Eine Person überreicht einer anderen ein Dokument
mauritius images/Photo Alto/Frederic Cirou

Recherche
Tausende Wissenschaftler publizieren in Pseudo-Zeitschriften

Ein Rechercheverbund hat Mängel in der wissenschaftlichen Veröffentlichungspraxis entdeckt. Dahinter steckt das Geschäft von unseriösen Verlagen.

19.07.2018

Mehr als 5.000 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Medienberichten zufolge Forschungsergebnisse in wertlosen Online-Fachzeitschriften pseudowissenschaftlicher Verlage publiziert. Unter den Autorinnen und Autoren seien zahlreiche Forscher der Helmholtz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Institute, aber auch Wissenschaftler deutscher Hochschulen und Mitarbeiter von Bundesbehörden. Dies berichten die Sender NDR und WDR, die "Süddeutsche Zeitung" und das "SZ Magazin".

Die publizierten Beiträge seien oft mit öffentlichen Geldern finanziert worden. Die Verlage missachteten die grundlegende Regeln der wissenschaftlichen Qualitätssicherung. An den Recherchen haben sich den Angaben zufolge auch weitere nationale und internationale Medien beteiligt. Weltweit seien rund 400.000 Forscherinnen und Forscher betroffen.

Das Phänomen der pseudowissenschaftlichen Verlage sei zwar schon seit Jahren bekannt, heißt es in den Berichten. Deutsche Hochschulen und Forschungsgesellschaften hätten bereits mehrfach davor gewarnt. Neu seien jedoch das rasant steigende Ausmaß. So habe sich die Zahl solcher Publikationen bei fünf der wichtigsten Verlage den Recherchen zufolge seit 2013 weltweit verdreifacht, in Deutschland sogar verfünffacht.

Pseudowissenschaftliche Verlage nutzten den Publikationsdruck, der auf Wissenschaftlern laste, und sprächen diese per E-Mail an. Die Betroffenen publizierten Ergebnisse gegen Zahlung teilweise hoher Gebühren in den Internet-Journalen, die von Unternehmen in Südasien, der Golfregion, Afrika oder der Türkei herausgegeben werden. Die Firmen behaupteten zwar, Forschungsergebnisse wie international üblich vor Veröffentlichung anderen erfahrenen Wissenschaftlern zur Prüfung und Korrektur vorzulegen. Den Recherchen zufolge geschehe dies jedoch meist nicht.

Diese "Pseudo-Wissenschaftsverlage" wurden untersucht

  • Omics
  • Waset
  • Sci-Pub
  • Sciencedomain
  • IOSR

Für Deutschland beziehen sich die Ergebnisse auf Omics, Waset und Sciencedomain. Omics alleine machte 2016 laut "SZ Magazin" einen Umsatz von rund 10,5 Millionen Euro.

Die Verlage wurden laut einer beteiligten Autorin aus der Menge dubioser Anbieter nach deren Relevanz ausgewählt. Dabei hätten sich die Journalisten an deren Größe (Zahl der Abstracts), an Gesprächen mit Experten sowie diversen "Blacklisten" orientiert, etwa "Bealls" oder "Cabbells".

Nobelpreisträger sehen Ruf der Wissenschaft gefährdet – DFG verweist auf ältere Maßnahmen

So gelangten nicht selten fragwürdige Studien mit scheinbar wissenschaftlichem Gütesiegel an die Öffentlichkeit. In anderen Fällen hätten Autorinnen und Autoren offenbar gezielt die Dienste solcher Verlage genutzt, um Forschungsbeiträge schnell zu veröffentlichen, ohne sich der Kritik von Kollegen zu stellen, heißt es in den Medienberichten.

Journalisten des NDR konnten sich in einem Selbstversuch erfolgreich als Wissenschaftler ausgeben und würden laut eigenen Angaben mittlerweile zu ihrer Experten-Meinung gefragt. Bei der "Weltakademie für Wissenschaft, Ingenieurwesen und Technologie" (WASET) hätten sie etwa eine "komplett unsinnige" Studie über einen frei erfundenen Algorithmus namens MOP einreichen und diese mit Erfolg bei einer Präsentation vorstellen können. Es folgten andere Veröffentlichungen, insgesamt sechs Texte in fünf Verlagen.

Die Fraunhofer-Gesellschaft habe die Recherchen begrüßt und gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" erklärt, dass es ein wichtiger Schritt sei, ein Bewusstsein für "derartige unlautere Praktiken" zu schaffen, "um derartige Machenschaften zu stoppen". Die Helmholtz-Gesellschaft teilte laut Bericht mit, das Geschäft gefährde "nicht nur den Ruf einzelner Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler", sondern auch "das Vertrauen in die Wissenschaft selbst." Betroffene Wissenschaftler im eigenen Haus seien aufgeklärt worden. Viele Wissenschaftler seien sich erst über die Recherche der Journalisten über die "Pseudo-Wissenschaftlichkeit" ihrer Verlage bewusst geworden.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wollte die Berichte nicht kommentieren. Bei der DFG hieß es, man setze sich mit solchen Entwicklungen derzeit im Rahmen der Überarbeitung der "Empfehlungen zur Sicherung guter wissenschaftlichen Praxis" auseinander. Im Übrigen habe die DFG mit der Initiative "Qualität statt Quantität" bereits 2010 Maßnahmen gegen die Publikationsflut in der Wissenschaft ergriffen.

Der Psychologie-Professor und Ombudsmann der Universität Heidelberg, Joachim Funke, sprach von einem "Desaster für die Wissenschaft, weil damit ungeprüfte Behauptungen in die Welt gesetzt werden und den Anschein erwecken, es sei Wissenschaft". Auch zahlreiche herausragende Wissenschaftler haben laut Berichten auf die Recherche reagiert, darunter auch der Münchener Chemie-Nobelpreisträger von 1988 Robert Huber. "So was muss gestoppt werden", sagte er gegenüber "Tagesschau". Für ihn seien solche Praktiken nichts anderes als Betrug.

Der Göttinger Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell sagte: "Wenn das System hat und Leute nicht nur darauf reinfallen, sondern das nutzen, dann muss man das abstellen." Von Eingriffen durch die Politik halte er dabei laut Berichterstattung nichts: "Ich habe Vertrauen, dass die Wissenschaft da einen selbstkorrigierenden Mechanismus hat."

Karliczek fordert gründliche Überprüfung

Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat eine gründliche Untersuchung der Fehlentwicklungen bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen gefordert. Dies sei "im Interesse der Wissenschaft selbst", erklärte Karliczek am Donnerstag auf Anfrage. Es müsse alles getan werden, "damit die Glaubwürdigkeit und das große Vertrauen in die Wissenschaft nicht Schaden nehmen". Sie fügte hinzu: "Es ist gut, wenn solche Fehlentwicklungen öffentlich werden. Denn nur so kann man ändern, was falsch läuft."

kas/dpa

zuletzt aktualisiert: 19.07.2018, 17:15 Uhr