Mikroplastik
dpa

Umweltverschmutzung
Fraunhofer identifiziert Quellen von Mikroplastik

Ein Forscherteam hat untersucht, woher das Mikroplastik in Deutschland kommt. An der Spitze ihrer Auswertung liegt der Abrieb von Autoreifen.

04.09.2018

Insgesamt rund 330.000 Tonnen sogenanntes Mikroplastik gelangen in Deutschland pro Jahr in die Umwelt. Pro Kopf sind es gut vier Kilogramm Mikroplastik pro Kopf. Das Fraunhofer Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hat für 51 Quellen die freigesetzten Mengen errechnet. Der größte Verursacher ist demnach der Abrieb von Autoreifen. Dieser mache ein Drittel der Mikroplastik-Emissionen aus.

Weitere Hauptquellen seien die Abfallentsorgung, der Abrieb von Fahrbahndecken oder Freisetzungen auf Baustellen. Mit 19 Gramm liegt Mikroplastik-Partikel in Kosmetika nur auf Platz 17 der Negativliste. In der öffentlichen Debatte stehen sie oftmals im Fokus.

"Wir können davon ausgehen, dass sich Mikroplastik bereits in allen Bereichen der Umwelt befindet", sagte die Ko-Autorin der Studie, Leandra Hamann. Mikroplastik gerate vor allem über Niederschlagswasser in die Umwelt, heißt es in der Studie. Durch Regen werde beispielsweise der Reifenabrieb nicht nur in die Kanalisation gespült, sondern nahezu überall hin. Kläranlagen hielten zwar bis zu 95 Prozent des Mikroplastiks zurück. Es könne dann aber über die Nutzung von Klärschlamm in der Landwirtschaft in die Umwelt gelangen.

Großteil des Plastikmülls erst unter dem Mikroskop sichtbar

Makroplastik – also Plastiktüten und andere achtlos weggeworfene Kunststoff-Produkte – sorgen in Deutschland nur für ein gutes Viertel der gesamten 446.000 Tonnen Kunststoff-Emissionen pro Jahr. Mikroplastik macht dagegen 74 Prozent aus. "Dem, was jedem offensichtlich ist, steht also eine etwa dreifach größere Menge gegenüber, die zum Teil nur unter dem Mikroskop sichtbar wird", heißt es in der Studie.

Als Mikroplastik werden Plastikpartikel bezeichnet, die fünf Millimeter und kleiner sind. Forscher unterscheiden zwei Kategorien: Zum einen Partikel, die einem Produkt bereits bei der Herstellung zugesetzt werden, etwa Reibekörper in Kosmetik. Beim zweiten Typ entstehen die Mikropartikel erst bei der Nutzung, etwa beim Waschen freigesetzte synthetische Fasern. "Die Unterscheidung ist für die Verantwortung für die Vermeidung von Mikroplastik wichtig", sagt Studienautor Jürgen Bertling.

Wie kommen die Forscher zu ihren Zahlen? Daten aus Experimenten oder Messungen gibt es nur wenige. Am Beispiel Schuhsohlenabrieb erläutert Ko-Autorin Leandra Hamann das Verfahren: "Wir sind von der Gesamtzahl der pro Jahr in Deutschland verkauften Schuhe ausgegangen." Die durchschnittliche Schuhgröße, die Sohlenfläche und rund fünf ausgesonderte Paar Schuhe pro Kopf und Jahr gingen weiter in die Berechnungen ein.

Die Zahlen der Wissenschaftler liegen, wie sie selbst einräumen, im Vergleich zu anderen Studien "eher im oberen Bereich", da man mehr Quellen berücksichtigt habe. Die Wissenschaftler haben frühere Studien ausgewertet und Produktions- und Verbrauchsdaten auf die Emissionen von Mikroplastik heruntergerechnet.

Dass Mikroplastik in Kosmetik mengenmäßig eine eher untergeordnete Rolle spielt, überrascht das Umweltbundesamt nicht. Die eigenen Fachleute seien zu der gleichen Erkenntnis gekommen, sagt Sprecher Felix Poetschke. "Es ist aber auch am einfachsten zu vermeiden." Auch die Reifenabriebmenge bewege sich im bisher berechneten Rahmen.

Daten zum gezielten Einsatz von Mikropartikeln zu erhalten, ist für die Forschung ausgesprochen schwierig. In einer 2015 vom Umweltbundesamt veröffentlichten Untersuchung zu den Quellen für Mikroplastik heißt es etwa, aufseiten der Industrie habe es nur eine geringe Bereitschaft gegeben, konkrete Angaben zu den gezielt eingesetzten Mengen und Materialarten zur Verfügung zu stellen. Auch für diese Studie wurden deshalb die Zahlen anhand "plausibler Rechenwege abgeschätzt".

Forscher warnt vor Kunststoff-Bashing

Das Wissen über Herkunft, Verbreitung und Folgen von Plastik in der Umwelt ist noch sehr lückenhaft. Deshalb hat das Bundesforschungsministerium ein großes Forschungsprogramm aufgelegt: 18 Projekte mit rund 100 Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verbänden und Kommunen sollen ein Gesamtbild zeichnen, wie Kunststoffe produziert, eingesetzt, gehandelt und entsorgt werden.

Mit dem Reifenabrieb befasst sich auch ein von der Technischen Universität Berlin koordiniertes Projekt. Es soll den Eintrag von Mikroplastik aus Reifenabrieb im Abflusswasser der Straßen ermitteln, wie Daniel Venghaus vom Fachbereich Siedlungswasserwirtschaft der TU Berlin sagt.

Einen Vorschlag, wie die Menge des Reifenabriebs verringert werden kann, hat Fraunhofer-Forscher Bertling bereits. Autofahrer sollten beim Reifenkauf auf Langlebigkeit achten. "Deshalb müsste das EU-Reifenlabel ergänzt werden", fordert er. Bisher gebe es nur Angaben zu Kraftstoffverbrauch, Bremsweg auf nasser Straße und Rollgeräusch. Über Haltbarkeit und Abrieb eines Reifens sage das Label nichts.

Und Bertling warnt vor einem allgemeinen Kunststoff-Bashing. Wer die sehr geringen Recyclingquoten erhöhen wolle, müsse das schlechte Image von Kunststoffen verbessern: "Nur wenn Kunststoff für Produzenten und Verbraucher eine wirklichen Wert hat, wird die Wiederverwertung zunehmen."

dpa/kas