Eine junge Frau schaut verwirrt auf ihr Handy
picture alliance / dpa Themendienst | Christin Klose

Medienkonsum
Wenn wir uns selbst nicht trauen können

Menschen lassen sich bei der Bewertung von Nachrichten stark von Emotionen leiten. Die Seriosität von Quellen rückt in den Hintergrund.

Von Katrin Schmermund 18.12.2020

Kognitionswissenschaftlerinnen der HU Berlin haben den Effekt von Emotionen auf die Bewertung von Nachrichten untersucht. Demnach haben emotionsgeladene Schlagzeilen selbst dann einen großen Einfluss auf die Urteilsbildung, wenn Personen die Nachrichtenquelle für wenig glaubwürdig halten.

Die Forscherinnen der Berlin School of Mind and Brain und des Psychologischen Instituts der HU haben 30 Probandinnen und Probanden für ihre Studie fiktive Schlagzeilen im Online-Layout verschiedener bekannter Medienquellen gezeigt, darunter "Tagesschau", "Bild", "SZ" und "FAZ".

Auch wenn die Probandinnen und Probanden einer Nachrichtenquelle nicht vertrauten, bewerteten sie Personen, deren Verhalten als negativ beschrieben wurde, als unsympathisch und negativ, während sie Personen, die mit guten Taten Schlagzeilen machten, als sehr sympathisch und positiv einschätzten.

Erklärung für schnelle Verbreitung von Falschnachrichten

Die Gehirnaktivität der Probandinnen und Probanden wurde mittels eines Elektroenzephalogramms (EEG) erfasst. Dadurch konnten schnelle, unwillkürliche Antworten des Gehirns von langsameren, kontrollierteren Reaktionen unterschieden werden. Sowohl bei frühen als auch späten Reaktionen des Gehirns zeigten sich die Einflüsse der Schlagzeilen auf die Reaktionen der Probandinnen und Probanden.

Das Forscherteam überraschte, dass sich die Effekte auch bei späteren Reaktionen zeigte. "Wir hatten angenommen, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit der Quelle dazu führen würde, dass der Information aus einer als unseriös erachteten Quelle weniger Bedeutung zugeschrieben würde", sagte die beteiligte Autorin, Professorin Rasha Abdel Rahman. Vorherige Studien am Institut für Psychologie hätten jedoch bereits ähnlich starke Effekte von Emotionen gezeigt, zum Beispiel bei der Bewertung von Gerüchten, die als unglaubwürdig bewertet wurden.

"Wir relativieren selbst Informationen, die unserem Faktenwissen widersprechen, wenn sie in einen emotionalen Kontext eingebunden sind."


Fragen an Wissenschaftlerin Rasha Abdel Rahman:

Forschung & Lehre: Frau Abdel Rahman, Emotionen scheinen uns selbst dann zu beeinflussen, wenn wir einer Informationsquelle nicht vertrauen. Wie erklären Sie sich das?

Rasha Abdel Rahman: Der starke Einfluss von Emotionen auf unser Denken und Handeln hat unter anderem evolutionäre Gründe. Er ist tief in uns verankert. Emotionen erlauben uns, schnell zu handeln, wenn wir eine Situation nicht beurteilen können oder wir in Gefahr sind. Früher war das etwa das auf uns zulaufende Tier, heute ist es vielleicht ein herbeirasendes Auto. Dazu passt, dass der Effekt von Emotionen bei der Verarbeitung negativer Informationen besonders stark zu sein scheint. Das geht soweit, dass wir selbst Informationen, die unserem Faktenwissen widersprechen, relativieren, wenn sie in einen emotionalen Kontext eingebunden sind. Wir haben Probandinnen und Probanden in einer Studie mit literaturwissenschaftlichen Kollegen zum Beispiel einen Text vorgelegt, in dem es um einen sprechenden Baum ging. War der vorausgehende Text emotional, schien ihre Fähigkeit, Behauptungen kritisch in Bezug zu ihrem Weltwissen zu verarbeiten, gewissermaßen betäubt. Die Reaktion des Gehirns auf die Verletzung ihres Wissens war deutlich reduziert. 

Prof. Rasha Abdel Rahman
Rasha Abdel Rahman ist Professorin für Neurokognitive Psychologie an der HU Berlin. privat

F&L: Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die Medienbildung – wie gelingt es uns, Informationen richtig zu beurteilen?

Rasha Abdel Rahman: Wir müssen uns nicht nur mit der Glaubwürdigkeit der Quelle einer Nachricht auseinandersetzen, sondern auch noch stärker mit unseren Emotionen. In der Psychologie sprechen wir von "Emotionsregulation". Das heißt, dass wir unser Denken bewusst hinterfragen und Abstand gewinnen sollten. Fragen, die wir uns stellen könnten, wären zum Beispiel: "dieses Verhalten ist sehr negativ, aber wie wahrscheinlich ist es, dass diese Person das getan hat? Wie fühlt man sich, wenn man zu Unrecht beschuldigt wird?" Ein Problem sehe ich darin, dass die Digitalisierung und die Menge an Informationen, die jeden Moment auf uns einströmt, den Einfluss von Emotionen verstärkt, weil unser Gehirn so viele Informationen verarbeiten muss, dass es die am leichtesten zu verarbeitenden Informationen dankbar annimmt. Für einen aufgeklärten Medienkonsum ist das keine gute Nachricht.

F&L: Gibt es Anzeichen dafür, dass sich unsere emotionalen Reaktionen an den veränderten Medienkonsum anpassen können?

Rasha Abdel Rahman: Das scheint bislang nicht der Fall zu sein. Ich sehe daher eine Aufgabe der neurokognitiven Forschung darin, die kognitiven Grundlagen der Verarbeitung falscher und wenig vertrauenswürdiger Informationen zu ergründen und darauf aufbauen Wege aufzuzeigen, über die wir unsere emotionalen Reaktionen und unsere Urteile relativieren können.