Junger Mann mit Buch in der Hand geht eine Wendeltreppe hinauf
mauritius images / Westend61 / Werner Dieterich

Bildung
Erstakademiker glauben seltener an ihr Talent

Die soziale Herkunft wirkt sich auf die Selbstwahrnehmung aus. Und auf die damit verbundenen Erfolgschancen, zeigt eine Studie.

20.06.2023

Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien tun sich an Hochschulen oft schwer. Ein Grund dafür ist offenbar, dass sie häufiger ihr Talent infrage stellen als Akademikerkinder ­– auch wenn sie gleiche Leistungen zeigen. Das geht aus einer Studie hervor, die an diesem Dienstag in der Fachzeitschrift "Journal of Experimental Social Psychology" erscheint und "Forschung & Lehre" vorab vorlag. Die Forscherinnen um Dr. Christina Bauer von der Universität Wien und der Freien Universität Berlin führten fünf Umfragen mit insgesamt rund 3.500 Studierenden in verschiedenen westlichen Ländern durch, vor allem in Deutschland.

Laut den Ergebnissen führen Erstakademiker Misserfolge an der Uni eher auf mangelnde Begabung zurück als ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Akademikerfamilien. Die sozioökonomische Herkunft beeinflusse die Selbstwahrnehmung bei der Einschätzung des eigenen Talents – und damit verbunden auch die Erfolgschancen, da diese Fehleinschätzung der Erstakademiker zu weniger selbstbewusstem Auftreten und dadurch zu ihrer weiteren Benachteiligung beitrage. Das negative Selbstbild von Menschen mit niedrigerem sozioökonomischem Hintergrund sei sozial erlernt und durch diskriminierende Erfahrungen geprägt, zum Beispiel würden sie schon in der Schule häufig von Lehrenden als weniger talentiert eingeschätzt.

Bei der Einschätzung des eigenen Fleißes zeigten sich in der Studie hingegen keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: Fleiß reklamierten beide für sich. Das wirke sich auch auf die Wahl der Studienfächer aus: Die befragten Bildungsaufsteiger bevorzugten Fächer, wo angeblich Fleiß zählt, und mieden Fächer, in denen vermeintlich Talent vonnöten ist. Diesen Schluss zogen die Autorinnen, nachdem sie einem Teil der Befragten fiktive Studiengänge vorlegten. Im einen Fall wurde das Fach als für begabte, kluge, intelligente und talentierte Studierende geeignet beschrieben. In einer anderen Variante wurden engagierte, motivierte, arbeitsame und fleißige Studierende gesucht. Nicht-Akademiker-Kinder schreckten in der Umfrage vor der ersten Beschreibung zurück und empfanden die zweite als einladender.

Um Benachteiligungen bei den Bildungschancen abzufedern, sollten den Autorinnen zufolge Eigenschaften wie Fleiß gesellschaftlich stärker anerkannt werden als Talent. In weiteren Studien wollen sich die Forscherinnen genauer mit den Sozialisationsprozessen beschäftigen, die verzerrte Selbstwahrnehmungen hervorrufen.

ckr