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Serie: 25 Jahre Forschung & Lehre
Glück und Verstand

Wie gelangen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Lösung komplexer Forschungsfragen? Eine Reflexion über die Kraft der geschärften Intuition.

Von Barbara Zehnpfennig 14.01.2019

Mehr Glück als Verstand gehabt zu haben, wird normalerweise demjenigen bescheinigt, dem es durch günstige Umstände gelang, den Folgen seiner Dummheit zu entgehen. Glück kompensiert in diesem Fall den fehlenden Verstand.

Umgekehrt kann man mit dem Verstand auszugleichen versuchen, was einem an Glücksgütern verwehrt wurde – eine wenig erfolgversprechende Herkunft zum Beispiel. In beiden Fällen wird die kompensatorische Wirkung des einen oder des anderen Faktors nötig, weil Glück und Verstand sich nicht verbinden wollten. Gibt es aber auch Fälle, in denen beide sich freundschaftlich vereinen? Gibt es in der wissenschaftlichen Arbeit solche Fälle?

Einen wissenschaftlichen Fund zu machen, kann durch Glück alleine nie gelingen. Es muss viel Verstand investiert worden sein, um zu wissen, wo man suchen muss, um fündig werden zu können. Geniale Einsichten sind in der Regel Ergebnis langer Vorarbeit.

Als Einstein seine bahnbrechende Formel e=mc2 fand – offen­bar ohne experimentelle Studien, durch reine Kopfarbeit, – da war diesem Finderglück eine gigantische Verstandesleistung vorangegangen. Auch Einsichten, die sich, wie von manchen Forschern berichtet wird, im Schlaf ergeben, sind nicht einfach ein Gottesgeschenk.

Vielmehr hat der Verstand da wohl nur zum Teil geschlafen, untergründig aber dort weitergemacht, wo der Forscher vor dem Schlafengehen aufgehört hatte. Dass bei all dem auch Glück im Spiel ist, ist nicht zu leugnen. Doch hier kann man wohl mit Recht von verdientem Glück reden, ist es doch die Belohnung für vorausgegangene Leistung.

Unbedingte Wahrheitssuche als Antrieb

In der Wissenschaft scheint Glück also kein Produkt bloßen Zufalls zu sein. Manchmal ist es auch Ergebnis von Intuition. Doch woher kommt diese wiederum? Da sich die Intuition offenbar schärfen lässt, da sie sich mit dem Forscher zusammen entwickelt, erscheint sie nicht nur als gegeben, sondern auch als formbar. Was aber formt sie? Als der entscheidende Faktor, wie die Intuition an Treffsicherheit gewinnt, ist kaum etwas anderes vorstellbar als die unbedingte Ausrichtung an der Sache, die unbedingte Wahrheitssuche. Wer wirklich sucht, hat gute Chancen, etwas zu finden. Er findet zum Beispiel den richtigen Lehrer, den richtigen akademischen Ort, den richtigen theoretischen Ansatz.

Die unbedingte Suche führt zu einer Unbeirrbarkeit, die sich nicht davon schrecken lässt, gegebenenfalls auch gegen den Strom zu schwimmen. Dort, wo die anderen vorbeischwimmen, liegen vielleicht ungeahnte Schätze. Die unbedingte Suche lässt, um ein terristrischeres Bild zu bemühen, unerschrocken das Tal der Tränen durchwandern, die Ödnis der Wüste aushalten, in der sich nach langer Durststrecke immer noch keine Oase abzuzeichnen scheint.

Doch die vom Verstand geschärfte Intuition sagt: Weiter! Nicht aufgeben! Und sich auch nicht von der falschen Vorstellung davon, wie das Ziel aussehen müsste, dazu verleiten lassen, an ihm vorbeizulaufen, wenn es endlich in greifbare Nähe rückt. Die Intuition schreit auch: Gefunden!, wenn es im Gehirn plötzlich knack macht und sich alle Dinge in neuem Licht zeigen. Und sie lässt auch dann am Gefundenen festhalten, wenn es vom Mainstream ignoriert, bestritten oder bekämpft wird.

Angesichts dieser doch etwas irritierenden Aussicht, sich damit gänzlich außerhalb der Karawane zu befinden, stellt sich allerdings mit großer Dringlichkeit die Frage: Kann die Intuition denn auch irreführen? Natürlich kann sie das! Doch wenn man es nicht merkt, bleibt zumindest das Glück des unerkannten Irrtums.