtaktiven Tieren zu beobachten ist laut dem Forschungsteam sehr schwierig, erst recht von fliegenden Tieren wie Fledermäusen. Holtze erläutert gegenüber Forschung & Lehre, dass sie und ihr Forschungsteam viele Sommerwochenenden damit verbrachten, Fledermäuse verschiedener Arten zu fangen und von ihnen Spermien zu gewinnen.

Auch Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine erforschen Fledermäuse. Ihre Feldstudien finden jedoch unter Lebensgefahr statt, denn sie betreiben das Fledermausrehabilitationszentrum in Kharkiv nahe der russischen Grenze auch während des Krieges für die Forschung weiter. "Sie haben teils bei Bombenalarm Fledermäuse wieder in die Freiheit entlassen", berichtet Holtze. 

Weltweit sind bislang 1400 Fledermausarten bekannt. Ihre Fortpflanzungsweise ist laut der Zoo-und Wildtierforschenden mit Sicherheit sehr unterschiedlich. Die Fledermäuse bewahren sich also weiterhin einige Geheimnisse. 

kfi/cle