Autos in einem Kreisverkehr
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Technologischer Fortschritt
"Ingenieure stecken in einem Teufelskreis"

Mit dem technologischen Fortschritt steigt der Wohlstand. Das gefährdet immer wieder auch ingenieurwissenschaftliche Durchbrüche im Umweltschutz.

Von Ina Lohaus 11.03.2019

Forschung & Lehre: Welchen Einfluss hat der technologische Fortschritt auf das Umweltverhalten des Menschen?

Andreas Ernst: Die Technologie hat es überhaupt erst ermöglicht, dass Menschen so raumgreifend wurden. Ein Beispiel ist die Mobilität. In den Urzeiten ist der Mensch zu Fuß gelaufen. Das hat nicht viel Energie gekostet. Aber schon für den Unterhalt eines Pferdes musste viel Futter bereitgestellt werden. Ähnlich ist es mit der Mobilität heute. Sie ist immer energie- und materialintensiver geworden. Für die Tatsache, dass die Technologie die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt enorm befeuert hat, sind nicht die Techniker und Ingenieure per se verantwortlich. Wenn ich heute mit einem Auto von A nach B fahre, führt das zu einer Umweltwirkung auf vielen Ebenen, in der Produktion, im Verbrauch und später auch im vielleicht unvollständigen Recycling. Beim Fliegen ist es genau dasselbe. Dies ist nicht zu vergleichen mit der Mobilität in früheren Jahrhunderten. Bei der Energieerzeugung ist es ein wenig gebrochener. Natürlich ist sie über die Jahrhunderte immer umweltintensiver geworden, aber sie hat gleichzeitig auch ermöglicht, dass viel mehr Menschen von dieser Energie profitieren können. Die Energieerzeugung eines Steinzeitlers war nach heutigen Maßstäben sehr ineffizient. Die heutige Energieeffizienz schreiben sich die Ingenieure auf die Fahnen. Aber sie reicht nicht aus, um die Auswirkungen auf die Umwelt konstant zu halten oder gar zu reduzieren, sondern zusammen mit einem veränderten Verhalten der Menschen ist die Umweltauswirkung gestiegen und nicht weniger geworden.

Prof. Dr. Andreas Ernst
Der Psychologe und Umweltwissenschaftler Professor Andreas Ernst ist Geschäftsführender Direktor des Center for Environmental Systems Research (CESR) an der Universität Kassel. Achim Manche

F&L: Kommt der ingenieurwissenschaftlichen Forschung eine Schlüsselrolle für den Klimaschutz zu?

Andreas Ernst: Die Energiewende und eine Transformation zur Nachhaltigkeit, um einmal dieses große Wort zu benutzen, kommen nicht ohne technologische Innovationen aus. Das ist klar. Nehmen wir als Beispiel die regenerativen Energien: Wärmekopplung, Stromspeicher, innovative Solarzellen und auch die Energien, die es noch nicht in großer Skala gibt, wie Kernfusion, Brennstoffzellen, künstliche Photosynthese. Das sind ausgezeichnete Ingenieurleistungen. Das ist unstrittig. Den Ingenieurwissenschaften kommt also auf jeden Fall eine Schlüsselrolle zu. Aber technologische Innovationen alleine werden es nicht schaffen, die Umweltprobleme zu lösen.

F&L: Verlässt man sich angesichts der ingenieurwissenschaftlichen Spitzenleistungen zu sehr darauf, dass Ingenieure technische Lösungen für Umweltprobleme finden werden?

Andreas Ernst: Ja, man verlässt sich vielleicht zu sehr auf die Ingenieure. Das könnte auch mit ihrem Berufsethos zusammenhängen. Sie sagen: Entspannt euch mal, wir machen das. So hat man es auch seit Jahrhunderten gemacht. Wenn die Umweltprobleme rein technologischer Natur wären, hätten wir sie nicht, denn dann könnten wir sie mit neuen Technologien aus dem Weg räumen. Die Rolle der Technik ist aber nur das eine. Man muss sich zum anderen auch fragen, was die eigentliche Ursache für die Umweltprobleme ist.

F&L: Worin sehen Sie die Ursache?

Andreas Ernst: Das Umweltproblem ist nicht technologischer Natur, sondern menschlicher Natur. Es ist sehr schwierig, die menschlichen Bedürfnisse bis zum Ende zu befriedigen. Dies kann man gut am Beispiel des Rebounds demonstrieren. Es gibt eine eindrückliche Grafik, in der die Kosten eines Lumen Lichts über die Jahrhunderte untersucht wurden. Früher gab es Öllampen oder Stearinkerzen, bei denen ein Lumen Licht relativ teuer war. Heute kostet ein Lumen praktisch nichts mehr. Auf der Grafik sind die Kosten nicht mehr sichtbar. Auf der anderen Seite ist aber die Anzahl der Lumen, die wir global anzünden, von quasi null – das heißt auf der Grafik nicht zu erkennen – bis zur Höhe des anfänglichen Preises angestiegen. das heißt in demselben Maße, wie ein Lumen billiger geworden ist, haben wir die Welt mehr beleuchtet. Selbst wenn jemand seine alte Beleuchtung gegen LED austauscht, zeigen Untersuchungen, dass die LEDs dann länger brennen – sei es aus Nachlässigkeit oder in dem Wissen um ihre Effizienz – und dass es vielfach auch heller ist als vorher. Also selbst, wenn wir denken, wir haben alles, gibt es immer noch den Wunsch, mehr zu haben und es bequemer zu haben. Die Technologie ermöglicht uns das auch. Aber die Effizienzgewinne sind dann zur Hälfte oder manchmal sogar ganz weg. Das ist der Reboundeffekt. Darunter leidet auch die Politik, die die Effizienzpotenziale zu hundert Prozent in ihre Energiepolitik einrechnet. Aber die empirische Erfahrung sagt, dass dann im Mittel fünfzig Prozent im Rebound, das heißt in mehr Wohlstand verpuffen. Hinzu kommen noch zwei weitere Dilemmata. Man fragt sich: Warum soll ich z.B. nicht Autofahren, wenn es andere tun? Und: Warum soll ich mich jetzt für etwas krumm legen, was erst in der Zukunft kommt? Das sind sehr tief sitzende Konflikte, mit denen nicht leicht umzugehen ist. Da ist einem das Hemd oft näher als die Hose. Wenn dann technologische Lösungen angeboten werden, ermöglichen sie es den Menschen, ihr Leben gar nicht erst ändern zu müssen.

F&L: Technische Lösungen würden dann eher verhindern, dass wir unsere Lebensweise der Umwelt anpassen?

Andreas Ernst: Weitreichendstes Beispiel für solche Technologielösungen ist das Climate Engineering, das großformatige Eingreifen in das Klimasystem mit technischen Maßnahmen. In allen Pariser Klimaszenarien spielt es schon eine Rolle, sonst hätte man im Modell gar nicht das Zwei-Grad-Ziel erreicht. Beim Climate Engineering versteigt sich die ingenieurwissenschaftliche Logik und erkennt nicht an, dass sie in einem circulus vitiosus steckt, dessen Ursachen im Menschen liegen und nicht in der Technik.

F&L: Warum fällt es trotz des ganzen Wissens so schwer, das Verhalten zu ändern?

Andreas Ernst: Ich möchte die menschlichen Bedürfnisse überhaupt nicht in Abrede stellen. Die sind einfach da. Es gibt eine gewisse Kurzfristigkeit, unter der wir gut funktionieren, und einen biologisch angelegten Egoismus. Wir haben aber – und das lese ich auch bei Kollegen – eine historisch einmalige Situation, weil von uns verlangt wird, sehenden Auges eine Transformation einzuleiten. In alle anderen Transformationen, die neolithische, also die Sesshaftwerdung des Menschen, oder die industrielle Revolution, sind die Menschen gewissermaßen hinein gestolpert. Es waren emergente Transformationen, die niemand geplant hat. Jetzt haben wir qua Computersimulation eine Vorstellung davon, was wir tun, aber auch was wir lassen sollten. Das macht es so schwer und stellt uns zum ersten Mal in der Geschichte vor die Aufgabe, gegen die Situation, für die wir kognitiv und motivational nicht gut gerüstet sind, doch etwas zu tun. Das ist der eigentliche Knackpunkt.

F&L: Wie könnte eine Verhaltensänderung dennoch gelingen?

Andreas Ernst: Wir müssen zweierlei anerkennen. Erstens die aktuelle Lage, die aktuellen natürlichen, aber auch sozialen Trends, und zwar ohne Voreingenommenheit. Und da gibt es noch viel Luft nach oben. Eine flächendeckende Kenntnis oder Einsicht ist nicht in Sicht. Gleichzeitig müssen wir mit dem Wohlstandsgefälle und dem Vulnerabilitätsgefälle in der Welt umgehen. Zweitens müssen wir anerkennen – das mag provokant klingen – dass es unmöglich ist, das komplexe System Erde im engeren Sinne steuern zu können. Es ist eine ur-ingenieurwissenschaftliche Sichtweise, dass beim Drücken eines Knopfes das Richtige passiert. So ist es beim System Erde nicht. Deshalb ist es hier besser, statt von "steuern" von "navigieren" zu sprechen. Wie beim Navigieren eines Schiffes sind Richtung und Ziel bekannt, aber Strömung und Wind müssen mit berücksichtigt werden. Man muss also permanent auf der Hut sein und manchmal auch Umwege in Kauf nehmen. Wenn man die beiden genannten Punkte anerkennt, ist eigentlich "nur noch“ das Handeln ohne Egoismus erforderlich.

F&L: Jeder einzelne ist dann gefragt?

Andreas Ernst: Ja, aber auch alle Institutionen, und zwar ohne Kirchturmdenken. Wir müssen uns zusammenraufen, und wenn es am Ende des Tages gelingt, ist die Frage, wie viel Druck dann auf den Menschen lastet, wie viele diesem Druck standhalten können und für wie viele dann in welcher Form Platz ist. Das ist vielleicht die etwas pessimistische Aussicht. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass es gelingt. Die Zeit spielt für das Gelingen, und es wäre schön, wenn möglichst viele mitgenommen werden könnten.