Foto eines Marderhundes beziehungsweise Enoks
picture-alliance/ dpa/dpaweb / Michael Bahlo

Herkunft von Sars-CoV-2
Neue Hinweise zum Corona-Ursprung gefunden

Über den Auslöser der Corona-Pandemie wird weiterhin gerätselt. Forschende sehen in neuen Daten Hinweise für Marderhunde als Übertrager.

17.03.2023

Vorläufige Ergebnisse einer neuen genetischen Untersuchung stützen dem Berliner Virologen Professor Christian Drosten zufolge die Vermutung eines natürlichen Ursprungs von Sars-CoV-2. Die noch nicht unabhängig geprüfte Analyse bringt Marderhunde auf dem Markt im chinesischen Wuhan als potenzielle Überträger des Coronavirus ins Spiel. "Das vorläufige Ergebnis untermauert stark meine seit Beginn der Pandemie geäußerte Vermutung eines Ursprungs in Marderhunden oder anderen Carnivoren (Fleischfressern) wie zum Beispiel Schleichkatzen", teilte Drosten am Freitag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit.

Nach einem Bericht der Zeitschrift "The Atlantic" waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf zuvor unbekannte chinesische Daten zu Proben vom "Huanan Seafood Wholesale Market" in Wuhan gestoßen, der mit dem ersten Corona-Ausbruch in Verbindung gebracht wird. Die genetischen Sequenzen seien aus Abstrichen gewonnen worden, die im Januar 2020 – also zu Beginn der Pandemie – an und in der Nähe von Marktständen genommen wurden. Sie seien vor einigen Tagen von Forschenden des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention (CDC) in die frei zugängliche Genomdatenbank "Gisaid" eingestellt und dort von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Europa, Nordamerika und Australien – quasi zufällig – entdeckt und analysiert worden.

Virales und tierisches Genmaterial in Abstrichen gefunden

Eine Auswertung unter Leitung der US-Virusexperten Professor Kristian Andersen, Professor Edward Holmes und Professor Michael Worobey ergab "The Atlantic" zufolge, dass mehrere Marktproben, die positiv auf Sars-CoV-2 getestet worden waren, auch tierisches Genmaterial enthielten – vielfach vom Marderhund, einem verbreitet auf Pelztierfarmen gehaltenen Fuchsverwandten. Unter anderem aus der Art der Probenentnahme schließen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dem Bericht zufolge, dass an den betroffenen Stellen ein mit dem Coronavirus infizierter Marderhund gewesen sein könnte.

"Dies sind vorläufige Auswertungen chinesischer Rohdaten. Eine umfassende Studie der eigentlich mit der Untersuchung befassten Wissenschaftler wird sicherlich bald folgen", erklärte Drosten. Bei "The Atlantic" hieß es, die Analyse des chinesischen Teams sei bereits zur Begutachtung bei einem Fachjournal eingereicht. Die neuen Erkenntnisse dürften die Debatte um die Herkunft des Coronavirus neu befeuern. Es gibt auch die Theorie einer Laborpanne als möglichen Ursprung.

Die Theorie, dass das Coronavirus im Jahr 2019 von Wildtieren auf den Menschen übersprang, die auf dem Markt in Wuhan gehandelt wurden, steht seit Pandemiebeginn im Raum und wird von der Mehrheit der Experten als weitaus wahrscheinlichste gesehen. Ein Grund sei das vorhandene Wissen über das erste Sars-Virus, bei dem es so einen Übergang gegeben habe, erklärte Drosten. "Natürlich muss man jegliche Theorien zum Ursprung des Virus ernst nehmen, aber ein natürlicher Ursprung aus einer der genannten Tiergruppen war von Anfang an die wahrscheinlichste Erklärung."

Immer wieder stützten Analysen diese Annahme. Im Sommer 2022 im Fachjournal "Science" vorgestellte Studien hatten zum Beispiel ergeben, dass sich die frühesten Covid-19-Fälle auf dem Huanan-Markt unter den Händlern konzentrierten, die lebende Tiere verkauften, und bei Menschen, die dort einkauften.

Proben aus Wuhan liefern keinen eindeutigen Beweis für Corona-Ursprung

Sicherheit bringt allerdings auch die aktuelle Auswertung nicht. Die Tatsache, dass das nun analysierte genetische Material von Virus und Säugetier so eng miteinander vermischt war – genug, um aus einem einzigen Tupfer extrahiert zu werden – sei kein perfekter Beweis, wird die Virologin Dr. Seema Lakdawala von der Emory University in "The Atlantic" zitiert. Es sei ein wichtiger Schritt, habe aber nicht denselben Wert, als wenn Sars-CoV-2 direkt aus einem Marderhund oder in der Virusprobe eines in Wuhan zur Zeit des Ausbruchs verkauften Säugetiers nachgewiesen worden wäre.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, sagte am Freitag: "Diese Daten liefern uns keine endgültige Antwort auf die Frage, wie die Pandemie begonnen hat, aber jede Information ist wichtig, um dieser Antwort näher zu kommen."

Der WHO-Chef kritisierte Chinas Informationspolitik. "Diese Daten hätten schon vor drei Jahren zur Verfügung gestellt werden können, und das hätte auch passieren müssen. Wir rufen China erneut auf, transparent zu sein, indem es Daten zur Verfügung stellt, und wir fordern China auf, die nötigen Untersuchungen durchzuführen und über die Resultate zu berichten."

Nachweis für Handel mit Marderhunden, kein Beweis für infizierte Tiere

Das zeitweise auf "Gisaid" verfügbare Material sei von China inzwischen schon wieder gelöscht worden – warum, müsse man das chinesische CDC fragen, sagte Corona-Expertin Dr. Maria van Kerkhove in Genf. Nach ihren Angaben beweisen die Daten, dass Marderhunde auf dem Markt gehandelt wurden. Das sei bisher zwar schon angenommen, aber nie bestätigt worden. Offen bleibe, wo die Tiere herkamen, ob es sich um Farmtiere oder wilde Tiere handelte. Zu betonen sei zudem, dass das Virus nicht in einem Tier selbst nachgewiesen wurde.

"Es ist ein bisschen erstaunlich, dass diese Daten erst jetzt erhoben wurden", merkte auch Dr. Fabian Leendertz vom Helmholtz Institut für One Health in Greifswald an, der in die Suche der WHO nach dem Sars-CoV-2-Ursprung eingebunden war. Umweltproben auf das Erbgut von Tieren in der entsprechenden Gegend zu untersuchen, sei eigentlich Routinevorgehen. "Was jetzt fehlt ist, weiter rückwärts zu schauen – gibt es noch infizierte Zwischenwirte? Wo haben die Marderhunde (oder andere empfängliche Tiere, die dort gehandelt wurden) möglicherweise das Virus her?"

Marderhunde zählen wie etwa auch Nerze zu den Tierarten, die sich leicht mit Corona infizieren. Die neuen Ergebnisse schließen aber nicht aus, dass andere Tiere auf dem Huanan-Markt Träger des Virus waren – oder gar der Ursprung für den Übergang auf den Menschen. Die neuen Ergebnisse lieferten keine eindeutigen Beweise, wie es bei "The Atlantic" heißt, aber es sei so, "als würde man die DNA des Hauptverdächtigen am Tatort finden".

aktualisiert am 17.03.2023 um 17.50 Uhr, zuerst veröffentlicht um 17.34 Uhr

dpa/ckr